Organspende: So rettet man kein Leben

Die Entscheidung des Bundestages, den Gesetzesentwurf zur Organspende abzulehnen, spaltet die Nation. Die Kirchen atmen erleichtert auf, ÄrztInnen schütteln hingehen den Kopf und sehen eine vertane Chance für mehr Spendenbereitschaft. Neue Ansätze der Bundesregierung wirken hilflos.


Aktuelle Ansätze versprechen nicht mehr „Ja“ zur Organspende (Foto: Barton/kath.de)

Eine Spende sei nur dann eine Spende, wenn sie freiwillig getätigt werde, heißt es von Vertretern der beiden großen Kirchen in Deutschland. Die Würde eines Menschen müsse auch im Sterben und im Tod unantastbar bleiben, kommentierte Kardinal Woelki den Gesetzesentwurf zur Widerspruchslösung noch vor der Abstimmung im Bundestag. Zu groß ist die Angst vor einer Instrumentalisierung, gar einer Herabwürdigung des menschlichen Körpers zu einem „Ersatzteillager“.

Das Widerspruchsmodell, welches schon seit Jahren in 23 europäischen Ländern praktiziert wird, sieht vor, dass jede_r Bürger_in nach dem Tod automatisch zum oder zur Organspender_in wird, es sei denn er oder sie legt aktiv Einspruch dagegen ein und lässt sich als „Nicht-Spender“ registrieren. Entgegen aller Kritik würde auch bei diesem Modell die Organspende weiterhin ein freiwilliger Akt der Nächstenliebe bleiben, stünde es doch jedem Bürger frei, von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch zu machen. Dennoch sehen viele in dem Modell das Grundrecht der Integrität von Leib und Leben berührt. Manche Gegner des Gesetzentwurfs sprachen gar vom „Ausschlachten“ des Körpers. Der menschliche Körper verlöre dadurch seine Individualität und Einzigartigkeit.

Hinter jeder Zahl steckt ein Menschenleben

In Deutschland sterben jeden Tag etwa drei Menschen, weil sie vergeblich auf ein Spenderorgan warten. In keinem anderen europäischen Land stehen so viele Menschen auf der Warteliste wie in Deutschland, derzeit fast 10.000 Menschen. Gleichzeitig gibt es fast nirgendwo in Europa so wenige Organspender wie in Deutschland. Auf eine Million Einwohner kommen gerade einmal 11,5 Organspender. Im „Spitzenreiterland“ Spanien sind es gut 47 Spender pro Millionen Einwohner.

Die Tragweite der Bedeutung von Organspenden wird vielen erst dann bewusst, wenn im privaten Umfeld ein Spenderorgan benötigt wird. Durch das hoffnungslose Warten merken Angehörige und PatientInnen, wie wichtig die Bereitschaft wäre, die eigenen Organe nach dem Tod zu spenden. Doch viele haben Angst vor Missbrauch oder vorschnellem Handeln seitens der Ärzte. Schätzungsweise nur jede_r dritte Deutsche hat einen Organspendeausweis ausgefüllt. Viele geben zu, dass sie sich einfach zu wenig mit dem Thema beschäftigt haben. Schließlich bedeutet das Thema Organspende unweigerlich eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Es besteht ein Informationsdefizit bei den Menschen, das dringend ausgeglichen werden muss.

Fehlende Informationen

Daher möchte die Bundesregierung, dass vermehrt für Organspende geworben und dazu beraten wird – allerdings mit hilflos wirkenden Mitteln: Künftig sollen die ohnehin schon überlasteten Hausärzte ihre Patienten regelmäßig zu dem Thema aufklären. Auch in Ausweisstellen sollen BürgerInnen demnächst von dafür nicht geschultem Personal auf Organspende angesprochen und mit Informationsmaterialien versorgt werden. Ob die Spendenbereitschaft zudem durch Fernsehspots zwischen Zahnpasta- und Autowerbung wirklich gesteigert werden kann, bleibt abzuwarten.

Überforderte Kliniken

Es reicht nicht aus, Menschen für das Thema zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Selbst wenn Menschen bereit sind zu spenden, scheitert die praktische Umsetzung oft an der schlecht ausgebauten Infrastruktur des Spenden- und Transplantationssystems. Gerade für kleinere Kliniken ist die Organentnahme ein wirtschaftliches Verlustgeschäft. Personalmangel, Leistungsverdichtung und Druck bewirken, dass in vielen Fällen gar nicht über Organspende gesprochen oder nachgedacht wird.

Oftmals werden potenzielle Spender nicht als solche identifiziert, weil Transplantationsbeauftragte zu sehr in den alltäglichen Klinikablauf involviert oder Experten nicht vor Ort sind. Viel zu oft kommen Organspenden sogar deshalb nicht zustande, weil SpenderInnen den Organspendeausweis nicht bei sich tragen. Dass eine so lebenswichtige Sache tatsächlich an einem Stück Papier scheitert, ist angesichts globaler Vernetzung und künstlicher Intelligenz eigentlich schwer vorstellbar.

Aufruf zur Reform

Es geht also nicht nur darum, Menschen stärker für das Thema Organspende zu sensibilisieren. Um langfristig mehr Transplantationen in Deutschland zu ermöglichen, bedarf es einer umfangreichen Reform des Spendensystems: Kliniken müssen finanziell entlastet werden und alle potenziellen SpenderInnen digital erfasst werden. Zudem müsste ermöglicht werden, dass Menschen sich im Alltag mit dem Thema Organspende beschäftigen können, aus medizinischer wie ethischer Sicht, und nicht nur, wenn der Bundestag über mögliche Änderungen abstimmt.