Rom vertraut dem „Deutschen Wesen“ nicht

Die Spannungen zwischen deutschem Katholizismus und der römischen Zentrale nehmen weiter zu. Die deutsche Seite fühlt sich blockiert. Es geht um Grundsatzfragen, denn die Protagonisten des Synodalen Weges wollen das innere Gefüge der katholischen Kirche umbauen. Der Vatikan zeigt sich dem Unterfangen gegenüber sehr skeptisch. Warum aber sollte er allerdings dem Vorhaben der Deutschen zutrauen, dass sich entscheidend etwas am Zustand der Kirche in Deutschland ändert? Zur Einordnung der Spannungen ein Kommentar – mehr aus römischer Sicht.

Die deutsche Kirche geistert aus. Die Austrittszahlen steigen, in absehbarer Zeit reicht deshalb die Kirchensteuer nicht mehr, um die Institution zu finanzieren. Es muss etwas geschehen. Auf die Tagesordnung haben Bischofskonferenz und oberstes Laiengremium die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, eine neue Sexualmoral, die Stellung der Frau und die Lebensform der Priester gesetzt. Vor allem sollen Laien an der Leitung der Pfarreien beteiligt werden. Das Monopol der Priester, über alles in der Pfarrei letztlich entscheiden zu können, soll fallen. Warum man sich gerade von diesen Themen erhofft, wieder mehr Menschen zur Teilnahme an den Gottesdiensten und am Leben der Gemeinde zu bewegen, ist Vielen, gerade in den jüngeren Jahrgängen, nicht deutlich. Auch wenn die Fragen von Vielen als dringend eingeschätzt werden, ist es unwahrscheinlich, dass man damit das verdunstende religiöse Leben wieder zum Blühen bringen wird.

Man könnte sich in Deutschland doch einfach mal fragen, warum der Vatikan die Entwicklung unterstützen soll. Es geht wohl auch nicht nur um einige kirchliche Themen. Ist nicht die Weise, wie die Sprecher des deutschen Katholizismus ihre Beziehung zur Zentrale bestimmen, typisch deutsch? Und wurde den Impulsen aus Rom genügend Aufmerksamkeit entgegengebracht, dass die Kardinäle motiviert wären, auf die Anliegen der deutschen Katholiken einzugehen? Aus römischer Sicht besteht dazu kein Anlass. Denn von Rom aus blickt man auf die Kirchen, die wachsen, also auf Afrika und Asien, die Probleme der im Wohlstand handelnden Kirchen bleiben nachrangig.

Die deutsche Kirche ist nicht mehr Ideengeber für andere Länder

Ich bin wahrscheinlich nicht so im deutschen Katholizismus und seiner Mentalität verwurzelt, weil ich einem internationalen Orden angehöre. Ich treffe immer wieder Mitbrüder aus Indien und Afrika. Mit Latein- und US-Amerikanern habe ich studiert. Wenn ich dann auf die deutschen Katholiken blicke, bin ich immer wieder erstaunt, wie sich ihr Zentralkomitee als Vorreiter für die Kirchen in diesen Ländern sieht. Es ist lange nicht mehr so, dass aus anderen Ländern Katholiken auf Deutschland schauen, um für ihre eigene Pfarrei, für kirchliche Schulen und Krankenhäuser etwas zu lernen. Es ist nur noch das Geld, das die deutschen Katholiken zur Verfügung stellen. Diese Großzügigkeit macht uns sympathisch. Anders noch beim Konzil vor bald 60 Jahren: Französische und deutsche Theologen, Liturgiker, Bischöfe und Laien, die als Berater mitwirkten, haben die Ideen eingebracht, die dann von der Gesamtkirche aufgegriffen wurden und, z.B. in Lateinamerika, zu energischen Reformen geführt haben. Die deutschen Bischöfe kamen aus Rom mit dem Bewusstsein zurück, dass das Konzil in ihren Sprengeln weitgehend schon vorweggenommen worden sei. Anderswo setzte das Konzil mehr Energien frei.

Vom Geächteten zum Sponsor

Dieses Selbstverständnis – „auf uns blickt man“ – hatte eine ganze andere Einstellung abgelöst. In den Jahren nach dem Krieg fühlten sich auch deutsche Katholiken als moralisch große Versager. Ich habe noch Leute kennengelernt, die, oft noch als Schüler, eingezogen worden waren und somit den Nationalsozialismus nicht nur, wie meine Generation, aus Erzählungen kannten. Sie waren damals froh, von der Großkirche wieder aufgenommen worden zu sein. Diese Generation hatte nicht das kritische Verhältnis zu Rom, vielmehr war man dankbar, trotz der deutschen Untaten, noch dazugehören zu dürfen. Das Wohlwollen Pius‘ XII. für Deutschland wurde wie eine warme Sonne genossen. Was hat die deutschen Katholiken bewogen, sich nach dem Konzil in eine Gegenposition zur Leitung einer Gemeinschaft zu bringen, die ihre Perspektive an den Anliegen der Südhalbkugel ausrichtet, in der ein US-Kardinal in den letzten Jahrzehnten nie zum Papst gewählt worden wäre? Eine Kirche, die der Finanzindustrie äußerst kritisch gegenübersteht. Das in einer Bundesrepublik, die viele Anregungen der Katholischen Soziallehre aufgegriffen hat.

