In einem Interview mit der Rheinischen Post hat Bundesminister Cem Özdemir angekündigt, dass er das „Containern“ straffrei machen will. Lebensmittelverschwendung ist ein großes Problem unserer Gesellschaft. Die Gesetzgebung ist oft sehr kompliziert und steuerliche sowie rechtliche Rahmenbedingen erschweren das Spenden von genießbaren Lebensmitteln. Das Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung steigt und unsere Nachbarländer machen vor, wie es besser laufen kann.
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Wer noch verzehrfähige Lebensmittel aus Abfallbehältern retten wolle, sollte dafür nicht belangt werden, fordert der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir. Menschen, die containern, retten Lebensmittel vor der Mülltonne und wollen der Lebensmittelverschwendung entgegenwirken. Auch Menschen, die nicht viel Geld übrig haben, müssen in Abfallcontainern nach Lebensmitteln suchen. Wer dabei erwischt wird, betreibt laut aktueller Gesetzeslage Diebstahl. Der Gesetzgeber sieht hierfür eine Geld- oder Freiheitsstrafe mit bis zu fünf Jahren vor. Gerade in der aktuellen Zeit, die geprägt ist von Krisen und Krieg, ist es wichtig, über dieses Thema zu sprechen. Durch die Inflation steigen die Preise enorm in die Höhe und der wöchentliche Einkauf wird doppelt so teuer. Viele Menschen können sich eine ausgewogene Ernährung kaum noch leisten und sind auf Spenden durch gemeinnützige Organisationen angewiesen. Die Tafeln verhängten zuletzt Aufnahmestopps, da sie schlichtweg überlastet sind. Während die Nachfrage steigt, gehen gleichzeitig die Spenden zurück und Hilfesuchende müssen weggeschickt werden. Zudem ist jedes weggeworfene Lebensmittel ein hoher Verbrauch an Energie, Wasser und anderen Rohstoffen, wodurch unsere Umwelt und das Klima mit unnötigen Treibhausgasen belastet wird.
Das Problem mit der Gesetzgebung
Laut Özdemir landen jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll, etwas mehr als die Hälfte davon aus Privathaushalten. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist nicht gleich Verfallsdatum und laut „Die Tafel“ sind Produkte noch bis zu mehreren Wochen nach Ablauf genießbar. Da es für Supermärkte oft sehr komplizierte rechtliche sowie steuerliche Rahmenbedingungen gibt, werfen diese die Lebensmittel eher in den Müll anstatt sie zu spenden. Besonders Backwaren, Obst und Gemüse sollen frisch und optisch attraktiv im Regal stehen. Übrig gebliebenes Brot vom Vortag oder Äpfel mit braunen Dellen oder Druckstellen werden oft aussortiert. Auch Waren, an denen die Verpackung beschädigt ist, landen im Müll. Außerdem schreibt die Gesetzgebung vor, dass es sich bei Sachspenden – dazu gehören auch Lebensmittel – um umsatzsteuerpflichtige Entnahmen handelt. Eine Ausnahme besteht nur bei Spenden speziell an „die Tafel“. Wenn Lebensmittel kurz vor dem MHD stehen oder Frischwaren wie Obst und Gemüse nicht mehr verkäuflich sind, fällt hierfür keine Umsatzsteuer an. Dass andere gemeinnützige Organisationen, die Lebensmittel an Bedürftige spenden, hier nicht aufgeführt werden, klingt absurd. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sind zur Vermeidung der Vernichtung noch essbarer Lebensmittel gesetzliche Änderungen vorgesehen. Dazu gehört auch das Thema „Sachspenden und Umsatzsteuer“. Vielleicht wird damit endlich festgelegt, dass Lebensmittel mit fehlerhafter Verpackung oder Lebensmittel, die derzeit aus unterschiedlichen Gründen vernichtet werden müssten, umsatzsteuerfrei gespendet werden können oder anderweitig verwendet werden dürfen. Ein weiterer Grund, weshalb Lebensmittel in der Mülltonne landen, ist eine Rechtsunsicherheit. Sollte es durch den Verzehr von verdorbenen Lebensmitteln zu gesundheitlichen Folgen kommen, wäre die Tafel in der Haftung. Dennoch schreckt dies viele Supermärkte von einer Spende ab. Aber auch die Füllmenge der Lebensmittel spielt eine Rolle. Wenn aufgrund von Produktionsfehlern die Menge von der Packungsangabe abweicht oder das Zutatenverzeichnis nicht in der richtigen Reihenfolge aufgeführt ist, sind die Tafeln verpflichtet, die Etiketten zu ändern. Dazu fehlt in den meisten Fällen allerdings das Personal und die Lebensmittel landen in den Containern.
