USA treten als Weltmacht ab, der Vatikan nicht

Weltmächte werden nicht von außen besiegt, sondern zerfallen von innen her. Wegen ihrer Größe sind sie verwundbarer. Corona zeigt: Die USA können sich nicht mehr so organisieren, dass sie eine solche Krise beherrschen. Löst China die USA als wirtschaftlich und militärisch dominierende Macht ab? Und wie agiert eine Weltkirche?

Der erste Mann der USA lässt über Twitter die ganze Welt daran teilhaben, wie er aus „America first“ ein „America second“ macht. Eigentlich sind die USA „first“, der Dollar ist das Medium, über das die globalen Wirtschaftsströme und die Lieferketten in Fluss gehalten werden. Das Land unterhält die größten Militärverbände zu Wasser, in der Luft und – technisch, gesehen – auch zu Land. Es ist die wissenschaftlich und in der Digital-Technologie kreativste Nation. Ihre Filme werden weltweit gesehen, ihre Künstler bestimmen den Musikgeschmack. Das Land verfügt über die personenbezogenen Daten der Länder, in denen Google und Facebook genutzt werden. Was kaum bekannt ist: Es hat den höchsten Etat für seine Spionagedienste. China und Russland brauchen diese Etats für die Kontrolle ihrer eigenen Bevölkerung, die US-Regierung bekommt diese Daten von Google & Co. Trotz dieser vielen Machtmittel zerfällt das System USA. Nur der Vatikan ist nicht in der Hand des Landes. Nicht nur erhielt George W. Bush von Johannes Paul II. für den Angriff auf den Irak kein OK, ein Kardinal plauderte nach dem letzten Konklave, dass ein Amerikaner nie Papst werden könne. Wie agieren beide Welt-Unternehmen:

Der innere Zusammenhalt löst sich in den USA aufch auf

Eine Pandemie funktioniert wie ein Stresstest. Den haben China und – noch besser – Singapur und Südkorea, aber auch einige europäische Länder bestanden, die USA nicht. Die hohe Ansteckungsrate und die vielen Toten sind nicht auf den Stand der Medizin zurückzuführen. Die meisten Nobelpreise, auch in Medizin, gingen bisher in die USA. Das Land kann seine Ressourcen nicht so organisieren, dass seine Stärken zum Tragen kommen. Die Zentralregierung hat kein gemeinsames Vorgehen mit den Bundesstaaten zustande gebracht und wahrscheinlich gar nicht gewollt. In prosperierenden Zeiten wurde ein Schuldenberg aufgetürmt, der die Handlungsmöglichkeiten der Regierung in Zukunft stark begrenzen wird. Der tiefste Riss ist die Rassenfrage. Sie hat sich an dem Tod eines Mannes entzündet und bestimmte vorher schon das Wahlverhalten. Trump wurde von der weißen, unteren Mittelschicht deshalb gewählt, weil er verspricht, dass die Latinos und andere nicht-europäische Einwanderungsgruppen die Dominanz der Weißen nicht ablösen werden. Der Zaun im Süden der USA sichert ihm die Stimmen im Rostgürtel des Nordens. Die früheren Industriearbeiter sehen nämlich in jedem Lateinamerikaner, der illegal in die USA kommt, einen Konkurrenten für die Arbeitsplätze, die Trump versprochen, aber bisher nicht geschaffen hat und wohl auch demnächst nicht schaffen wird.

Tritt China an die Stelle der USA?

Im Moment kann China in den internationalen Institutionen die Plätze besetzen, die die USA gerade räumen. Es wird auf jeden Fall das Machtvakuum nutzen, das durch den Rückzug der USA entsteht. Ob es den Einfluss gewinnen kann, den die USA kulturell und technologisch aufgebaut haben, ist fraglich. Die übrige Welt wird nicht in dem Maße chinesische Filme ansehen. Wir werden auch nicht die chinesische Unterhaltungsmusik den von den USA durchgesetzten Geschmacksrichtungen vorziehen. China wird nicht wie die Forschungsstätten in den USA die kreativsten Köpfe anziehen. Englisch wird weiter die Sprache bleiben, in der man sich global verständigt, auch weil Indien beim Englischen bleiben wird. Vor allem hat China kein attraktives Konzept, wie das menschliche Zusammenleben gelingen kann, indem Vielfalt durch eine überzeugende Staatsidee integriert wird. Der Vergleich macht deutlich, mit welchen kulturellen, wirtschaftlichen, technologischen Ideen die USA nicht nur zur militärischen Weltmacht wurden. Das Land ist dabei, das zu verspielen.

Islam und Vatikan: Weltmächte?

