Im Moment zieht der Kölner Erzbischof die negativen Gefühle der in der Kirche Engagierten auf sich. Er hat genügend Anlass dafür gegeben. Aber er ist nur Protagonist einer Mentalität. Akten statt Menschen sprechen zu lassen, ist unbiblisch, für die verwaltete Religion aber logisch. Machen wir den Missbrauch zu einem Verwaltungsvorgang? Daraus muss der Ausweg gefunden werden.
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Jesus warnt, sich nicht auf den Splitter im Auge des anderen, sondern auf den Balken, die Blickveränderung in den eigenen Augen zu konzentrieren. Was ist der Balken, der uns blind für den systemischen Fehler macht? Wie konnte ein solches Kommunikationsdesaster passieren? Sind nicht wir Medienleute die schlechten Berater? Welchen Anteil habe ich, dass ein Erzbischof davor zurückschreckt, zu veröffentlichen, was in den Akten seiner Verwaltung gefunden wurde? Anstatt nur unseren Emotionen Ausdruck zu verleihen, könnten wir etwas lernen. Dass es das System sein muss, zeigt sich daran, dass er nicht der erste Bischof ist, der mit einem Dauerprotest nicht fertig wird. Es ist gerade einmal 7,5 Jahre her, dass es eine vergleichbare Aufregung um den damaligen Limburger Bischof gab. Was ist der systemische Fehler, dass genau dasselbe Muster wieder abläuft?
Fehler machen die anderen
Es geht nicht um eine große Unterschlagung oder einen schlimmen Fehlgriff, sondern nur um die Auswertung von Akten. Wie macht man in Köln daraus einen Skandal: Man kündigt die Veröffentlichung des Berichts an und zieht dieses Versprechen dann zurück. Dann verlängert man das Gezerre noch, weil man nicht sagen kann, um welche Namen es geht, denn dann hätte das Bistum die Auswertung gleich vorlegen können. Die Kölner haben sich in eine ausweglose Situation gebracht. Sie können nicht begründen, warum sie die Untersuchung nicht veröffentlichen, weil sie dann das, was nicht publik werden soll, selbst für die Berichterstattung freigeben müssten. Das ist ein Problem, welches bei geschlossenen System mit Notwendigkeit auftritt. Denn das Pochen auf das System führt notwendig zu einem Selbstwiderspruch. Daraus wird das andere Gutachten, das in Auftrag gegeben wurde, nicht herausführen. Es wird nämlich den Vorwurf nicht aus der Welt schaffen, dass etwas verheimlicht werden musste. Wie konnten die Kölner in diese Falle laufen:
Es ist das mangelnde Bewusstsein, fehlerhaft zu sein. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen, die Fehler machen die anderen,“ hier die Münchner Kanzlei. Wer hat diese aber ausgewählt? Um das System zu retten, wird eine außenstehende Instanz beauftragt, deren Ergebnis aber vom System nicht ertragen wird. Das passiert nicht das erste Mal, dass ein Gutachten nicht anerkannt wird. Vielleicht ist es nicht auf dem Schirm, aber im Langzeitgedächtnis festgehalten, als 2013 mit großem Presseaufwand dem Professor Christian Pfeiffer der Auftrag entzogen wurde, eine Aktenanalyse aller Bistümer vorzunehmen. Auch hier die einseitige Schuldzuschreibung an den anderen. Woher kommt die Überzeugung, „dass es die anderen sein müssen“:
Eine Verwaltung macht keine Fehler: „Ich bekenne nicht“
Die Liturgie lehrt jeden Katholiken das Confiteor, das nicht mit „Wir bekennen, dass wir gesündigt haben,“ beginnt, sondern „Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen und allen Schwestern und Brüdern, dass ich gesündigt habe…“. Dieses Bekennen hört sich der Zelebrant nicht an, sondern spricht es für sich selbst. Im Innenleben der katholischen Kirche ist das nicht mehr so. Da machen immer die anderen die Fehler. So wird in den Verwaltungen gedacht und so denkt doch auch der Kölner Erzbischof. Diese aufgeblähten Systeme werden nicht wie bei den staatlichen Körperschaften durch Verwaltungsgerichte in Schach gehalten. Es entsteht vielmehr eine zerstörerische Dynamik, die nach Einschätzung des Kommentators der größte Balken im Auge der deutschen Kirche ist und uns in der Weltkirche so unsympathisch macht. Wir sind ja nicht mehr die Kirche, die durch Bismarck und dann tödlich durch den Nationalsozialismus bedroht wird, sondern fahren in einem Luxusdampfer durch das Meer der Zeit. Das viele Geld braucht eine entsprechend große Verwaltung. Da sitzen ehrenwerte Frauen und Männer vor vielen Bildschirmen, ohne zu bemerken, wie Unterteufel am Werk sind; nicht durch Unterschlagung, Giftanschläge oder gezielte Ausschaltung kritischer Stimmen, sondern ganz subtil würgen sie die Kraft des Evangeliums ab. Das System scheint mit dem Bischof gleich zu schwingen. War bei aller Kompetenz doch niemand da, der mit dem Erzbischof überlegt hätte, wie er aus der Situation herauskommt oder wie er gar nicht erst hinein gerät.