Supermärkte verpflichten
Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick in unsere Nachbarländer. In Frankreich und Tschechien sind Supermärkte gesetzlich dazu verpflichtet, nicht verkaufte Lebensmittel an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden. Machen sie das nicht, drohen Bußgelder. Bedürftige sind so nicht länger gezwungen, in Containern nach Essen zu suchen, da diese dort nicht mehr landen. Auch die gemeinnützigen Organisationen in den Ländern erhalten dadurch mehr Spenden. Wenn Lebensmittel für Spenden nicht mehr geeignet sind, wird daraus Tierfutter, Dünger oder sie werden der Energiegewinnung zur Verfügung gestellt. Auch in der Schweiz und in Dänemark ist das Containern nicht strafbar, solange man keine Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch begeht. Dänemark ist europäischer Spitzenreiter im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung. Viele Projekte zum Kampf gegen Lebensmittelverschwendungen wurden dort in den vergangenen Jahren ins Leben gerufen. Darunter zählt auch die App „too good to go“. Mit der App werden nicht verkaufte Lebensmittel von Bäckereien, Restaurants und Hotels kurz vor Ladenschluss günstiger angeboten. Ein Blick in die App, die sich mittlerweile auch in Deutschland etabliert hat, zeigt, dass viele Unternehmen bereits aktiv sind. Vor allem aber sind es kleinere Ketten und Händler, die ihre Produkte über die App anbieten. Das zeigt, dass das Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung sowohl bei den Konsumenten als auch bei den Händlern zunimmt. Was fehlt ist die entsprechende Gesetzgebung.
Lebensmittelverschwendung ist Umweltbelastung
Wenn nicht nur das Containern straffrei wird, sondern auch Unternehmen dazu verpflichtet werden, nicht verkauftes zu spenden oder anderweitig zu verwerten, kann ein großer Teil dazu beigetragen werden die Welt umweltfreundlicher zu machen. Wir können nicht nur über Kohleausstieg und Verbrennungsmotoren sprechen, sondern müssen auch die Rohstoffverschwendung bei Lebensmitteln ins Auge fassen. Die Verschwendung ist ein großes ethisches Problem, das in hohem Maße zum Klimawandel und zu vielen weiteren Umweltbelastungen führt. Für den Anbau unserer Lebensmittel werden Bäume gerodet und Menschen von ihrem Land vertrieben. Ackerböden und Wasser sind knappe Ressourcen, die durch jedes weggeworfene Lebensmittel verschwendet werden. Besonders tierische Produkte sind belastend für die Umwelt. So erzeugt 1 Kg Butter 23,8 kg CO²-Emissionen, das entspricht etwa 126 km Autofahren oder 661 km Zugfahren. Um diese Menge Butter herzustellen, braucht man rund zwanzig Liter Milch. Kühe brauchen viel Fläche und Futtermittel, wodurch Treibhausgase freigesetzt werden.
Tafeln vor der Belastungsprobe
Es sind auch nicht mehr nur Sozialhilfeempfänger, Rentner oder Alleinerziehende, die Hilfe bei der Tafel suchen. Immer mehr berufstätige Menschen haben trotz Arbeit nicht genügend Geld, um ihre Familie zu versorgen. Die anhaltende Inflation hat besonders Auswirkungen auf die Kaufkraft und ist für die starken Preissteigerungen verantwortlich. Aktuell beträgt die Inflationsrate 8,6%. Trotz eines geringen Rückgangs in den letzten drei Monaten ist aufgrund des Krieges in der Ukraine keine deutliche Besserung in Sicht. Der Krieg und die damit anhaltende Inflation stellen die Tafeln vor eine Belastungsprobe. Im vergangenen Jahr verzeichneten die Tafeln einen Anstieg um rund 50%.Viele Menschen haben Existenzängste und große Sorgen, wie sie Lebensmittel, Wohnen und Heizen bezahlen sollen. Genießbare Lebensmittel dürfen nicht mehr systematisch vernichtet werden. Bedürftige Menschen suchen nicht grundlos Hilfe bei den Tafeln. Wenn sie dort wegen Überlastung weggeschickt werden, bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, als in Containern nach essbaren Lebensmitteln zu suchen.
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