Kölner Muezzinruf: Akustisch aufgedrängtes Politikum

In Köln dürfen im Rahmen eines Modellprojekts Moscheen jeden Freitag fünf Minuten lang ihre Gläubigen zum Gebet rufen. Inzwischen haben zehn der 45 Kölner Gemeinden Interesse bekundet, unter anderem auch die DİTİB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld. Die Stadt Köln, die durch das Projekt Toleranz und religiöser Vielfalt mehr Raum geben möchte, ebnet stattdessen den Weg für Intoleranz und ausgrenzende Machtdemonstrationen.

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Köln ist die erste Millionenstadt in Deutschland, die den öffentlichen Muezzinruf nicht nur wegen der Corona-Pandemie, sondern regulär für zwei Jahre erlaubt. Dieser darf freitags gläubige Muslime zwischen 12 und 15 Uhr an ihr Gebet erinnern. Die Lautstärke ist dabei abhängig von Lage der Moschee. Die Erlaubnis grundsätzlich ist nicht neu in Deutschland. In Düren beispielsweise, unweit von Köln, darf der Muezzin in der Fatih-Moschee schon seit 1984 rufen, und das dreimal täglich.

Zeichen für Toleranz?

„Wenn wir in unserer Stadt neben dem Kirchengeläut auch den Ruf des Muezzins hören, zeigt das, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt wird“, rechtfertigt die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker den Modellversuch. Muslime sollten sich nicht als Menschen zweiter Klasse fühlen, sondern ihr Glaubensleben und ihre Lebensgestaltung gleichberechtigt ohne Einschränkungen leben dürfen. Doch ist das wirklich abhängig von der Hörbarkeit des Muezzin-Rufs, zumal dieser aus muslimisch-theologischer Sicht nicht obligatorisch ist?

In muslimisch geprägten Ländern hat der Muezzin-Ruf eine lange Tradition und erschallt fünfmal täglich. Der Muezzin soll gerade an Freitagen zum Gebet rufen. Das Freitagsgebet ist laut Koran für Männer verpflichtend, für Frauen empfohlen. Damit richtet sich der Muezzin-Ruf also in erster Linie an Männer. Auch in Köln darf der Muezzin nur an Freitagen rufen. Dies widerspricht dem westlichen Toleranzgedanken, indem etwas im Namen der Vielfalt gefördert wird, das Frauen ausschließt. Mindestens die Vielfalt der Geschlechter und deren Gleichberechtigung werden durch die Adressatengruppe des Rufes also eigentlich schon abgelehnt.

Anders als Kirchenglocken

Auch der Inhalt des Rufs steht nicht gerade für Vielfalt. Befürworter des Muezzinrufs ziehen den Vergleich mit Kirchenglocken, so auch die Kölner Oberbürgermeisterin. Der Vergleich hinkt jedoch ein wenig, da sich beides grundlegend unterscheidet, sowohl im Inhalt als auch in der Absicht. Glocken sind zunächst ein akustisches Signal, sie existieren nicht nur im religiösen Bereich, sondern zeigen auch die Zeit an oder sind in weltlichen Institutionen, wie etwa Rathäusern, im Gebrauch. Glocken im christlichen Sinne erinnern Christen an ihr Gebet und die Eucharistiefeier. Sie stehen symbolisch für die christliche Botschaft und bezeugen diese, wenn an Sonntagen zur Messe geläutet wird.
Der Muezzinruf hingegen ist ein gesprochenes Glaubensbekenntnis, ein Gebet. Die Botschaft ist klar formuliert, offensichtlich, nicht “versteckt”, wie es bei Glockengeläut der Fall ist. Aus dem Arabischen übersetzt heißt es soviel wie: „Gott ist der Allergrößte. Ich bekenne, dass es keine Gottheit gibt außer Gott. Ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Gottes ist. Kommt zum Gebet. Kommt zum Heil. Gott ist der Allergrößte. Es gibt keine Gottheit außer Gott.“ Es erfolgt also ein klares Bekenntnis, dass es einen Gott gebe und dieser der Größte sei. Nur bei ihm und in dieser Religion gibt es demnach Heil. Dieses Bekenntnis wird anderen Menschen gewissermaßen akustisch aufgedrängt. Der Muezzinruf wird mit der Religionsfreiheit von und für Muslime begründet, doch was ist mit der negativen Religionsfreiheit der Menschen, die im Umfeld der Moschee leben?
Im Grundgesetz ist geregelt, dass zwar jeder ein Recht auf freien Glauben und die Freiheit hat, sein religiöses und weltanschauliches Bekenntnis zu wählen. Dagegen steht das Recht, kein religiöses Bekenntnis abgeben und religiöse Riten nicht vollziehen zu müssen. Grundsätzlich sind Menschen durch das Hören des Rufs Teil einer religiösen Äußerungsform, indem sie ein Bekenntnis hören, das sie nicht unbedingt unterstützen oder hören wollen. Die Hörer sind die eine Seite, doch wer ruft eigentlich?

