Faszinierend und inspirierend war Königin Elisabeth II. für unsere Chefredakteurin und England-Expertin Kerstin Barton. Die Queen ist in 70 Jahren Regentschaft menschlicher geworden, volksnaher und blieb sich doch treu. Doch sie differenzierte stets zwischen der öffentlichen Queen Elizabeth und der privaten “Lilibet”. Pflicht und Krone vor allem anderen? Nach der Devise wollen ihre Erben nicht mehr leben.
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Queen Elizabeth II. ist tot. Diesen Satz zu schreiben, fühlt sich unwirklich an. Wirkt wie eine Ente, ein Aprilscherz. Es war nur wenige Tage her, dass ich den Instagram-Post zur Amtseinführung der neuen Premierministerin gesehen habe. Kränklich sah die Queen da aus, mit 96 darf man das. Aber trotzdem lächelnd, standfest, immer im Dienst. Und jetzt ist es vorbei, das zweite Elisabethanische Zeitalter.
Es gibt viele Bereiche, in denen die Queen ihre Spuren hinterlassen und ihre Zeit geprägt hat. Wenn ich an die Queen denke, fallen mir drei auf Anhieb ein:
Feminismus
Elizabeth war 25 Jahre alt, als sie den Thron 1952 bestieg. Sie traf auf eine Regierung von alten weißen, aristokratischen Eton-Absolventen unter der Führung des Nationalhelden Winston Churchill, die versuchten, ihr zu diktieren, wie sie ihren Job zu machen hatte. Die Hofdiener, die schon unter ihrem Vater im Dienst waren, hatten viel mehr Ahnung und Erfahrung vom Protokoll, der Tradition, davon, was und wie es zu tun war. Doch der Beginn ihrer Regentschaft in der Nachkriegszeit hat ein neues Land hervorgebracht, eine Generation, die nicht mehr nach den alten Spielregeln von Patriarchat und Class System spielen wollte. Elizabeth hat einen entscheidenden Beitrag zu Emanzipation und Feminismus geleistet, indem sie den alten weißen Männern innerhalb einer patriarchalischen Gesellschaft gezeigt hat, dass sie als Frau doch klug, erfahren und stark genug war, um ein mehr als tausendjähriges Erbe anzutreten. Sie konnte die Fußstapfen ausfüllen, ein Empire, eine Kirche, eine Familie, die “königliche Firma" führen. Sie hätte sich wohl lieber als Hausfrau auf dem Land an der Seite eines Aristokraten gesehen und das traditionelle Rollenverständnis, mit dem sie groß geworden war, weitergeführt. Doch das Schicksal forderte eine andere Rolle von ihr, eine Position, in der sie die Hosen anhaben musste, wo der Mann zwei Schritte hinter ihr zu stehen hatte und nur ihr Wort zählte.
So ist sie ein Vorbild für alle Frauen, denen gesagt wird, sie seien nicht klug, nicht hübsch genug, nicht erfahren, nicht gut genug. Elizabeth hat gezeigt, dass sie als Frau genauso viel, vielleicht sogar ein bisschen mehr auf dem Kasten hat, und zwar durch ihre Taten, still und ohne Beschwerde: “Never complain, never explain” – so hat sie mit Bravour erfüllt, was von ihr in ihrer Position erwartet wurde.
Stabilität
England und das Vereinigte Königreich hatte einige Monarchen, die ihre Zeit namensgebend geprägt haben. Zwei davon Frauen, die ihre Zeit nicht nur durch ihre lange Regentschaft, sondern durch ihr Wirken zur Ära gemacht haben, deren Namen man mit Wandel und Veränderung verbindet. Nach dem Tod der Queen könnte man daher von einem zweiten Elisabethanischen Zeitalter sprechen. Anders als ihre Namensvorgängerin vergrößerte Elizabeth II. nicht das Britische Empire, sondern musste seinen "Verfall" hinnehmen. Zuletzt erklärte Barbados in diesem Jahr seine Unabhängigkeit von der britischen Krone. Mehrfach war Großbritannien in einer Wirtschaftskrise, drohte zusammenzubrechen, als der harte Kurs von Margaret Thatcher die Arbeitslosigkeit steigen ließ, Tausende auf die Straßen trieb oder die Frage nach dem Verbleib Großbritanniens in der EU Teile des Vereinigten Königreichs und Teile der Gesellschaft beinahe spaltete. Die meisten Briten und auch andere Weltbürger verbinden Großbritannien mit Queen Elizabeth II.. Die meisten kennen kein anderes britisches Staatsoberhaupt, feierte Elizabeth doch erst vor wenigen Monaten ihr “Platines Thronjubiläum". Premierminister kamen und gingen. Ebenso politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen, die das Land erschütterten. Doch die Queen blieb und vermittelte Stabilität. Sie war da, als der Krieg endete, als mit Gründung der EU eine neue europäische Geschichte begann, als der Eiserne Vorhang fiel und auch, als das Vereinigte Königreich wieder aus der EU austrat. Die Queen stand über alledem, äußerte sich nie öffentlich zu politischen Themen, ließ ihre Haltung höchstens einmal durch ihre Kleiderwahl oder die Position ihrer Handtasche durchblitzen. Sie war schließlich Königin aller Bürger, so unterschiedlich die Ideologien und Meinungen auch sein mochten. Solange die Queen da war, wusste man sich gut aufgehoben. Vieles hatte man mit ihr durchgestanden, also würde man auch jede neue Krise durchstehen können.
