Toleranz für Ungeimpfte?

In Deutschland wird es ab Mitte Oktober eine indirekte Impfpflicht gegen das Corona-Virus geben. Durch zusätzliche Kosten für Nicht-Geimpfte möchte die Bundesregierung eine höhere Impfquote erreichen. Obwohl es mittlerweile genügend Impfstoff und Impfangebote gibt, möchten sich viele Bürgerinnen und Bürger nicht impfen lassen. Ist diese Haltung nachvollziehbar?

Gerd Altmann auf Pixabay

Aktuell sind rund 62% der impfberechtigten Bevölkerung in Deutschland vollständig gegen das Corona-Virus geschützt. Eine Impfung ist unumgänglich, um die Pandemie beherrschbar zu machen und zu einer gewissen Normalität zurückzukehren. Der Impfstoff schützt nicht nur mich selbst, sondern auch die Personen in meinem Umfeld. Aus diesem Solidaritätsgedanken unterstütze ich die Maßnahmen der Bundesregierung, die die Impfquote erhöhen sollen. Auch der Gedanke einer indirekten Impfpflicht ist genau genommen kein neuer. So müssen Kinder, bevor sie eine Kindertagesstätte besuchen dürfen, seit März 2020 gegen Masern geimpft werden. Dabei geht es um die Ausrottung einer gefährlichen Krankheit, bei der erst ab einer Impfquote von 95% eine Herdenimmunität besteht. Ähnlich verhält es sich bei der aktuellen Pandemie: Es geht nicht nur um die Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch um ihre wirtschaftliche Existenz. Ich ärgere mich über diejenigen, die eine Impfung verweigern oder noch zögern, obwohl es genug Impfstoff und Angebote gibt. Ich frage mich, welche Ansichten diese Leute haben und was sie zu ihrer Meinung bewegt.

Impfzöger:innen statt Impfgegner:innen

In vielen Medien ist die Rede von Personen, die aus Prinzip gegen alles sind, was von Virolog:innen und Politiker:innen veröffentlicht und verordnet wird. Sie plädieren für völlige Selbstbestimmtheit darüber, was dem eigenen Körper zugeführt wird und legen dabei nicht selten eine gewisse Rücksichtslosigkeit an den Tag, nach dem Motto: Andere impfen sich doch, warum sollte ich es dann noch tun? Man gewinnt schnell den Eindruck, vielen dieser Menschen geht es hauptsächlich um Trotz, Wut und Aufmerksamkeit. Um genauer zu verstehen, was sogenannte “Impfgegner:innen” bewegt, habe ich mit Leuten gesprochen, die sich bisher bewusst gegen eine Impfung entschieden haben. Dabei wurde deutlich: Man darf diese Menschen nicht pauschal als Impfverweigerer abstempeln. Sie sind eher Impfzögerer. Die meisten lehnen eine Impfung nicht per se ab, sondern sind vielmehr verunsichert.

Die größte Verunsicherung besteht in der Angst vor womöglich schädlichen Langzeitfolgen und möglichen Nebenwirkungen der Impfstoffe. Die Vakzine seien erst so kurz auf dem Markt und erstaunlich schnell zugelassen worden. Viele beklagten zudem ein Hin und Her in den offiziellen Aussagen. Beispiele hierfür gab es viele, die Diskussion um die Zulassung von Astrazeneca, die Mischung zweier verschiedener Impfstoffe oder die Frage: Dürfen Kinder geimpft werden oder nicht? Diese teils widersprüchlichen Aussagen von offiziellen Institutionen wie des Robert-Koch-Instituts oder der Ständigen Impfkommission führten zu Verwirrung und Misstrauen. Teilweise fehlt es an grundsätzlichem Vertrauen in das Gesundheitssystem. Die Aufklärung über die Impfstoffe, deren Wirkungen und Nebenwirkungen hätte noch besser aufbereitet und verbreitet werden müssen: noch leichter verständliche Informationen, noch transparenter.

Gut zureden reicht nicht mehr

Die Gespräche mit meinem Umfeld waren schwierig, ich hatte den Eindruck, die Diskussionen bringen eigentlich niemanden einen Schritt weiter. Mir fiel auf, dass alle Beteiligten schnell in einen Verteidigungsmodus gerieten. Diejenigen, die sich gegen die Impfung positionierten, fühlten sich mit ihren Ängsten und Fragen nicht ernst genommen und schnell angegriffen. Argumente, die für eine Impfung sprechen, trafen auf taube Ohren. Es bildeten sich zwei “Fronten”, die sich vermutlich durch die bevorstehenden Einschränkungen für Ungeimpfte noch verhärten werden. Die Gesellschaft könnte sich sozusagen in Geimpfte und Ungeimpfte spalten.

Und gleichzeitig werden die Maßnahmen der Regierung mit Sicherheit dazu führen, dass sich viele weitere impfen lassen werden. Meine Gesprächspartner fühlten sich unter Druck gesetzt. Das ist zwar einerseits irgendwie die Absicht strengerer Regeln für Ungeimpfte, schafft jedoch auch weiteres Misstrauen – vor allem deshalb, weil ich mit einer Impfung nicht meine vollen Freiheitsrechte zurückerhalte, sondern es weiterhin Einschränkungen geben wird, etwa bei der Anzahl von Personen in Diskotheken und Bars, bei Konzerten und Feiern. Das Corona-Virus wird nicht verschwinden, sondern wir müssen damit leben. Es geht nicht um eine möglichst niedrige Infektionszahl, sondern darum, wie viele schwere Fälle es tatsächlich nach einem Impfangebot für alle noch gibt. In meinen Gesprächen konnte ich so etwas wie Gruppenzwang beobachten. Diejenigen, die sich für eine Impfung aussprechen, waren in der Überzahl. Zusammen mit der Drohung im Hintergrund, bald vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen oder benachteiligt zu sein, sehen meine Bekannten für die nähere Zukunft fast keine andere Möglichkeit mehr, als sich impfen zu lassen.

Solidaritätsimmunität

Der einzige Ausweg aus der Pandemie führt nur über die Impfung, wie Mediziner bereits seit Monaten bestätigen. Die Gespräche mit Impfzögerern haben mir gezeigt, dass die Verunsicherung und das Misstrauen nicht mehr durch gutes Zureden oder Argumente beseitigt werden können. Wenn durch eine Regelung, die zu mindest einen Teil der Skeptiker zum Impfen bewegt, die notwendige Herdenimmunität – besser gesagt: Solidaritätsimmunität – schneller erreicht werden kann, ist eine indirekte Impfpflicht nicht nur legitim, sondern auch notwendig.

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