Autokratischer Einfluss aus der Türkei

Die größte Moschee Kölns, 2018 vom türkischen Staatspräsident Erdogan eingeweiht, hat nun auch den Muezzinruf beantragt. Ihr Träger ist der Verein Ditib, der zuvor als Grundvoraussetzung für den Bau der Moschee in Ehrenfeld schriftlich zugesagt hatte, den Muezzinruf nur im Inneren der Moschee abzuspielen. Acht Verbände hat der Verein alleine in Köln, die der türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit dem Präsidenten selbst unterstehen. Erdogan steht nun nicht eben für Toleranz und Vielfalt. Kann der Muezzinruf so wirklich als reine Religionsausübung betrachtet werden? In diesem Fall wirkt es eher wie eine Machtdemonstration über die Stadt und ein Zeichen von Überlegenheit, wenn eine konservative Moschee den Ruf aus ihren Lautsprechern erschallen lässt. Der Muezzinruf läuft Gefahr, als Politikum missbraucht zu werden. Das betrifft nicht alle Moscheen, die ihr Interesse bekundet haben. Jedoch wird dem Extremismus ein weiterer Raum in der Gesellschaft gegeben, die ihn sichtbarer beziehungsweise hörbarer werden lässt. Diese Sorge wurde auch von Menschen geäußert, die vor genau diesem Islam aus dem Nahen Osten geflohen sind. So wurde im nordrhein-westfälischen Herford eine Frau, die in unmittelbarer Nähe zu einer Moschee lebte, beim Ruf des „Allahu Akbar“ immer ohnmächtig. Der Ruf weckte ihre Erinnerungen an die Flucht vor der Terrorgruppe “Islamischer Staat” (IS) und ließ ihr Trauma jedes Mal erneut wiederaufleben.

Muslimisches Leben nicht davon abhängig

Die Sorge unter Muslimen selbst, mit Extremisten in Verbindung gebracht zu werden, ist groß. Ebenso die Angst vor Rassismus gegenüber Muslimen. Das erklärt wohl auch das Zögern vieler Gemeinden, den Muezzinruf auch für ihre Moschee zu beantragen. Politik wird in manchen Moscheen gar nicht zur Sprache gebracht, in anderen ist sie Teil der religiösen Lehre. Der Muezzinruf wird meist im Inneren der Moschee ausgerufen, es gibt sogar eine App, die diesen abspielt. Das sollte wohl ein guter Mittelweg sein, damit jeder Muslim den Gebetsruf hören kann, ohne dass sich andere verletzt fühlen. Die Stadt Köln und ihre Oberbürgermeisterin Henriette Reker möchten mit dem Modellprojekt „ein Zeichen der gegenseitigen Akzeptanz der Religion“ setzen. Für diese Akzeptanz braucht es nicht ein Glaubensbekenntnis, das durch die Straßen gerufen wird, sondern einen konstruktiven Dialog der verschiedenen Religionsgemeinschaften untereinander und in der Gesellschaft.

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