Das Verhältnis zwischen Polizei und BürgerInnen muss neu justiert werden. Die jüngsten Vorfälle um die hessische Polizei haben es gezeigt. Aber auch die Debatte um strukturellen Rassismus in der Polizei und die Weigerung des Innenministers, eine Studie zu sogenanntem „Racial Profiling“ zuzulassen. Statt Abschaffungsforderungen von der einen und Schuldzuweisungen von der anderen Seite zu wiederholen, sollte ein Verständnis dafür geschaffen werden, dass es eigentlich gar keine Seiten geben dürfte.
„Racial Profiling“ ist verboten und findet also nicht statt. So lautete die Begründung des Bundesinnenministers dafür, eine externe Studie zu dieser diskriminierenden Praxis nicht in Auftrag zu geben. „Racial Profiling“ beschreibt ein Vorgehen, bei dem Menschen gezielt aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei kontrolliert werden. Folgt man der Argumentation Seehofers, dann müsste die Polizei auch keine Studien über Kriminalität anfertigen. Die ist ja schließlich auch verboten.
Gesellschaftliche Selbsthilfegruppe
Die Polizei bestreitet den Vorwurf, sie habe ein strukturelles Rassismus-Problem. Rassistische Vorfälle gingen von Einzeltätern aus. Das Problem an dieser Argumentation: Die Polizei nimmt für sich in Anspruch, ein Spiegel der Gesellschaft zu sein. Rassismus ist aber ein relevantes gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht nur von einzelnen ausgeht. Wenn Polizistinnen und Polizisten also einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen – wie die Polizei selbst argumentiert –, dann bilden sie auch die gesellschaftlichen Rassismus-Probleme ab.
Gleichzeitig ist die Polizei leider kein absoluter Querschnitt der Gesellschaft: Menschen mit Migrationshintergrund etwa sind unterproportional vertreten. Dieser Umstand befreit die Polizei natürlich erst recht nicht von Rassismus-Vorwürfen. Was man aber nicht vergessen darf: Die Rassismus-Vorwürfe gegenüber der Polizei kommen aus einer Gesellschaft, die selbst strukturellen Rassismus kultiviert und sich noch nicht genügend mit diesem Problem auseinandersetzt. Insofern kann man die gesellschaftliche Kritik an der Polizei gewissermaßen als konstruktiven Hinweis zur Bildung einer Art gesamtgesellschaftlichen Selbsthilfegruppe verstehen.
Die Staatsgewalt auf Augenhöhe
Mit ihrer Weigerung, die Kritik anzunehmen, spaltet sich die Polizei von der Gesellschaft und den BürgerInnen ab, wirkt dadurch gewissermaßen wie ein Gegenpol zur Gesellschaft. Dabei sollte sie doch selbst Bestandteil eben dieser Gesellschaft sein. Historisch entstand die Polizei ja, damit geltendes Recht unter ZivilistInnen von ZivilistInnen selbst umgesetzt wird. Vorher wurde dies meist vom Militär erledigt, die bis heute einer anderen Gesetzgebung unterliegen. Die Polizei kann also eine sehr demokratische Institution sein. Nichts verkörpert eine Regierung von BürgerInnen für BürgerInnen, wie eine Staatsgewalt, die ihnen auf Augenhöhe begegnet.
In den letzten Jahren häufen sich Vorfälle mit Rechtsextremen im Polizeidienst. Kritik wird zurückgewiesen, stattdessen wird häufig eine Opferrolle eingenommen. Die Forderung, eine externe Ermittlungsstelle einzurichten, damit KollegInnen nicht gegeneinander ermitteln, wird als Vertrauensbruch der Bevölkerung mit der Polizei wahrgenommen. Polizisten seien auch nur Menschen, heißt es dann oft. Menschen, auch im Polizeidienst, machen aber eben auch Fehler, so wie alle anderen Menschen. Eine externe Ermittlungsstelle würde diesem Umstand besonders Rechnung tragen.
Was haben Kirche und Polizei gemeinsam?
Der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr, der an der Akademie der Polizei in Hamburg lehrt, plädierte im „Spiegel“ dafür, Fehlverhalten von PolizistInnen nicht zu pathologisieren oder auf einzelne „schwarze Schafe“ zu schieben. Fehlverhalten könne vielmehr allen PolizistInnen gleichermaßen unterlaufen. Als Lösung schlägt Behr unabhängige Forschungen über Strukturen innerhalb der Polizei sowie eine „Kultur der Aufmerksamkeit“ vor.
Einen interessanten Vergleich zieht Behr übrigens zwischen Polizei und Kirche: Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer hatte 2018 gesagt: „Der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche.“ Wilmer sprach dabei von einer „Struktur des Bösen“. Der Bischof wollte damit sicherlich nicht sagen, dass die Kirche insgesamt böse sei, sondern wollte strukturelle Ursachen für Probleme aufzeigen und so Individualisierungen verhindern.
Genauso wenig wie die Kirche ist die Polizei insgesamt böse oder rassistisch. Aber es gibt Strukturen, die Rassismus oder das Decken von Rechtsextremismus in der Polizei begünstigen. Die Polizei tut sich keinen Gefallen damit, gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass es diese Probleme doch gar nicht gäbe, um daher mehr Respekt von den BürgerInnen einzufordern. Dies würde das Misstrauen auf beiden Seiten nur weiter schüren. Eine gesellschaftliche Institution braucht einen offenen Umgang mit gesellschaftlichen Problemen. Die Polizei muss verstehen und anerkennen, dass sie ein Teil der Gesellschaft ist.