Papst Franziskus verzichtet auf einen Mitarbeiter in Rom

Viele hatten damit gerechnet, dass der Papst das Rücktrittsgesuch des Münchner Erzbischofs annimmt. Das wäre im eigenen Interesse gewesen. Er stärkt mit der Nicht-Annahme die Position des Münchner Erzbischofs. Er erklärt das mit der „Unterscheidung“, einer Vorgehensweise, die Ignatius von Loyola entwickelt hat.

Jesuitenkirche "Il Gesu" in Rom / Lawrence OP/paullew / bit.ly/lawrence-op-ihs (CC BY-NC-ND 2.0)

Jesuitenkirche "Il Gesu" in Rom / Lawrence OP/flickr.com, (CC BY-NC-ND 2.0), (Vorschaubild: Ränder leicht abgeschnitten)


Zuerst muss klar sein, dass nicht der Kardinal, sondern der Erzbischof von München seinen Rücktritt eingereicht hat. Irgendwie sollten der BDKJ u.a. kirchliche Sprecher das unterscheiden. Der Papst hätte diesen Kardinal gut in Rom einsetzen können. Er war ja führend in der Kommission von 10 Kardinälen, in der kein Kurienkardinal vertreten war, die Papst Franziskus mit der Reform der Kurie beauftragt hatte. Es sollte nicht vergessen werden, dass der Kardinal von Buenos Aires deshalb zum Papst gewählt wurde, um den Einfluss der Kurienkardinäle zurückzudrängen, die ja den Schreibtisch seines Vorgängers über den Kammerdiener überwacht hatten. Die Kardinäle, die über die Erde verteilt sind, sind vor Ort Bischöfe, Kardinäle sind sie in der Kirche von Rom, also von gleichem Rang wie die Kardinäle, die wie Minister Ressorts leiten. Die Kardinäle der Weltkirche hatten in den Besprechungen vor dem letzten Konklave herausgestellt, dass sie nicht einfach Anweisungen eines Mit-Kardinals gehorchen wollen, nur weil der ein Dikasterium, also eines der päpstlichen Ministerien, leitet. Der Papst, so kann man es in Rom hören, regiert die Kirche meist an seiner Kurie vorbei und versteht sich eher als Sprecher der Weltkirche.

Die Sendung kommt von Gott

Ich kann das als Jesuit schreiben, denn unsere römische Zentrale ist auch versucht, die besten Leute herauszupicken und für Aufgaben nach Rom zu holen. Der Papst hat also gegen eigene Interessen gehandelt, wenn er den Amtsverzicht des Münchner Erzbischofs nicht angenommen hat. Er bleibt für den Papst weiter eine Stütze. Hier eine ignatianische Einlassung: Der Erzbischof von München kann deshalb nicht abberufen werden, weil er für Deutschland eine Sendung hat, die dem Willen Gottes entspricht. Unterscheidung heißt hier, dass der Papst nicht den Mann aus Deutschland abziehen kann, der die Aufarbeitung vorantreibt und bereits für die Leitung des Bistums eine Frau in das höchste Amt geholt hat, das er vergeben kann. Wenn die Sendung dem Willen Gottes entspricht, darf der Jesuit nicht gegen den Willen Gottes handeln. Die Sendung, die er damit ausspricht, entspricht nicht seiner persönlichen Vorliebe, sondern weil die Umstände das fordern, und die jetzt noch einmal deutlich an die gesamte Bischofskonferenz gerichtet ist: Aufräumen! Das macht den Hauptteil des Briefes aus.

Dass der Münchner Erzbischof für die Sendung geeignet ist, erklärt der Papst nach Ignatius: Jeder Sendung sollte eine Bekehrung vorausgehen. Der Brief spricht diese dem Münchner Erzbischof zu und leitet daraus direkt den Auftrag ab. Diese Entwicklung einer Person kann man nicht nur an Paulus, sondern auch an Bischöfen der Gegenwart verifizieren. Kardinal Tomášek hat sich im Bischofsamt von der kommunistisch gelenkten Pax-Gruppe distanziert. Auch Erzbischof Romero hat sich in seinem Amt bekehrt. In der Kirche gilt Bekehrung als Qualifikation, weil mit dem Bekenntnis die Lossprechung erfolgen kann und eine Neuausrichtung garantiert ist. Noch eines kommt hinzu: Lange war es so, dass Leute nach Rom abgeschoben wurden, die vor Ort in Schwierigkeiten geraten sind. Die Bischofskonferenzen dürfen sich nicht wundern, wenn sie dann aus Rom Anweisungen erhalten, die sie so nicht wollen.