So ähnlich hat es sich in Limburg verknotet wie jetzt in Köln. Das Umfeld, in dem der Erzbischof agiert, ist offensichtlich nicht darauf gepolt, Fehler einzugestehen. Beim Missbrauch sollte der Erzbischof es machen, so dass alle anderen auf die Aktenanalyse warten konnten. Aber anstatt die Betroffenen, Täter wie Personalverantwortlichen zu bewegen, das „Ich bekenne“ selbst auszusprechen und öffentlich dafür hinzustehen, hat er dieses notwendige Eingeständnis den Akten anvertraut. Genau das zeigt, dass er in der Logik seiner Verwaltung geblieben ist. Offensichtlich musste er aber dann mit Reaktionen aus seinem Umfeld rechnen, damit er die Auswertung der Akten unter Verschluss hält. Der Kanzlei, die mit der Auswertung beauftragt war, wird ja nicht vorgeworfen, sie hätte Tatbestände gefälscht. Insofern ist der Vorwurf „äußerungsrechtlicher und methodischer Mängel“ ehrenrührig. Er müsste zumindest belegt werden.
Anstatt also für ein Klima der Offenheit, des Schuldeingeständnisses und der Versöhnung zu sorgen, hat man aus der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle einen Aktenvorgang gemacht. Das kann nun mal eine Verwaltung besser. Eine Kindergartenleiterin, ein Bildungswerksleiter, eine Pflegedienstleitung wie auch ein Pfarrer würden mit dieser Mentalität beruflich scheitern. Der Systemwiderspruch zwischen dem, was entsprechend der Bibel und der Liturgie zu tun wäre und der Delegation des Handelns an die Aktenauswertung hat sich jetzt als unlösbar erwiesen. Damit entstehen neue Fragen, die die Verantwortlichen im Erzbistum beantworten müssen: Warum wurde die Münchner Kanzlei ausgewählt und was hat sie so falsch gemacht?
Religion sollte man nicht verwalten
Es hat sich also ein Missverständnis in die Praxis kirchlichen Handelns eingeschlichen, das auch jede Versicherung kennt. Die Verwaltung muss gerettet werden, nicht die Arbeit des Außendienstes steht im Vordergrund. Als ob es die Verwaltung ohne die Pfarreien, Kindergärten, Bildungswerke und die sozialen Einrichtungen überhaupt gäbe. Selbst den Erzbischof gibt es nur, wenn es Katholiken gibt. Die sind aber völlig aus dem Fokus geraten. Durch die Krise um das Gutachten ist deutlich geworden, was sich lange angebahnt hat. Es hängt am Geld:
Die Zentrale verteilt das Geld, verdient wird es aber durch den Außendienst, also in den Pfarreien, den Kindergärten, den Sozialstationen, den Heimen und nicht zuletzt durch die Bildungseinrichtungen. Bei den Verwaltungen nistet sich mit der Zeit der Gedanke ein, dass die an der Front das Geld falsch ausgeben. Der nächste Schritt in Richtung Klerikalismus ist inzwischen in den meisten Diözesen erreicht: Wir haben nicht nur den Gebrauch der Geldmittel zu überwachen, sondern wissen auch besser, wie man einen Kindergarten führt, mehr Gläubige zum Besuch der Sonntagsmesse bewegen, mehr Menschen für das Ehrenamt gewinnen könnte. Aber die „draußen“ hören ja nicht auf uns, also erhöhen wir bei der Geldzuteilung den Verwaltungsaufwand. Man muss sich nur vorstellen, Jesus würde durch die vielen Gänge der Kölner oder einer anderen kirchlichen Verwaltung gehen. Er würde freundlich empfangen, um dann doch das Gebäude mit der bekannten Aussage zu verlassen „Ihr bürdet den Menschen ungebührliche Lasten auf.“ Es gilt das geflissentlich überhörte Wort des Papstes „Geht an die Ränder!“ Er wurde gewählt, um der römischen Kurie den Klerikalismus auszutreiben. Für die Kirche ein Deutschland gibt es ein Reformversprechen.