Pflichtgefühl
Krisenerprobt war die Queen nicht nur politisch, sondern vor allem auch privat. Die Ehen drei ihrer vier Kinder scheiterten, wurden geschieden, für sie als Oberhaupt der anglikanischen Kirche ebenso ein Stich wie für sie privat als tiefgläubiger Mensch. Dabei stand sie immer im Zwiespalt ihrer Doppelrolle, der privaten “Lilibet" und der öffentlichen Queen Elizabeth II. Ihre Priorität lag stets auf dem Versprechen, das sie als 21-Jährige den Bürgern des Vereinigten Königreichs und des Commonwealths gegeben hatte: Das ganze Leben in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger zu stellen. So musste sie Entscheidungen treffen, die sie als Mutter, Schwester oder Großmutter nie getroffen hätte: Das private Glück der Schwester verbauen, den eigenen Sohn öffentlich verstoßen oder den geliebten Enkel aus der ersten Reihe der Familie verbannen. Viele Entscheidungen haben ihr wohl als Mensch das Herz gebrochen, als Königin musste sie sie aber aus Pflichtgefühl für ihr Land treffen. Während andere Monarchen in Europa die Krone an die nächste Generation weitergaben, blieb sie ihrem Schwur treu. Die Salbung bei der Krönungszeremonie war ein untrennbarer, heiliger Bund, den sie eingegangen war und bis zu ihrem letzten Atemzug erfüllte. So bewundernswert diese Loyalität für die Krone und ihr Pflichtgefühl waren, muss man dennoch fragen, ob diese Mentalität des Hinnehmens, sich nie Äußerns, der Tabuisierung von Schwächen noch unangefochten zu der Gesellschaft passt, die wir uns heute wünschen. Die Queen pflegte stets die Devise: Pflicht und Krone vor allem anderen, wenn es sein muss auch vor der Familie. Über Probleme wurde geschwiegen, ein möglichst perfektes Bild für die Öffentlichkeit gewahrt. Ihre Enkelkinder machen es inzwischen anders, setzen andere Grenzen und Prioritäten, wie es sich die Queen nie getraut hat. Sie reden offen über mentale Gesundheit, berichten von ihren eigenen mentalen Problemen, Depressionen und davon, wie toxisch sie die Erwartungen an die Royals oftmals empfunden, wie alleingelassen sie sich mit ihren Problemen hinter den Palastmauern gefühlt haben. Die neue Generation Royals scheut nicht davor zurück, auch den Medien eine klare Ansage zu machen, sie wenn nötig sogar zu verklagen.
Die Frau hinter der Krone
Denn die Queen hat durch ihr stets souveränes und pflichtbewusstes Auftreten die Öffentlichkeit oftmals vergessen lassen, dass hinter den pastellfarbenen Kostümen und der immer perfekt frisierten Dauerwelle die Frau Elizabeth steckte, die von ihrem Vater und später von ihrem Ehemann liebevoll Lilibet genannt wurde. Eine Frau, die das einfache Leben inmitten ihrer Familie liebte, in Gummistiefeln und Kopftuch ihre Hunde ausführte und sich nicht zu schade war, die Tupperdosen für das Picknick selbst zu füllen, wie Wegbegleiter und Palastinsider verrieten. Sie hat nie viel Aufhebens um sich selbst gemacht. Humor soll sie gehabt haben, typisch britsch: trocken und ein bisschen schrullig. So ließ sie es sich auch nicht nehmen, anlässlich der olympischen Spiele in London für einen kurzen Videofilm als "Bondgirl" zusammen mit Daniel Craig auf Mission zu gehen oder in einem Film zu ihrem “Platinen Thronjubiläum” mit der Kinderbuchfigur Paddington ein Marmeladen-Sandwich zu teilen.
96 Jahre Lilibet, 70 Jahre Queen Elizabeth. Eine Jahrhundert-Queen, die Traditionen weiterentwickelt, ein Land durch Krisen begleitet und dabei das Steuer nie verlassen hat. Fehler hat sie in 70 Jahren Regentschaft sicherlich einige gemacht. Nicht selten standen sie und das System, das sie verkörperte, in der Kritik. Ist eine Monarchie noch zeitgemäß? Passen Jahrhunderte alte Traditionen noch zu einer modernen und offenen Gesellschaft? Einiges hat sie sich zu Herzen genommen, ist menschlicher geworden, volksnaher, hat versucht mit der Zeit zu gehen. Doch öffentlich hat sie stets differenziert zwischen der Queen und der Frau Elizabeth. Die Queen hat mich fasziniert und inspiriert. Traditionsbewusst hat sie die Herausforderungen ihrer Zeit angenommen, Veränderungen gewagt und ist sich dabei immer treu geblieben.
Thank you your Majesty for your service and may you rest in peace.