Wen sollen junge Erwachsene am Sonntag bloß wählen? Anfang 20-Jährige, wie unsere Autorin, haben nur Angela Merkel als Bundeskanzlerin erlebt. Im zurückliegenden Wahlkampf schien es fast nur um die Person von drei Kandidat:innen zu gehen, dabei wollen die Jüngeren mehr über Inhalte erfahren und für ihre eigenen Werte stimmen.
Wilfried Pohnke auf Pixabay
Die Ereignisse der letzten Monate, Afghanistan, Corona und die Fluten haben gezeigt, dass ein Wandel unserer Politik nötig ist. Wir brauchen eine verlässliche Bundesregierung. Für meine Generation, die Anfang-20-Jährigen ist es aber schwierig, sich jemand anderen als Angela Merkel im Kanzleramt vorzustellen, sie hat in den Jahren ihrer Kanzlerschaft bewiesen, dass sie alles gemanaged bekommt, auch wenn nicht alle Lösungen immer perfekt waren.Für uns ist jetzt aber der Moment gekommen uns zu entscheiden, was und vor allem wer nach Merkel kommen soll.
Eigentlich sind Machtwechsel ganz gut. In den vergangenen Wochen gab es Kritik an der aktuellen Bundesregierung und viele Menschen wünschten sich neue Vorgehensweisen. Die Regierung decke im Moment zu wenig von allem ab, zu wenig Klimaschutz, zu wenig Integration und Gerechtigkeit und zu wenig Wirtschaft. Bei der Bundestagswahl ist es vor allem für meine Generation wichtig, unsere Stimmen für unsere Themen abzugeben: Wir wollen ein faires, sozialeres und nachhaltigeres Land.
Zählt nur die Kanzlerschaft?
Wo setze ich meine Kreuze am Sonntag? Eine Wahl zu treffen, ist schwerer denn je. Denn die Inhalte der Parteien sind im Wahlkampf zunehmend in den Hintergrund gerückt. Stattdessen ging es viel zu viel um persönliche Nebenschauplätze bei den Spitzenkandidat:innen. Wer hat in seinem Buch zu viel abgeschrieben, wer an unpassender Stelle gelacht? Wem könnten vergangene Skandale jetzt noch zum Verhängnis werden? So bekam der Wahlkampf den Charakter eines Kaufhauses, in dem mich übereifrige Verkäufer:innen bereits am Eingang überrumpeln und versuchen, mir einen Kanzler:in anzudrehen. Das Sortiment beschränkt sich dann allerdings nur auf Grün, Schwarz und Rot.
Verloren im Parteien-Kaufhaus
Aber was ist, wenn ich keinen von den dreien haben möchte? Schließlich gibt es doch mehr als nur drei Parteien. Am Ende kaufe ich im Parteien-Kaufhaus dann etwas, was ich eigentlich gar nicht möchte. Es wird oft als „verlorene Stimme“ abgestempelt, eine Partei zu wählen, die nicht den Kanzler oder die Kanzlerin stellen könnte bzw. wenigstens für eine Koalition in Frage kommt. Es geht aber um mehr als nur die Kanzlerschaft: Meine junge Generation, die zum ersten oder zweiten Mal wählen darf, braucht Orientierung.
Themen statt Trielle
Wir kommen in einen Lebensabschnitt, in dem wir nicht mehr nur den Idealen unserer Eltern und Großeltern nacheifern, uns nicht mehr von ihren (Wahl-)Entscheidungen beeinflussen lassen wollen und können. Sogenannte „Trielle“ und Wahl-Arenen helfen uns allerdings kaum, wird dort doch genau dieser Personenwahlkampf betrieben, der bei meiner Generation für mehr Verwirrung als Entschlossenheit sorgt. Hilfreich sind einige Politik-Kanäle junger Leute in den Sozialen Medien, etwa das Videoformat „Jung und Politisch“. Zwei Teenager erklären hier Politik ohne Kult um Kandidat:innen, stellen unsere Themen in den Mittelpunkt und zeigen auch Parteien, die in anderen Medien sonst kein Gehör finden. In Form von kurzen Videos werden die Wahlen, politische Prozesse und die Parteien verständlich erklärt und ermöglichen so sich eine Meinung zu bilden.
Meine Generation kennt keine andere Bundesregierung, außer die unter der Führung von Angela Merkel. Auch das trägt zu unserer wohl Orientierungslosigkeit bei. Wir kennen keine alternativen Regierungsmodelle, Kanzler:innen, die wir mit einem Merkel-Deutschland vergleichen könnten. 16 Jahre Merkel haben uns schließlich auch irgendwie Gefühle von Beständigkeit und Sicherheit vermittelt.
Dilemma: Ruhe oder Werte
Nach dieser langen Zeit kommt nun die Angst vor dem Unbekannten. Wir jungen Erwachsenen stehen daher vor einem Dilemma. Wählen wir eine der großen Parteien, um einen Kandidaten zu wählen, der uns die „Sicherheit“, eher Ruhe von Angela Merkel noch am ehesten vermittelt? Oder ignorieren wir die Personalfrage und wählen eine der kleineren Parteien, weil wir in dieser unsere Werte und Themen vertreten sehen - mit dem Risiko, dass sie nicht an einer Regierung beteiligt sein, vielleicht nicht einmal in den Bundestag einziehen wird.
„Auf Risiko wählen“: keine verschenkte Stimme
Nach all den Wochen voller Schlagzeilen stößt mich die plakative Selbstinszenierung und Eigendarstellung der Kandidat:innen und ihrer Parteien ab. Gerade weil es nicht nur drei Parteien gibt, möchte ich mich bewusst für Inhalte und für politische Vielfalt einsetzen. Was kann ich also meiner politischen Orientierungslosigkeit entgegensetzen? Mir ist eine starke Opposition wichtig, deshalb werde ich das Risiko eingehen, meine Stimme vielleicht zu „verlieren“. Ich werde eine Partei wählen, die meine Ansichten und Ideale vertritt. Um politischen Einfluss zu haben, müssen oppositionelle Kräfte noch nicht einmal unbedingt im Bundestag sitzen, leicht zu erkennen an etwa an „Fridays for Future“. Verschenken werde ich meine Stimme damit auf keinen Fall.
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