Auftrag an die Deutsche Bischofskonferenz

Dass der Papst seinen Auftrag an die Bischofskonferenz adressiert, wird einfach daraus erkennbar, dass er seinen Brief veröffentlicht hat. Und er nennt seine Kritikpunkte:

„Es sind nicht die Untersuchungen, die uns retten werden, und auch nicht die Macht der Institutionen. Uns wird nicht das Prestige unserer Kirche retten, die dazu neigt, ihre Sünden zu verheimlichen. Uns wird nicht die Macht des Geldes retten und auch nicht die Meinung der Medien (oft sind wir von ihnen allzu abhängig). Was uns retten wird, ist: die Tür zu öffnen für den Einen, der allein uns retten kann, und unsere Nacktheit zu bekennen: „ich habe gesündigt“, „wir haben gesündigt“ – und zu weinen und zu stammeln, so gut wir können.“

Warum setzt der Papst aber den Erzbischof nicht ab, der sich nicht zu entschlossenem Handeln durchringen kann: Er hat ihn selbst eingesetzt, sicher auch, weil der damalige Berliner Erzbischof die einfache Lebensweise vorlebte, die Franziskus in der Hierarchie wieder neu beleben will und selbst ja überzeugend praktiziert. Würde er so wie Trump handeln, der Leute über Twitter einfach abgesetzt hat, wäre er bald nicht mehr regierungsfähig. Denn wer will am Ende noch ein so stressiges Amt übernehmen, wenn über ihm das Damoklesschwert schwebt, dass er morgen schon wieder abgesetzt werden kann. Dazu wären auf Dauer nur zweitklassige Leute bereit.

Vom Papst könnten nicht nur Kommentatoren lernen

Wenn man die betulichen Kommentare aus katholischen Kreisen liest und dann noch einen belehrenden Ton heraushören muss, wäre es doch viel besser, die Deutschen würden dem Papst abschauen, wie man solche schwierigen Konstellationen nutzt, um seine Ziele umzusetzen. Es scheint auch in Deutschland der gute Wille bereits zu genügen. Aber was haben Zentralkomitee, Maria 2.0, BDKJ u.a. mit ihren Worten erreicht? Das ist nicht päpstliche Regierungskunst, nämlich auch das, was vor Ort blockiert wird, auf den Weg zu bringen. Er hätte nämlich mit der Annahme des Rücktritts die ständige Verzögerung der Aufarbeitung unter den Teppich gekehrt. Aber er hat den Rücktritt genutzt, um den deutschen Bischöfen „Beine zu machen“ und dem den Rücken gestärkt, der sich „bekehrt“ hat, dass es so nicht weitergeht. Jeder weiß jetzt: Was der Münchner Erzbischof anmahnt, ist direkt vom Papst gewollt. „Deswegen glaube ich, jeder Bischof der Kirche muss sie annehmen und sich fragen: Was muss ich angesichts dieser Katastrophe tun?“, heißt es in dem Brief.

Auch Politiker:innen könnten von dem Mann in Rom lernen, wie man Leute seiner Politik in Gremien positioniert und sie dann weiter stärkt. Ohne Geldzahlungen wie Aserbaidschan und ohne Säbelrasseln, wie der Nachfolger des Byzantinischen Kaisers im Dritten Rom. Liebe Leser:innen, überprüfen Sie, ob mein Kommentar dem Brief des Papstes gerecht wird. Die Einleitung des Briefes ist direkt dem Exerzitienbuch entnommen, unsere Sünde wird mit dem Kreuz Christi in Beziehung gesetzt.

Hier zum Brief des Papstes an Kardinal Marx

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