Leben in Angst, auch nach der Flucht

Schon vor dem Abzug der deutschen und US-amerikanischen Truppen war Afghanistan kein stabiles oder sicheres Land. Die Machtübernahme der Taliban verschärft die Situation. Menschen bangen um ihr Leben. Zugleich müssen Asylbewerber auch in Deutschland in ständiger Angst leben. Die deutsche Abschiebungspolitik ist ethisch, menschlich und aus christlicher Sicht eine Katastrophe.

U.S. Marine Corps by Lance Cpl. Nicholas Guevara/U.S. Central Command Public Affairs, Public domain, via Wikimedia Commons

Der Abzug der Truppen hat die brodelnde Situation in Afghanistan zum Überlaufen gebracht. Nun sind die Aussichten für die Menschen dort unmenschlich. Viele wollen flüchten oder sterben lieber, bevor sie den Taliban in die Hände fallen. Menschen, die nach Afghanistan abgeschoben wurden, leben mit ständiger Todesangst, wenn sie sich nicht den Taliban anschließen. Von 2016 bis 2021 wurden insgesamt 1.104 Asylbewerber aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Da für die Sicherheit der Rückkehrer in Afghanistan nicht gesorgt werden konnte, bat die afghanische Regierung sogar um einen Abschiebungsstopp. Solche Hilferufe wollte man in Deutschland nicht hören. Selbst jetzt, nach der Eskalation durch die Taliban, drücken sich deutsche Verantwortungsträger darum, Zusagen für die Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan zu machen, etwa Bundesinnenminister Seehofer, aber auch der NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet.

Nicht nur Straftäter, auch Familien

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden nur Verbrecher und Integrationsverweigerer aus Deutschland abgeschoben. Eigentlich. Die Wahrheit ist aber, dass auch viele andere abgeschoben werden, etwa über das Dublin-Abkommen erstmal in ein anderes europäisches Land. Viele werden dann von dort zurück nach Afghanistan geschickt, auch Familien. Aber selbst wenn es um Straftäter geht: Sollten diese Menschen wirklich in ein Land geschickt werden, in dem ihr Leben bedroht wird? Wer so eine Entscheidung befürwortet, ist kein Stück besser als Straftäter.

Das Auswärtige Amt winkt solche Abschiebungen trotzdem durch, obwohl bekannt ist, dass in Afghanistan systematisch Menschenrechte verletzt werden. Die Taliban sind eine radikalisierte islamistische Gruppe. Üblich für ihre Vorgehensweise sind grausame Bestrafungen und Folter. Andersdenkende werden mit Gewalt unterdrückt und beseitigt. Die Taliban waren schon 1996 bis 2001 Herrscher in Afghanistan und sorgten für Angst und Schrecken. Menschen, die nicht nach ihren Regeln spielten, wurden gesteinigt oder ihnen wurden Hände und Füße abgehackt. Wie kann das Auswärtige Amt das verharmlosen, indem es die Freigabe für Abschiebungen befürwortet?

Alle kriminell?

Abgeschobene in Afghanistan erleben in den meisten Fällen Gewalt, Erpressung und Diskriminierung. Die Flucht nach Deutschland macht sie in den Augen der Extremisten zu Verrätern und Feiglingen. Diese Situation gefährdet sowohl die abgeschobenen Menschen als auch ihre Familien. Daher bleiben sie bei ihrer Rückkehr oftmals alleine und sind so wieder angreifbarer für die Taliban. Abgeschobene leiden aber auch unter Stigmatisierung. Die afghanische Gesellschaft denkt, ihre Landsleute müssen in Deutschland kriminell gewesen sein, denn warum sollten sie sonst abgeschoben worden sein?

Während Menschen in Afghanistan von den Taliban verfolgt und getötet werden, und von den Nachbarn für Verbrecher halten gehalten, werden sie hier von den Behörden fast wie Kriminelle behandelt.

Das tägliche Bangen

Oft werden Ausreisepflichtige von der Polizei zuhause abgeholt, manchmal sogar an ihrem Arbeitsplatz oder auf dem Pausenhof der Schule. Wer sich gegen seine Abschiebung wehren will, braucht viel Geld für einen Anwalt und hat höchstens 14 Tage Zeit dafür.

Dabei haben viele sich hier ein neues Leben aufgebaut, Freunde gefunden, die Sprache gelernt. Sie haben eine Arbeit oder gehen zur Schule, studieren. Sie haben ein ganz normales Leben, mit Sorgen, wie Bafög-Anträge oder Klausurenstress, möchten ihr Leben genießen. Aber oft sind sie auf sich alleine gestellt. In tausenden von Anträgen müssen sie immer wieder ihre Situation erklären, etwa warum ihre Eltern nicht für ihren Unterhalt aufkommen können, müssen beweisen, warum sie nicht zurück können, natürlich nicht nur Afghanen. Abends liegen sie im Bett und denken an ihre Familie, die nicht flüchten konnte. Über WhatsApp versuchen sie, Beziehungen lebendig zu halten. Viele versuchen, mit dem, was sie erlebt haben, klarzukommen: mit der Trennung von ihren Familien, dem Leben in der Fremde, wo sie ihr ihr Glück finden wollen. Bürokratie und Beamte sollten ihnen da doch keine weitere Steine in den Weg legen.

Überleben nicht garantiert

In Deutschland entscheiden Leute an Schreibtischen über das weitere Leben von Menschen, die alles aufgegeben haben für eine sichere Zukunft. Allenthalben wird von Integration geredet, doch wie sollen sich Geflüchtete auf Deutschland einlassen, wenn sie ständig beim Ausländeramt anrufen müssen, um sich zu erkundigen, wie es um den eigenen Aufenthaltsstatus steht, wo ihre Papiere bleiben? Selten gibt es hilfreiche, gar positive Antworten. Es ist ein ständiges Bangen, eine Belastung, die sie im Alltag immer begleiten. In Deutschland leben tausende von Menschen, die darauf hoffen, dass ihre Aufenthaltsgenehmigungen ankommen und sie endlich aufhören können, sich Gedanken über die Frage zu machen: Was, wenn die Anträge abgelehnt werden?

Ist es ethisch, menschlich und in einem als von christlichen Werten geprägten Land wie Deutschland korrekt, Menschen in ein derartiges Kriegsgebiet zu schicken? Politische Verantwortungsträger vergessen offenbar, dass „Flüchtling“ nicht nur ein Begriff ist. Es geht um Menschen: Großmütter und Großväter, Eltern und Kinder verlassen ihr Zuhause, nicht weil sie sich am Reichtum Europas bereichern wollen, sondern weil sie um ihr Leben fürchten. Der Weg ist sehr gefährlich und menschenunwürdig, und die Kosten, die dabei aufkommen, fressen oftmals alles auf, was sie besitzen. Sie gehen diesen Weg ohne Garantie darauf, lebend anzukommen. Wenn Menschen dafür bereit sind, sollten sie auch mit Würde behandelt werden und nicht abgeschoben werden.

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