Der Karsamstag ist ambivalent, nur schwer einzuordnen. Liturgisch hat er keine große Bedeutung, ein richtiger Feiertag ist er auch nicht. In ihm wird die ganze Polarität des Osterfestes deutlich. Ein Bild für die Widersprüche und Ambivalenzen des Lebens.
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Eigentlich herrscht am Karsamstag noch Grabesruhe. Am Karfreitag sind, Leiden und Sterben Christi liturgisch präsent, ich bin ehrfürchtig ernsthaft gestimmt, ich spüre die Totenstille buchstäblich. Am Karsamstag hingegen habe ich kein schlechtes Gewissen, wenn morgens im Auto das Radio läuft und ich die Lieder mitsumme. Da bis zur Osternacht keine liturgischen Feiern stattfinden, steht der Karsamstag bei uns in der Gemeinde im Zeichen der Vorbereitung. Der Vormittag ist damit gefüllt, den Altar wieder feierlich mit Blumen, Kerzen und dem frisch gestärkten Altartuch zu schmücken. Dass ich den Küsterinnen zur Hand gehe, ist längst zu einer Art Tradition geworden. Verabreden müssen wir uns nicht mehr. Ort und Uhrzeit sind seit Jahren gleichgeblieben. Wir gehen also noch einmal den Ablauf der Messe durch, damit am Abend alles und jeder auf seinem Platz ist. An Stille und Gebet denkt dabei niemand. Gedanklich sind wir um Stunden im Voraus. Auch zuhause laufen die Vorbereitungen auf Ostern auf Hochtouren. Während der Hefeteig für den Osterzopf aufgeht, wird die Wohnung geputzt, die Osternester werden bestückt und das Osterfeuer der Kleingärtner vorbereitet. Am Karsamstag richtet sich mein Blick nach vorne, auf die anstehende Osternacht, das Osterfest. Ein Rückblick auf die Stille des vergangenen Tages, ein Verweilen in der Trauer fällt mir schwer. Der Tag ist so mit Lärm gefüllt, dass ich keine Ruhe finde. Die ToDo-Liste nimmt mich so sehr in Anspruch, dass mir die Zeit fehlt, an Karfreitag zu denken. Warum denn auch lange in der Trauer verweilen, wenn ich doch weiß, dass wir in einigen Stunden wieder lauthals singen, einander voller Freude „Frohe Ostern“ wünschen werden? Die Vorfreude über das, was kommt, überschattet meine Auseinandersetzung mit dem Hier und Jetzt, der Grabesruhe, der Trauer.
Polarität des Ganzen
Dabei ist Ostern nicht nur Freude und Auferstehung, Eiersuche und Beisammensein. Ostern funktioniert nur durch die zusammenhängende Gegensätzlichkeit der vorausgegangenen Woche. Der Jubel von Palmsonntag mündet in der Forderung nach Jesu Tod. Die Gemeinschaft beim Letzten Abendmahl endet damit, dass Jesus alleine auf dem Ölberg betet, während die Jünger schlafen. Die Trauer am Karfreitag wird durchbrochen von dem Wunder der Osternacht. Wie alles auf der Welt besteht auch Ostern aus zwei Polen, die untrennbar zu einer Einheit verbunden sind und erst in ihrer Gegensätzlichkeit Sinn ergeben. Das Morgen macht überhaupt nur durch das Gestern Sinn. Auferstehung ohne Tod gibt es nicht. Und genau dazwischen liegt der Karsamstag. Leider gibt es keine Markierung, keinen Timer, der mir anzeigt, wenn ich mich genau in der Mitte dieser beiden Pole befinde. Deshalb schaffe ich es auch nicht beide mit gleicher Intensität in den Blick zu nehmen. Und doch lenkt der Karsamstag mein Bewusstsein auch auf die
Polarität meines Lebens
Je mehr ich mich mit der Bedeutung dieses Tages auseinandersetze, versuche einen Sinn in seiner Ambivalenz zu entdecken, desto bewusster erkenne ich, dass ich viel zu oft nur in eine Richtung schaue und den Gegenpol dabei vollkommen ausblende. Besonders die letzten beiden Jahre Pandemie, die sich wie eine kollektive Unzufriedenheit anfühlten, haben mich oftmals durch eine negativ-Brille schauen lassen. Dass in dem Wort jedoch „Zufriedenheit“ steckt, habe ich als Sprachwissenschaftlerin einfach überlesen. Wenn ich mir jedoch beide Pole bewusstmache, ergeben scheinbar negative Empfindungen plötzlich einen Sinn. Die Enttäuschungen, ja regelrechte Verzweiflung, die ich zum Beispiel während meiner Jobsuche empfunden waren es wert, weil ich schließlich in dem Job gelandet bin, der mich langfristig zufrieden stellt. Durch zerbrochene oder verlorene Freundschaften, die mich so manche schlaflose Nacht gekostet haben, weiß ich die Menschen in meinem Leben mehr zu schätzen. Tatendrang und Aktionismus resultieren bei mich oft aus einem Zustand von Niedergeschlagenheit und Trägheit. Der Karsamstag gibt Enttäuschungen, Untätigkeit und Kummer einen Sinn, denn er vereint beides ineinander: Grabesruhe und Osternacht. Am Karsamstag gibt es bei uns natürlich Fisch – und zugleich schmort schon der Braten für Ostern im Ofen.