Wenn die Gas- und Stromrechnungen auf dem Tisch liegen, werden Viele nach Einsparmöglichkeiten suchen. Bei Steuern kann man kaum sparen, bei Versicherungen eventuell ein wenig, aber Kirche sowie Zeitungen gibt es kostenfrei online. Auch diese könnten sich aufs weitere Sparen verlegen oder aber die Chance nutzen, gänzlich umzubauen. Am radikalen Umbau kommen beide sowieso nicht vorbei.
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Beide, Zeitungen wie Kirchen, setzen noch auf eine Kultur, die sich in Papier darstellt. Für die Zeitungen ist die Internetausgabe nur eine zusätzliche Verwertung von Beiträgen, die für Print schon recherchiert und geschrieben worden sind. Die Kirchenleute scheinen dem Papier mehr zu vertrauen als dem flüchtigen Bildschirm. Flyer und Präsenz bei Gottesdiensten und Bildungsvorträgen sind die Formate, mit denen sie ihre Zielgruppen jedoch kaum noch erreichen. Beide haben die entscheidenden soziologischen Daten nicht ernst genommen.
Die Gesellschaft ist schon länger divers geworden
Diversität hat die Kirchen nicht erst mit der ARD-Sendung „So wie Gott uns schuf“ erreicht. Schon um die Jahrtausendwende hatten Öffentlichkeitsarbeiter, so Dr. Becker Huberti, darauf gedrungen, die Milieustudien ernst zu nehmen. Seitdem gibt es jeweils aktualisierte Daten, in welchen Lebenswelten Katholiken kulturell beheimatet sind. Die erste dieser Milieustudien wurde in den neunziger Jahren gemacht und zeigte, dass noch über 40% der Bevölkerung kulturell zur „bürgerlichen Mitte“ gehörten Es gab vier weitere Milieus, jeweils unter 20% oder noch kleiner. So schon lange die Oberschicht. Dann die Jungen, die alternativ leben wollten, die dann von den Grünen politisch repräsentiert wurden. Weiter die auf Spaß und Fußball ausgerichtete Gruppe der Hedonisten und eine kleine, nicht so gut ausgebildete Gruppe von Älteren, die einfache Frömmigkeitsformen praktizierte und sich von der Kirche geschützt fühlten. Schutz gab die Kirche auch mit ihren Krankenhäusern, Heimen sowie durch Mitgliedschaft in einem der Verbände.
Wenn von divers gesprochen wird, dann gilt das schon lange für die Vielfalt der Lebensstile. Denn inzwischen werden 10 Milieus gezählt, die auch oft noch unterteilt werden müssen. Sie alle werden weder dieselbe Regionalzeitung noch die Kirchenzeitung lesen, den gleichen Gottesdienst mitfeiern können, die Vorträge im Bildungswerk geduldig anhören. Was aus der Differenzierung nicht gelernt wurde: Kirche wie Zeitung waren und sind auf die bürgerliche Mitte hin konzipiert. Diese spaltet sich inzwischen in das nostalgische-bürgerliche Milieu mit 11% der Bevölkerung und die adaptiv-pragmatische Mitte mit 12%. Die Katholische Kirche erreicht die adaptiv-pragmatische Mitte kaum, so dass für die Kultur ihrer Riten, der Bildungsangebote und des Predigtjargons fast nur das nostalgisch-bürgerliche und das traditionelle Milieu mit 10% Bevölkerungsanteil übriggeblieben sind. Da die neuen Milieus, die sich seit den neunziger Jahren gebildet haben, jeweils aus der Bürgerlichen Mitte herausgewachsen sind, geht es dieser Gruppe, die sich weiterhin als die maßgebende Mitte fühlt, wie den Eisbären. Ihre Basis schmilzt weg, denn ihre Kinder haben inzwischen Abitur gemacht, erfahren an den Universitäten eine große Vielfalt, anders als ihre Eltern und Großeltern, die in einem Betrieb ausgebildet wurden und nicht mit der Vielfalt der Lebensentwürfe konfrontiert waren, aus denen die Zwanzigjährigen heute auswählen können und müssen.