Was wird der synodale Weg wohl nicht entscheiden:
Da Verwaltungen aus sich heraus die Tendenz haben, sich für die eigentliche Kirche zu halten, sollten die dort Tätigen nach spätestens 10 Jahren eine Aufgabe in der Fläche übernehmen, 7 Jahre – wie in der zentralen Verwaltung des Jesuitenordens – wären die bessere Lösung, das ist auch eine biblisch begründete Zahl, so im Deuteronomium das Erlassjahr. Eine solche Reform bringt eine Verwaltung aus sich heraus allerdings nicht auf den Weg. Das könnte eine regionale Synode entscheiden, ohne mit dem Vatikan in Widerspruch zu geraten. Die Teilnehmer des synodalen Prozesses könnten es auch auf Grund ihres Mandats, aber als Mitglieder tief in die katholische Mentalität verstrickt, werden sie das den Menschen an den Bildschirmen nicht zumuten.
Missionarisch werden, wäre doch eine berufliche Perspektive, die ein Landratsamt nicht eröffnen kann. Da sie jedoch dem Papst nicht folgen wollen, verbauen sie noch zusätzlich den in der Verwaltung Tätigen den Zugang zu entscheidenden Erfahrungen des Christseins, die man erst am Bett eines Kranken, in der Telefonseelsorge, bei der Hausaufgabenhilfe für Flüchtlinge, bei Besuchen in Gefängnissen, als Religionslehrer - eben an den Rändern machen kann. Erst da erlebt man die Freude, die Franziskus in seiner ersten Enzyklika versprochen hat. So wird alles im System bleiben und im Selbstwiderspruch festgezurrt.
Nicht Akten, sondern die Bibel zeigt den Ausweg aus dem Selbstwiderspruch
Systemtheoretisch geht es darum, den Kölner u.a. Verantwortlichen einen Ausweg aus dem Selbstwiderspruch zu eröffnen. Was führt aus dem System „Fehler machen die anderen“ und „Zuerst muss die Verwaltung gesichert werden, sonst bricht alles zusammen“? Jesus hat an vielen Begegnungen gezeigt, wie das geht, und hat Erlösung versprochen. Nach Verwaltungsprinzipien müsste der Großteil der Menschen in der Hölle landen. Im Kleinen wäre, um aus dem deutschen Verwaltungsprinzip herauszukommen, Begegnung Öffnung des Systems. Die Täter begegnen den Opfern, bekennen ihre Schuld und bitten um Vergebung. Das gilt auch für die Personalverantwortlichen. Diese haben die Opfer insofern diskriminiert, als sie ihnen lange nicht geglaubt haben und weitere Unschuldige nicht vor Übergriffen geschützt haben. Für die Opfer ist das Eingeständnis Voraussetzung, dass sie sich von den Verletzungen distanzieren können und vielleicht die Wunden verheilen. Es wäre in der Nachfolge Jesu die wichtigste Tat eines Bischofs, den Opfern den Druck zu nehmen, sie hätten die Täter verleumdet. Wenn es den Opfern möglich wird, den Tätern zu verzeihen. Würde das eintreten, dann würden die Querelen um die Akten zeigen, dass es gar nicht notwendig war. Zumal die Aufarbeitung aus Akten in der Vergangenheit haften bleibt. Erlösung aber beinhaltet, von der Last des Alten befreit zu leben. Erlösung aber tut auch weh, sie fängt nicht bei den anderen, sondern beim „Ich bekenne“ an. Vor dem scheinen viele Täter und Verantwortliche sich überfordert zu fühlen. Das Wort Jesu „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“, gilt nicht den anderen, sondern zuerst der Eindämmung der eigenen Überheblichkeit. Der Frau gibt er mit auf den Weg „und sündige nicht mehr!“
Lesen Sie dazu:
Missbrauchsgutachten: Die zweite Meile fehlt (kath.de-Kommentar vom 19. März 2021)
Nicht gerichtsfest, sondern katholisch den Missbrauch aufarbeiten