Die römische Zentrale und andere Länder können davon ausgehen, dass sie die deutschen Katholiken wieder in das gemeinsame große Schiff hineingeholt haben. Die Deutschen sollten sich aufgenommen und nicht abgelehnt fühlen. Erstaunlich war dann die große Resonanz auf Rudolf Hochhuths Theaterstück „Der Stellvertreter“. Hier wird der Vorwurf erhoben, der Papst hätte die Deutschen aus den Fängen des Diktators herauslösen und die Juden retten können. Da war er schon, der deutsche Blick: „Wir könnten ja, würden andere uns nicht hindern“. Kein Bemühen ist zu erkennen, dass deutsche Katholiken anderen zu erklären suchen, welche Ideen auf die Deutschen so große Anziehungskraft ausübten, dass sie motiviert in den Krieg zogen und der Judenvernichtung kaum Widerstand entgegensetzten.

Für die päpstliche Kurie ist Deutschland problematisch

Wer von Rom aus auf die Kirchen in den einzelnen Ländern schaut, der kann aus der Geschichte kein allzu großes Wohlwollen für Deutschland schöpfen. Es sind nicht nur der Nationalsozialismus und 400 Jahre vorher die Reformation, sondern auch die atheistischen Philosophen des 19. Jahrhunderts: Feuerbach, Marx, Nietzsche sind mit ihren Ideen nicht wirkungslos geblieben. Die beiden ersten haben die kommunistischen Diktaturen inspiriert, Letzterer den Nationalsozialismus. Kann es anderen geheuer sein, wenn das „Deutsche Wesen“ nach Bestätigung sucht? Ist die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle der deutschen Kirche so überzeugend gelungen, dass die Welt auf uns schauen müsste? Natürlich kann man hier auf die Amtskirche zeigen, aber haben die Laien die Impulse in die Gesellschaft getragen, in die Sportverbände oder gar in die Familien? Haben Katholiken dafür gesorgt, dass die Mädchen mehr in den Blick genommen werden, die sehr viel mehr Opfer werden als Jungen? Auch jetzt schaut der Synodale Prozess in dieser Frage nur auf die eigene Kirche, obwohl deutlich ist, dass die Gesellschaft insgesamt mit einem riesigen Problem konfrontiert ist.

Die Beziehung zur Zentrale kannte bessere Zeiten

Es gab Phasen, in denen die deutschen Katholiken sich eng mit Rom verbunden fühlten. Über Jahrhunderte waren sogar die deutschen Könige und Kaiser die engsten Verbündeten des Papsttums. Als es dann zur Kirchenspaltung kam, waren es die Habsburger und die bayerischen Herzöge, die die Reste des Katholizismus noch am Leben erhielten. Wo situieren sich die deutschen Katholiken heute, wenn sie an entscheidende Strukturelemente die Hand legen. Und kann die Gesamtkirche den Änderungswünschen einer Kirche nachkommen, die die jüngeren Generationen verloren und nur leere Ausbildungsstätten vorzuweisen hat? Was soll aus Deutschland Vielversprechendes kommen?

Keine Reaktion auf Impulse der Päpste

Was in den Gängen des Vatikans sicher auch vermerkt wird: Anstöße der Päpste werden erst gar nicht beantwortet.

  1. Die Finanzierung der deutschen Kirche hatte Benedikt XVI. schon infrage gestellt. Den Impuls hätte man vor Jahren aufnehmen können. Mit den Kirchensteuereinnahmen aus Zeiten der Vollbeschäftigung wurde stattdessen wurde die Institution weiter ausgebaut. Der Betrieb ist inzwischen so teuer, dass radikale Kürzungen bevorstehen. Auch wenn man an der Kirchensteuer festhalten will, die Frage, ob Reichtum dem religiösen Leben nicht abträglich ist, gehört auf die Tagesordnung einer deutschen Kirchenversammlung.

  2. Papst Franziskus hat in einem Brief an die Katholiken in Deutschland darauf aufmerksam gemacht, nicht die Innenrenovierung vor den missionarischen Impuls zu setzen. Das würde man jedem Unternehmen empfehlen, dem der Zuspruch der Menschen abhandenkommt: Das Produkt muss renoviert werden, ehe man die Strukturen schafft, mit denen das Angebot den Zielgruppen vermittelt wird. Das lenkt den Blick auf die nachwachsenden Generationen.

Was erwarten junge Erwachsene?

Was in meinem Orden angegangen wurde, die spirituelle Praxis, das Charisma der ignatianischen Spiritualität neu freizulegen, erwarten die Dreißigjährigen von der katholischen Kirche insgesamt. Eine religiös fundierte Alltagspraxis wird in der Postmoderne neu angefragt, nämlich sich im Leben zurechtzufinden. Der Kirche wird zugetraut, dass sie eine Schatzkiste besitzt, in der wertvolle Dinge aufbewahrt, aber nicht mehr praktiziert werden. Um die nachwachsenden Generationen anzusprechen, ist eine Begleitung auf dem Weg ins Leben gefragt, auch konkrete Übungen, um sich zu orientieren und mit dem Wirrwarr zurechtzukommen. Bei kath.de kommen die Jüngeren zu Wort. Mehrere Autor:innen haben die Generation Y in ihren Befindlichkeiten beschrieben. Ihre Anliegen finden sich kaum auf der Tagesordnung des Synodalen Prozesses. Auch ihre spirituellen Erwartungen werden in Beiträgen dargestellt, die im Modul über die Millennials zusammengestellt sind. Erstaunlich ist der Wunsch nach Kontemplation. Die Kurse, die angeboten werden, sind ausgebucht.

Wenn es um eine Beziehung geht, die sich nicht auf die Rechtsordnung zurückzieht, dann könnte die römische Zentrale auch einiges zur Verbesserung beitragen. Da dazu anderweitig schon Hilfreiches gesagt ist, sei nur auf die Besprechung der römischen Kleruskongregation verwiesen:

Njet des Vatikans erfordert mutige Lösungen der deutschen Kirchenkrise

Was erwarten Dreißigjähre von Kirche und Gesellschaft:
Millennials – die Generation Y verstehen