Das sollten wir, denn die Berichterstattung der Korrespondenten westlicher Medien bezieht nicht die Zustimmung des Großteils der Russen ein, die in Putin den Herrscher sehen, der Russland in die von Gott zugedachte Rolle als orthodoxe Weltmacht zurückführt. Auch will die Mehrzahl der Russen die Ukraine nicht dem Einfluss des Westens überlassen. Dass die NATO als gegen Russland gerichtetes Militärbündnis gesehen werden muss, lässt sich nachvollziehen, wenn man sich gedanklich an die Wolga versetzt.
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Russland als Flächenstaat mit kaum zu verteidigenden Außengrenzen kann sich von der NATO sowohl von Westen wie über den Nordpol und von Osten bedroht fühlen. Die USA haben unter dem Polareis U-Boote mit Atomsprengköpfen stationiert. Ihre Flottenverbände sind nicht vor der amerikanischen Küste, sondern auf den Weltmeeren unterwegs. Auch die Luftgeschwader des Westens sind so aufgestellt, dass Russland sich bedroht fühlen kann. Die NATO, so die Aussage eines hochrangigen Offiziers, weiß sich waffentechnisch Russland überlegen. Die Waage würde sich noch weiter zugunsten des Westens senken, wenn die Ukraine das Potential der NATO vergrößern würde.
Die Ukraine ist Land der Rus
Im Verständnis der Russen gehört die Ukraine, genau wie Weißrussland, zur Rus. Im Namen von Belarus ist das noch verankert. Geschichtlich gehört die Ukraine zur Rus. Kiew war bis zur Eroberung durch die Mongolen 1240 das Zentrum und mit etwa 40.000 Einwohnern eine der bevölkerungsreichsten Städte Europas. Als die heutige Ukraine und das heutige Weißrussland von Polen-Litauen erobert war, haben Kosaken, also Wehrbauern, versucht, die polnische Herrschaft abzuschütteln. Die Rus insgesamt bildete eine orthodoxe Kirche. Das Gewicht hat sich deshalb von Kiew nach Moskau verlagert, weil der Moskauer Großfürst zuerst die Tributzahlungen an die mongolischen Khane einstellte und erstmals die Mongolen 1480 militärisch besiegen konnte.
Die Westukraine ist österreichisch geprägt
Die heutige Ukraine ist allerdings erst durch Hitler möglich geworden. Denn der Westen des Landes gehörte erst seit 1939 zur Sowjetunion, vorher zur Donaumonarchie. Als diese nach dem Ersten Weltkrieg die Bukowina und Galizien abgeben musste, entstand aus diesem Gebiet kein neuer Staat wie Serbien oder Rumänien, sondern beide Provinzen wurden Polen zugeschlagen, welches bis dahin mit der dritten polnischen Teilung zu Österreich, Preußen und Russland gehörte. Aus russischer Sicht gibt es also keinen Grund, die Ukraine dem westlichen Einflussbereich zu überlassen und für Putin keinen Grund, das Feuer im Donbass nicht weiter am Brennen zu halten.
Warum orientiert sich die Ukraine nach Westen
Ein Ukrainer sagte mir: „Wenn Russland angreift, dann werden die Ukrainer, die hier arbeiten, alles stehen und liegen lassen, um ihr Land zu verteidigen. Es ist die Entscheidung der Jungen, nicht zurück in den Stalinismus gezwungen zu werden.“ Dieser Wille ist in der West- Ukraine schon seit der Unabhängigkeit des Landes vorherrschend. Dafür hatte Stalin gesorgt. Als er im September 1939 die Ukraine besetzte, wurden die Intellektuellen nach Sibirien geschickt oder gleich liquidiert. Die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde in der Ukraine besonders grausam durchgesetzt. Die fruchtbaren Schwarzerde Böden hatten einen nennenswerten bäuerlichen Mittelstand ermöglicht, das Land war im Besitz der bäuerlichen Familien und nicht wie in anderen Regionen der Rus in der Hand einiger weniger Adeliger. Drei Millionen Bauern kamen durch den staatlich erzeugten Hunger, Holomodor genannt ums Leben. Der Holomodor gilt inzwischen als Völkermord. War in den ersten Jahren der Unabhängigkeit der russisch sprechende Osten des Landes noch weitgehend nach Russland orientiert, hat die Annexion der Krim und die militärische Besetzung des Donbass, des früheren Ruhrgebiets der Sowjetunion, das Land sogar geeint. Der Russisch sprechende Osten: Der hat sich nach Westen orientiert..
Austritt aus der Sowjetunion
Dass die Ukraine nach dem Ersten Weltkrieg und der Kommunistischen Revolution nicht eine Provinz Russlands geworden ist, lag daran, dass die neuen Machthaber bei der Rückeroberung der Ukraine sich die Zustimmung der Bevölkerung sichern wollten, indem sie ein eigenes staatliches Gebilde mit eigenem Parlament errichteten. Das ermöglichte diesem noch kommunistisch dominierten Parlament die nach Sturz Gorbatschows führungslose Sowjetunion 1991 zu verlassen. 92,3 Prozent der Bevölkerung votierten für die staatliche Unabhängigkeit. Auch Jelzin löste die Russische Föderation aus der Sowjetunion. Soweit das Verstehen. Aber warum gelingt es Putin nicht, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Ostslawen wieder aufleben zu lassen?
Putin kennt nur militärische Mittel
Das zeigt sich an Kasachstan und wiederholt das Muster, das beim Eingreifen 2014 in das Hoheitsgebiet der Ukraine wie in die Unterstützung Lukaschenkos und jetzt des kasachischen Machthabers. Putin moderiert nicht Übergänge, sondern bremst sie aus. Sein einziges Mittel ist das Militär. Nach dem Donbass und mit der Repression gegen die Tartaren auf der Krim, den Milliarden, die er in die Stützung des belarussischen Polizeistaates investieren muss, hat er jetzt auch eine Front in Kasachstan aufgemacht. Er verliert damit nicht die Zustimmung der Russen, ist aber auf Exporte in den Westen angewiesen, um das Ganze zu finanzieren. Er müsste jedoch nicht in das Militär, sondern in seinem Land investieren. Dafür hat er nur so lange Zeit, bis die EU klimaneutral geworden ist. Deshalb ist auch nicht Baerbock die eigentliche Außenministerin, sondern Habeck. Und Merkel, die Putin noch auf gleicher Ebene und ihn nicht wie Obama als Verlierer behandelt hat, ist aus dem politischen Geschäft ausgestiegen. Putin kann die USA nicht zwingen, die Einflusssphären abzustecken. Biden gibt den Ukrainer die Waffen, die einen Angriff Russlands verteuern. Ein Einmarsch in die Ukraine ist nicht auszuschließen, jedoch wird Putin diesen nicht in einen Sieg verwandeln können.
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