Die Mitte bestimmt weiter das Denken
Wer in der Mitte situiert ist, hält sich für das Maß der Dinge. Alle anderen weichen ja von der Mitte ab. Da die Bewohner und Bewohnerinnen der bürgerlichen Mitte und des neu entstandenen adaptiven Milieus nicht nur wissen, was richtig ist und was sich gehört, sondern auch die Institutionen stützen, indem sie sich z.B. in den Elternrat eines Kindergartens, in die Schulpflegschaft, in den Pfarrgemeinderat wählen lassen, können sie bestimmen, wo die Kirchengemeinde ihre Schwerpunkte setzt. Dann kommen aber nur diejenigen, die sich ebenfalls in der Mitte situiert haben. Die Gemeindeleitung bleibt nichts anders übrig, so scheint es wenigstens, für diesen Menschentyp da zu sein. Ähnlich bei der Zeitung: Weil die Blattmacher für die gedruckte Ausgabe recherchieren und schreiben, orientiert sich die Zeitung an den Milieus der Älteren, obwohl dieses so klein geworden ist, dass es nur noch 50% der früheren Auflage morgens im Briefkasten haben will. Im Effekt heißt das aber, dass für 21% der Bevölkerung von der Kirche und für etwas mehr als 20% der Gesamtbevölkerung die Zeitung so gemacht wird, wofür früher 40% der Bevölkerung Abnehmer waren. Die 10 Milieus bilden die sog. Kartoffelgrafik: Sinusmilieus Deutschland. Ergänzend ist zu sagen, dass die Kirchen im Konservativ-Gehobenen-Milieu auch Zuspruch finden.
Die Jugend sieht keine Zukunft
Die nachwachsenden Alterskohorten konnten noch bis vor Kurzem davon ausgehen, dass Kirche wie Zeitung ihnen eine lebenslange Stellung garantieren. Da die jüngeren Jahrgänge ein großes Sicherheitsbedürfnis haben, hatten beide Systeme genügend Nachwuchs. Diese Sicherheit vermittelt die Katholische Kirche nicht mehr. Ihre innere Schwäche wird daran deutlich, dass sie auch im 12. Jahr den Verdacht nicht loswird, dass Missbrauchstäter weiter gedeckt werden. Die Nachwuchssituation ist so prekär, dass die Bischöfe dem Druck der Universitäten nachgeben müssen, einen großen Teil der theologischen Lehrstühle an andere Fakultäten abzugeben, die sehr viel mehr Studenten anziehen. Da nicht die Aussicht besteht, dass ein lebenslanger Arbeitsplatz in der Kirche wieder attraktiv wird, hätte die Katholische Kirche schon längst die jetzige, sehr personalaufwändige Seelsorgsstruktur aufgeben müssen. Dazu wird sie jetzt kurzfristig gezwungen, weil für eine große Zahl von Katholiken die Kirche den Charakter als Heilsanstalt verloren hat. Sie gehen nämlich nicht mehr davon aus, dass man durch die Kirchenzugehörigkeit eine gewisse Garantie hat, „in den Himmel zu kommen“. Das würden junge Menschen einer Institution sowieso nicht mehr zutrauen. Und Gott traut man nicht mehr zu, dass sein Strafgereicht Menschen in die Hölle verbannt, weil sie aus der Kirche ausgetreten sind. Deshalb werden die Kirche und ihr Personal mehr als Dienstleister gesehen, auf deren Dienste man auch verzichten kann, ohne die Beziehung zu Gott infrage zu stellen. Das erleichtert auch Katholiken die Entscheidung aus der Kirche auszutreten und die Institution nicht weiter zu finanzieren. Sie hat mit der Unfähigkeit, mit dem Missbrauch zurechtzukommen, auch in den Augen ihrer Mitglieder das frühere Alleinstellungsmerkmal verloren.
Diverser werden
Die Versuche des Synodalen Weges, die Kirche auf einen modernen Kurs zu bringen, indem die Zölibatsverpflichtung abgeschafft wird, Frauen zum Priestertum zugelassen werden und der Machtmissbrauch durch Kleriker eingedämmt wird, löste das durch den gesellschaftlichen Wandel hervorgebrachte Problem nicht. All diese Reformen machen nur Sinn, wenn der religiöse Kern, wofür es eine Kirche gibt, wieder in den Mittelpunkt gerückt wird. Die einfache Frage „Was bringt es dem Kirchenmitglied für die Bewältigung des eigenen Lebens, wenn Priester heiraten können?“ Die bürgerliche Mitte scheint das zu wollen. Bei 50% Singles in Großstädten scheint der Synodale Weg doch in einem Seitengewässer zu segeln.
