Verschwörungsglaube – Indikator für eine kranke Demokratie?

Verschwörungsmythen sind gefährlich: für die Demokratie, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Leib und Leben der Angehörigen marginalisierter Gruppen. Aber sind es beschädigte Demokratien selbst, die sie hervorbringen?

Michael Knoll auf Pixabay

Bill Gates hat Corona erfunden, um uns alle zum Impfen zu zwingen und uns dabei heimlich Mikrochips unter die Haut zu transplantieren, mit denen man uns rund um die Uhr überwachen kann. Mit Behauptungen wie diesen gehen seit Beginn der Pandemie vor mehr als einem Jahr Teile der sogenannten Querdenker-Bewegung auf die Straße.

Antisemitische Chiffre

Solche Erzählungen klingen für viele Menschen zwar so absurd, dass man gerne darüber lachen möchte. Dennoch sind sie gefährlich, in mehrerlei Hinsicht. Viele Verschwörungsmythen vermuten im Verborgenen handelnde Gruppen, die unser aller Leben lenken. Historisch gesehen wurden oft Jüdinnen und Juden dafür verantwortlich gemacht. Ein Beispiel sind die berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“, ein vom zaristischen Geheimdienst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Umlauf gebrachtes Pamphlet, das etwa davor warnte, Juden wollten mit dem Bau von Metrosystemen die Sprengung ganzer Städte ermöglichen.

Auch heute noch stehen Jüdinnen und Juden im Zentrum vieler Verschwörungserzählungen. Dabei werden sie allerdings nicht immer direkt genannt. Man hat verstanden, dass es für die eigene Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nicht gerade von Vorteil ist, unverhohlen gegen Juden zu hetzen. Namen wie Rockefeller, Rothschild oder Soros gelten aber vielen Verschwörungsgläubigen als Chiffre für diejenigen, die sie hinter den Verschwörungen vermuten. Im Dritten Reich wurden antijüdische und antisemitische Verschwörungsnarrative bekanntermaßen zur ideologischen Staatsräson erhoben. Bis heute steht die Shoah als mahnendes Beispiel für die destruktive Kraft von Verschwörungsmythen. Neben Jüdinnen und Juden richten sich Verschwörungserzählungen heute aber auch gegen anderen Gruppen. So gehen viele Gläubige etwa davon aus, die deutsche Bevölkerung solle nach und nach mit Geflüchteten aus muslimisch geprägten Ländern ersetzt werden.

Echte und falsche Verschwörungen

Es gibt aber auch echte Verschwörungen. Von der Ermordung Cäsars an den Iden des März bis zum Militärputsch in Myanmar: Immer wieder verschwören sich Menschen zu einem bestimmten Zweck miteinander. Es gibt allerdings wichtige Unterschiede zwischen diesen realen Verschwörungen und den Mythen, die man heute so oft zu hören bekommt: Verschwörungsgläubige behaupten meist, zwischen so gut wie allen wichtigen Ereignissen auf der Welt bestehe irgendein Zusammenhang. Dabei sind reale Verschwörungen in den meisten Fällen auf ein konkretes Ziel hin ausgerichtet: Wenn das Militär putscht, möchte es normalerweise vor allem die Macht in einem Land übernehmen. Natürlich kann auch hinter solchen Vorfällen eine größere Agenda stehen. Im Kalten Krieg unterstützten die Supermächte häufig solche Verschwörungen kleiner Gruppen zur Erlangung der Staatsmacht. Doch hier kommt ein zweiter Unterschied zwischen echten Verschwörungen und Verschwörungsmythen ins Spiel: Anhänger von Verschwörungsmythen behaupten meistens, nichts sei in Wahrheit so, wie es scheint.