Es gibt zwei religiöse Großorganisationen, die beide nicht von den USA gesteuert werden. Blickt man von diesen Perspektiven auf die Kirchen, dann zeigt sich, dass die Trennung von Staat und Kirche entscheidend war, ob eine Konfession sich zur Weltkirche entwickeln konnte. Anders als eine Weltmacht braucht es keine besonderen Mittel, um in einem Land Gemeinden zu gründen. Mit dem einen Buch und den für alle gleichen Riten kann eine weltweite Präsenz organisiert werden. Der Islam, der in vielen Ländern, so wie das Christentum, den Polytheismus ablöste, sieht die Menschheit ebenso als Einheit, die insgesamt Adressat der göttlichen Offenbarung ist. Er hat aber kein Konzept für die Zukunft der Weltbevölkerung entwickelt, mit dem er die Weichenstellungen beeinflussen kann, die in diesen Jahren erfolgen werden. Ihm gelingt es auch nur noch in Afrika, Bewohner der Länder als Gläubige zu gewinnen. In China werden viele, die bisher keine religiöse Bindung entwickelt haben zu Christen, praktisch niemand wird dort Muslim.

Der Vatikan ist weltweit nicht nur durch eigenständige Diözesen präsent, die nicht von der Finanzierung durch die Zentrale abhängig sind, sondern auch durch seine Nuntiaturen („Botschaften“). Den erfahrenen Diplomaten ist es gelungen, mit China ein Abkommen zustande zu bringen. Das erfüllt nicht die Erwartungen der chinesischen Katholiken. Aber es bietet in dem Land, in dem das Christentum zahlenmäßig wohl am stärksten wächst, einen ersten Ansatz, die schnell wachsende Kirche in die Gesamtkirche einzubeziehen. Es ist nicht erkennbar, dass Rom sich von der erreichten Position zurückziehen will. Die Ernennung von Bischöfen bleibt in der Hand des Papstes, die Liturgie wird einheitlich geregelt, die Ausbildungsinstitutionen stehen unter der Aufsicht des entsprechenden päpstlichen Ministeriums. Rom positioniert sich, anders als die USA, nicht als Wirtschaftsmacht, sondern sieht sich als Anwalt derjenigen, die durch das kapitalistische System benachteiligt werden. Warum profitiert die katholische Kirche in Deutschland nicht von der weltweiten Vernetzung und auch nicht von der Resonanz, die der Papst auch in deutschen Medien erzielt?

Deutsche Kirche leidet unter Blickverengung

Wissen die deutschen Katholiken, zu welcher Weltorganisation sie gehören? Oder sind sie auch – wie die Republikaner in den USA – dabei, den Weitblick zu verlieren und sich nach dem Motto „deutsche Kirche zuerst“ in die zweite Reihe zu begeben? Dort sind sie bereits. Wer außerhalb Deutschlands unterwegs war, fragt sich, warum sich die deutschen Laien als Speerspitze der kirchlichen Entwicklung sehen. Die Bischöfe sehen das wohl realistischer, nämlich dass die Positionen der deutschen Katholiken kaum noch Interesse bei anderen Kirchen in Europa finden. Es gibt nur noch die gut organisierten Agenturen wie Missio, Misereor, Adveniat und Renovabis, die dem deutschen Katholizismus außerhalb Europas Renommee verschaffen.Ist die katholische Kirche in Deutschland finanziell immer noch gut ausgestattet und kann sie sich einen großen personellen Apparat und viele Gebäude leisten, ist sie wie die USA nach innen nicht handlungsfähig.

USA-ähnliche Malaise

Der sexuelle Missbrauch schwelt seit zehn Jahren wegen mangelnder Entschlossenheit. Die Mitglieder sind immer weniger von der Relevanz des Evangeliums überzeugt, es gibt keine innere Entschlossenheit, die Gesellschaft mitzugestalten. Symptom dieser USA-ähnlichen Malaise ist der synodale Prozess, mit dem ihre Bischofskonferenz und ihr Zentralkomitee die Katholiken in die totale Provinzialität geführt haben. Das war einmal anders. Als Bismarck den Katholiken mit dem Kulturkampf die Kehle deshalb zuschnürte, weil sie nicht national genug waren, organisierten Arnold Janssen u.a. den weltweiten Einsatz von Ordensleuten und Priestern, die in Deutschland nicht tätig werden konnten. Wo ist dieser weltweite Atem geblieben?

Während die deutsche Politik ihre Position neu sucht, bleibt die katholische Kirche in den Reparaturarbeiten an ihrer überdimensionierten Struktur stecken. Es fließt zwar Geld in die Weltkirche, aber Impulse aus Rom und den auf Zuwachs ausgerichteten Diözesen scheinen für Deutschland nicht nachahmenswert. Es geht katholisch im Moment um „das deutsche Wesen“. Dieses Relikt bestimmt die deutsche Politik glücklicherweise nicht mehr.