Rassismusdebatte: Gerechter Volkszorn oder Bildersturm?

Nur selten werden Geschichte und Geschichtskultur innerhalb unserer Gesellschaft so aktiv verhandelt, wie es momentan der Fall der ist. Auch der Anlass ist der richtige: Rassismus findet sich in weiten Teilen der deutschen Geschichte und reproduziert sich bekanntlich bis heute. Die Chance, die sich in der aktuelle Debatte bietet, sollte genutzt werden. Dennoch stellen sich einige Fragen im Zusammenhang mit unserem öffentlichen Gedenken.

Mal erledigen Demonstrierende die Sache, mal reagieren staatliche Behörden von selbst. In großen Teilen der westlichen Welt fallen Denkmäler; in den Ländern, die seit Beginn der Neuzeit Millionen von Menschen versklavt, ausgebeutet und ermordet haben. Die damit einhergehende Auseinandersetzung um öffentliches Gedenken tut Not, auch in Deutschland. Gerade hier ist die Kolonialgeschichte oft wenig präsent in der Erinnerungskultur, verblasst gegenüber Shoah und Zweitem Weltkrieg.

Wo liegt die Grenze?

Nun trifft der Volkszorn also die Standbilder von Rassistinnen und Rassisten und damit den leider noch oft verbreiteten positiven Bezug zu ihnen. Seit der Entstehung des modernen Rassismus im Zuge der Aufklärung ist dieser in der westlichen Welt derart virulent, dass sich wohl kaum eine historisch relevante Figur finden lässt, dem er nicht zum Vorwurf gemacht werden könnte. Das ist auch erinnerungspolitisch ein Problem: Geht man nur nach dem Rassismuskriterium, könnte man beinahe jede Statue in Deutschland (und anderswo) abreißen.

Wo zieht man also die Grenze? Klar scheint der Fall zu sein, wenn in Bristol die Statue eines Sklavenhändlers im Hafenbecken landet; eines Menschen, dessen Haupteinnahmequelle der Handel mit Menschen war. Das lässt sich auch im Rückblick nicht mit den Umständen der Zeit entschuldigen. Allerdings lag auch im 19. Jahrhundert schon oft eine große Diskrepanz zwischen Denken und Tun. Und selbst mit Blick auf das aktive Handeln fällt die Antwort häufig wenig eindeutig aus: Was, wenn eine Tat nicht aus einer rassistischer Intention heraus geschieht, aber rassistische Implikationen hat?

Bismarck ist kein Held

Die Auseinandersetzung in Deutschland konzentriert sich nun vor allem auf Otto von Bismarck. Eine Debatte über den heutigen Bezug zum Deutschen Kaiserreich ist längst überfällig und muss deshalb auch dessen Gründervater in den Fokus rücken. Bismarck und seine preußische Regierung haben über Jahre hinweg Teile Europas mit Krieg überzogen und nach innen mit äußerster Repression regiert. In der aktuellen Debatte steht aber etwas anderes im Mittelpunkt: Der Kolonialismus und insbesondere die Berliner Kongokonferenz.

Auf dieser Konferenz teilten die Großmächte Europas 1884/85 Afrika unter sich auf. Zweifellos ein Akt menschenverachtender und auch rassistischer Ignoranz. Die Teilnehmer dürften dabei aber vor allem einer Logik des relativen Gewinns gegenüber den anderen Mächten gefolgt sein. Der Rassismus war zwar die Voraussetzung für dieses Verbrechen, nicht aber seine hauptsächliche Intention. Wer so etwas zu verantworten hat, ist aber sicherlich alles andere als ein Held.

Wer darf die Grenze ziehen?

Aber nicht nur die Frage der Grenzziehung selbst ist zu beantworten. Auch steht nicht fest, wer sie ziehen darf oder sollte. Übergibt man die Verantwortungen an staatliche Institutionen, ist zu befürchten, dass die Entscheidung durch den strukturellen Rassismus im Sande verläuft. Übergibt man sie den Menschen auf der Straße, besteht andererseits die Gefahr, dass gerechter Volkszorn schnell in geschichtliche Mob-Mentalität umschlägt. Was es bräuchte, wären Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, Experten, vor allem aber: Menschen, die die Opfer repräsentieren können und in diesen Entscheidungen besonders gehört werden.

Im Falle von Denkmälern sollten in die Debatte außerdem noch ästhetische oder stadtplanerische Gedanken einfließen. Das Bismarck-Denkmal in Hamburg etwa hinterließe ein ziemlich großes Loch im Stadtplan und ist darüber hinaus auch kunsthistorisch bedeutsam. Es neu einzubetten, wäre allerdings eine Herausforderung. Dass diese Herausforderung auch in noch schwierigeren Fällen lösbar ist, zeigen andere Beispiele. Wurde jemals in den vergangenen Jahren auch nur darüber diskutiert, das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg abzureißen?

Geschichte wird heute gemacht

Einfacher als mit Denkmälern verhält es sich mit Straßennamen. Debatten dazu gibt es, besonders in größeren deutschen Städten, schon länger. Straßennamen sind etwas Amorphes und unterlagen im Wandel der Zeit immer großen Veränderungen. Warum nicht auch jetzt den neuen Zeitgeist hier zum Ausdruck bringen? Welche Grenzen man auch zieht: Hier dürfen sie durchaus niedriger angelegt werden. Es gibt kaum einen einfacheren Weg, auch auf die historischen Opfer zu verweisen, als durch Straßennamen.

Wir sollten uns in dieser Debatte aber vor allem bewusst machen, dass nicht die Bismarcks dieser Welt die Geschichte machen. Damals war sie schließlich Gegenwart. Geschichte wird heute gemacht, und zwar von denen, die sie selbst in die Hand nehmen. Die Taten der Vergangenheit können wir nicht mehr korrigieren. Aber ihre Geschichte lässt sich verändern, neue Blickwinkel lassen sich einnehmen. Ein kleiner Vorschlag: Vielleicht sollten wir zum Finden einer Lösung die Vorzeichen der Debatte verändern: Warum nicht einfach mehr Denkmäler bauen? Denkmäler, die auch eine andere Seite der Geschichte zeigen.