Verschwörungsmythen tragen auch zur Polarisierung der Gesellschaft bei. Sie erschaffen ein derart existenzielles Bedrohungsszenario, z.B. in Form eines angeblichen Bevölkerungsaustausches, dass im Kampf gegen diese herbei phantasierte Gefahr jedes Mittel recht scheint. Auch die drastischste Maßnahme bis hin zur Gewaltanwendung bedarf mit Verweis auf diese angebliche Bedrohung im Grunde keiner weiteren Rechtfertigung mehr, schon gar keiner demokratischen: Verschwörungsgläubige gehen davon aus, dass die meisten Menschen um sie herum von Staat und Medien manipuliert werden. Die große Gefahr könnten sie nicht erkennen, ihre Meinung sei mithin irrelevant.

Eine Gefahr für die Demokratie

Solche Auffassungen sind eine Gefahr für die Demokratie und den pluralistischen Diskurs. Denn sie versuchen nicht, andere Standpunkte argumentativ zu entkräften, sondern sprechen ihnen einfach die Gültigkeit ab. Wie gefährlich das ist, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Menschen in Deutschland an solche Erzählungen glauben: Laut einer Erhebung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019 beinahe jeder Zweite. Warum sind Verschwörungsmythen so beliebt und verbreiten sich so stark?

Wer glaubt eigentlich an Verschwörungsmythen?

Studien legen nahe, dass Verschwörungsgläubige sich meist machtlos fühlen; so, als hätten sie keine Kontrolle über ihr Leben. Kein Wunder also, dass sich während der anhaltenden Pandemie solche Erzählungen besonders verbreiten: Ein Virus, das man nicht einmal sehen kann, schränkt unser Leben massiv ein. Die Maßnahmen der Bund- und Länder-Regierungen zur Eindämmung der Pandemie wirkten oft wirr und intransparent. Das dürfte nicht gerade positiv zum Sicherheits- und Kontrollgefühl vieler Bürger:innen beigetragen haben.

Doch auch vor der Pandemie schienen viele Menschen das Gefühl zu haben, nicht länger die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben. Das sollte uns als Gesellschaft und dem Staat zu denken geben. Schließlich ist es der Grundsatz einer jeden demokratisch verfassten Ordnung, dass alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen und am Gemeinwesen teilhaben können. Das ist besonders wichtig, weil in einer demokratischen Gesellschaft die Entscheidungen aller Einfluss auf des Leben jedes Einzelnen haben können.

Temporäre und dauerhafte Schädigungen

Wenn viele Bürger:innen das Gefühl haben, diese demokratischen Versprechen nicht einlösen zu können, kann das zwei Ursachen haben: Entweder es gibt diese Möglichkeiten zu Teilhabe und Selbstbestimmung nicht in dem Maße, in dem es sie geben sollte. Das wäre ein Bruch demokratischer Grundsätze. Oder die Betroffenen können die vorhandenen Möglichkeiten nicht sehen. Das würde bedeuten, dass Staat und Gesellschaft ihrer Pflicht, allen Bürger:innen ein gewisses Maß an Bildung zukommen zu lassen, nicht nachkommen. Auch das betrifft den Kern der Demokratie selbst, denn ohne mündige, gebildete Bürger:innen, kann sie nicht funktionieren.

Sicherlich trägt momentan beides zur Verbreitung von Verschwörungstheorien bei. Gerade in Zeiten des Lockdowns ist es faktisch viel schwieriger ein selbstbestimmtes Leben zu führen oder Einfluss auf das Gemeinwesen zu nehmen. Bestimmte Dinge, die eine Demokratie ausmachen, sind momentan außer Kraft gesetzt. Diese Möglichkeiten dürften allerdings nach dem Ende der Pandemie zurückkehren. Hier ist die Demokratie also nur temporär geschädigt. Der eklatante Bildungsmangel hinsichtlich demokratischer Institutionen tritt nun allerdings besonders deutlich zutage und wird wahrscheinlich nicht so schnell wieder verschwinden. An diesem Punkt ist unsere Demokratie also durchaus dauerhaft geschädigt. Sie schafft es, all ihre Bürger:innen zur Mündigkeit zu erziehen und ihnen so das Rüstzeug mitzugeben, dass sie für ein selbstbestimmtes Leben brauchen.