Die Inzidenzen sinken und viele Menschen erleben wieder ein Stück mehr Normalität. Und viele Gläubige hoffen, dass auch die Kirchen allmählich wieder mehr Teilnehmende zu Gottesdiensten zulassen und Online-Messen in Präsenz verlegen. Doch ein Zurück zum Gewohnten, zur sonntäglichen Heiligen Messe ist auf Dauer nicht zukunftsfähig. Gerade die Pandemie hat gezeigt: Das Konzept Heilige Messe erzeugt eine Distanz zwischen Geistlichen und Gemeinde und trägt zu wenig zur individuellen Spiritualität der Gläubigen bei.
Tibor Janosi Mozes auf Pixabay
Die Corona-Pandemie hat die Kirche in Deutschland dazu gezwungen, einen Fuß in die ihr nach wie vor wenig bekannte digitale Welt zu setzen. Sie muss sich andere Kanäle für Liturgie und Seelsorge suchen als nur die sonntägliche Messfeier. Während des ersten Lockdowns und der Absage von Präsenzgottesdiensten haben selbst kleinere Gemeinden überraschend schnell reagiert und Gottesdienst-Livestreams auf die Beine gestellt, sodass die Gläubigen sonntags nicht mehr nur aus dem Angebot in Rundfunk und Fernsehen schöpfen, sondern die Gottesdienste auch aus ihrer „eigenen“ Gemeinde mitfeiern konnten. Durch die bekannten Gesichter in der Gemeinde und den vertrauten Kirchenraum wurde und wird digitale Teilhabe an der Gemeinde ermöglicht.
Doch der Kern des Gemeindeleben bleibt auf der Strecke, nämlich das aktive Miteinander der Gläubigen. In den meisten Gemeinden wird derzeit, neben den eingeschränkten Präsenz- und Online-Messen, kaum aktive Gemeinschaft geboten. Aber gerade in Zeiten der Krise brauchen wir jemanden, der uns hilft, unsere Beziehung zu Gott und dem Glauben zu verstehen. Und die Geistlichen brauchen jemanden, der ihnen erklärt, wie es ist, eine Beziehung zu Gott aufzubauen, wenn man vielleicht nicht dem theologischen Idealbild entspricht. Als Geschiedene, Wiederverheiratete, Alleinerziehende, Homosexueller. Von seiner erhöhten Position am Altar kann der Geistliche keine Individuelle „Hilfe“ leisten.
Messe bietet keine individuelle Spiritualität
Das Konzept der Heiligen Messe ist nicht großartig anders als der Frontalunterricht, den man aus der Schule kennt. Dass dieser jedoch nicht die beste Methode der Wissensvermittlung ist, dämmert wenigstens den meisten Pädagog:innen mittlerweile. Wissen und Inhalte können nicht effektiv verstanden werden, wenn man sie bloß auswendig lernt und nachbetet. Was erfahre ich über meinen Glauben, wenn ich die Messe brav mitfeiere, fleißig die Gebete aufsage und bei der Predigt ein wenig abschweife, da ich ohnehin nicht aktiv darauf reagieren kann? Dafür benötige ich Interaktion. Das Evangelium, die Liturgie kann ich zu Hause nachlesen. Meine Gebete werden viel persönlicher, wenn ich sie still für mich alleine spreche. Auf die Eucharistie verzichten viele zur Risikogruppe gehörende Gläubige seit über einem Jahr. Was ich jedoch nicht alleine zu Hause kann: Mit Gleichgesinnten über meinen Glauben sprechen, Aspekte erörtern, die ich nicht verstehe, Zweifel aus dem Weg räumen, das Evangelium interpretieren und analysieren. Erst durch den Austausch, das Sprechen darüber mit Geistlichen und Mit-Gläubigen kann ich verstehen und verinnerlichen.
Messe verstärkt Hierarchie
Diese Augenhöhe wird aktuell jedoch kaum erreicht. Stattdessen werden durch die Pandemie die hierarchischen Strukturen der Kirche verfestigt, die durch Missbrauchsskandal und der Frage nach Frauenweihe so stark in die Kritik geraten sind. Durch Lockdown, Schließung von Kindergärten, Herunterfahren des aktiven Gemeindelebens und Online-Gottesdienste ist die karitative Kirche aus dem Blick geraten. Dabei ist es gerade dieser Zweig der Kirche, der funktioniert, bei dem Frauen eine wichtige Funktion haben, Glaubensinhalte weitergeben und das Gemeindeleben mitgestalten. Seelsorge, Begleitung derjenigen, die weder an Präsenz- noch Online-Gottesdiensten ihrer Gemeinde teilnehmen können, Katechese – all das sind Aspekte, die während Corona zunehmend aus dem Fokus geraten und neben den Online-Messen kaum noch Beachtung innerhalb der Gemeinden finden.
Messe schafft Distanz
Stattdessen sieht man bei vielen Online-Gottesdiensten vor allem den Zelebranten im Fokus – alleine am Altar, in einer scheinbar leeren Kirche, denn als Zuschauer vor dem Bildschirm kann man seinen Blick nicht durch die Kirche, durch die Gemeinde schweifen lassen. Doch auch in Präsenzmessen wird eine ähnliche Botschaft transportiert: Der Zelebrant steht in erhöhter Position am Altar, schaut auf die Gemeinde herunter, die in den meisten Kirchen abseits des Altarraums in den Bänken sitzt und zum Priester aufschaut, der die Messe scheinbar als Monolog feiert. Vor der Pandemie haben einige Zelebranten den Altarraum vielleicht verlassen, um der Gemeinde zum Friedensgruß die Hand zu reichen, ansonsten bleibt die einzige Annäherung von Gemeinde und Geistlichem während der Messe das Austeilen der Kommunion. Wie kann man von der gemeinsamen Glaubensfeier oder einem religiösen Miteinander sprechen, wenn die Teilnehmenden in zwei Bereiche der Kirche getrennt werden? Gemeinsames Feiern bedeutet doch gemeinsames Kommunizieren, auf Gesagtes reagieren, sich im Raum frei bewegen können. Miteinander impliziert doch Interaktion und Austausch.
Die Pandemie hat gezeigt, welche Möglichkeiten für Austausch, Nähe und aktives Miteinander der digitale Raum bietet, wo räumliche Nähe nicht möglich ist. Wieso dann an räumlicher Distanz festhalten, wenn Nähe möglich wäre?
Lesen Sie dazu auch Das Sakrament des bronzenen Hut-Hakens von Matthias Alexander Schmidt
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