Wer sich in die Milieustudien eingelesen hat, wundert sich, dass Verleger wie Kirchenleitungen nicht verstehen, dass eine Zeitung, eine Gottesdienstform, eine Sprache 10 sehr verschiedene kulturelle Milieus erreichen soll. Sie bräuchten nur in eine Bahnhofsbuchhandlung zu gehen, um an der Vielzahl der Zeitschriftentitel, am deutlichsten bei den Frauenzeitschriften, die Diversität der Lebensstile abzulesen. Der Zeitschriftenmarkt ist differenziert genug, um alle 10 Milieus zu bedienen. Es braucht aber dazu die digitalen Medien, um die unterschiedlichen Stile und Themen der Milieus abzudecken. Der Bildschirm verbindet alle Welten und könnte sowohl der Zeitung wie der Kirche Zugang zu allen neuentstandenen Milieus eröffnen.
Zeitung wie Kirche: Für zu wenige zu großer Aufwand
Die Zeitung hat die Hälfte ihrer Abonnenten und an die 80% ihrer Werbeeinnahmen verloren. Da sie durch ihre Internetauftritte mitgeholfen hat, die Menschen auf ein kostenfreies Internet hin zu orientieren, konnte Google mit seiner News-Zusammenstellung den Lernprozess weitertreiben, nämlich sich aus mehreren Quellen zu informieren. Da online lange das frei zugänglich war, was gedruckt am Kiosk oder im Briefkasten lag, subventionierte Print zu lange das Online-Angebot. Da die Haupteinnahmequelle, nämlich die Rubriken Stellenmarkt, Gebrauchtwagen, Mietwohnungen sehr früh von Startups über das Internet zugänglich gemacht wurden, hat das dazu geführt, was der Kirche bevorsteht. Sie wird sich anders als durch die Kirchensteuer finanzieren müssen. Sowohl bei der Zeitung wie bei der Kirche kommt hinzu, dass die Mitglieder bzw. Abonnenten für etwas zahlen, was sie in dem Umfang nicht bauchen. Bei der Zeitung lesen sie nicht alles, von den kirchlichen Angeboten braucht z.B. das expeditive Milieu kaum etwas und für die Bewohner des neo-ökologischen Milieus ist zu wenig angewandte Schöpfungstheologie im Angebot.
Internet für das Aktuelle, Print für das mittelfristig Brauchbare
Für die Zeitung heißt die Lösung, zwischen Internetangebot und Printausgabe zu unterscheiden. Print lohnt sich dann, wenn die Nutzer den Eindruck haben, das Gedruckte, z.B. das Dossier nicht wegwerfen zu müssen, weil man für die nächste Ausgabe Platz schaffen muss. Das ist deshalb sinnvoll, weil die Zeitung dann nicht etwas druckt, was morgen schon veraltet ist. In solche, aufwändiger gestalte Printprodukte gehören lokale Geschichte, Gesundheitstipps, Porträts von Persönlichkeiten, evtl. Buchrezensionen. Das sind alles keine Nachrichten, die veralten und deshalb nicht weggeworfen werden müssen. Auch der Jahresrückblick über einen Stadtteil oder eine Ortschaft, für einen Verein lohnen die gedruckte Ausgabe. Eine solche Differenzierung zwischen Print und Online wird den hohen Aufwand des täglichen Drucks und Austragens eines Blattes, das oft nur 24 Seiten umfasst, erheblich reduzieren. Den lokalen und regionalen Werbemarkt kann die Zeitung nur online zurückgewinnen, indem sie auch Partner der kleinen Geschäfte wird, indem sie alle Produkte listet, die man ihrem Einzugsbereich kaufen, bestellen, buchen kann, um so endlich den Suchmaschinen Konkurrenz zu machen.
Zusammenschluss Kleiner Christlicher Gemeinschaften
Für die Kirche hat Christian Hennecke weltweit recherchiert und festgestellt, dass in anderen Regionen, z.b. in Afrika nicht mehr die Pfarrei für die Einzelnen Gemeinde ist, sondern die Nachbarschaftsgruppe. Das war auch früher in der Katholischen Kirche so, als es ein großer Teil der Gläubigen durch Mitgliedschaft in einem Verein untereinander einen direkten Kontakt pflegte. Wie früher die Pfarrei für ein buntes Gemisch den Rahmen abgab, sind inzwischen die Großpfarreien in der Lage, einen organisatorischen Rahmen für Taufe, Hochzeit, Beerdigung zu bilden. Wie sich das Gottesdienstgeschehen gestaltet wird davon abhängen, ob es zu einer Wiederbelebung der Messe kommt. Inzwischen bietet sie nur den Älteren die Form, sich mit Gott in Beziehung zu setzen.
Dazu:
- Priester: für kleine christliche Gemeinschaften
- Caritas: Nährboden für neue Gemeindeformen
- Die Zeitungen überlassen Google den lokalen Anzeigenmarkt bald vollständig
- Sinus-Millieus