Was würde Karl Marx der SPD raten?

Nach der Corona-Pandemie geht es nicht mehr sowie vorher weiter. Das spüren Viele. Es kann sich etwas ändern und es muss sich etwas ändern. Wer ist aber für das Neue zuständig? Doch die Gruppierung, die immer schon eine andere Gesellschaft will. Aber was will die SPD? Dazu einige Anregungen von Karl Marx und ein paar Tipps aus der katholischen Soziallehre.

Die SPD zieht Menschen an, die eine andere Gesellschaft wollen. Die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden steckt in ihren Genen. Das kann man sich am Gegenbild der Konservativen klarmachen: Wir wählen die CDU, wenn es so weitergehen soll wie bisher, und nur die Reformen beschlossen werden, die unumgänglich sind. Die CDU erfindet den Atomausstieg nicht, aber sie macht ihn dann doch. „Keine Experimente“ war einer der erfolgreichsten Wahl-Slogans von Konrad Adenauer. Da muss uns die SPD schon etwas anderes bieten, Aufbruch, überhaupt ein neues Gefühl. Martin Schulz war mit seinem Ruf nach wirklicher Gerechtigkeit auf den Schild gehoben worden. Danach sehnen wir uns doch und wollen, dass die SPD das hinbekommt. Wie bieder sah damals Angela Merkel aus, als die SPD sich in den Armen lag. Das erklärt auch, warum der solide Fahrensmann Olaf Scholz besser an die Seite von Merkel passt als in die Partei, die eben nicht das Fortschreiben des Bisherigen will. Wäre das nicht jetzt die Sternstunde der SPD? Was sollten Borjans und Esken jetzt machen? Nicht Kevin Kühnert und anderen Linken auf längst ausgetretenen Pfaden folgen, die „Das Kapital“ als Kochbuch für die digitalisierte und globalisierte Welt lesen. Marx würde wohl sagen: Ihr müsst das neu schreiben.

Gesellschaftsanalyse

Karl Marx hat intensiv die Gesellschaft analysiert. Seit ihm können wir uns selbst und andere besser verstehen, nicht nur als von Kultur und Bildung geprägt, sondern durch die gesellschaftlichen, vor allem durch die Wirtschaftsstrukturen. Dazu nur einige Stichpunkte: Wir verlassen die Industriegesellschaft, mit der künstlichen Intelligenz werden viele Routinearbeiten von Chips erledigt. Nicht nur bangen viele um ihren Arbeitsplatz. Mit den Begriffen, die Marx entwickelt hat, kann das Neue erfasst werden. Bei Marx war es die Industrialisierung, heute sind es Digitalisierung und Globalisierung, die gebändigt und werden müssen, so dass nicht einige reich werden und die anderen ausgebeutet werden.

Der Mehrwert, den sich Google & Co aneignen

Der Gewinn in der digitalen Welt wird nicht mehr durch Ausbeutung von Arbeitskraft erzielt, indem der Kapitalist den Großteil von dem Erwirtschafteten für sich selbst behält. Man verdient heute nicht die Milliarden, wenn man viele Autos baut, sondern indem man Wissen einfach kopiert. Microsoft kann sein Windows ohne Materialaufwand beliebig oft verkaufen. Das funktionierte früher nur mit Büchern und Kinofilmen. Einmal gemacht, entstanden nur Kosten für die Vervielfältigung. Es braucht heute noch nicht einmal die Buchläden und Kinos. Da Windows auf die Computer überspielt wird, die die Leute sich selbst gekauft haben, kann es jeden Download als Reingewinn verbuchen. Noch geschickter als Bill Gates macht es Mark Zuckerberg. Die Nutzer sorgen selbst für die Inhalte und Facebook verdient allein daran, indem es Werbung dazu schaltet. Dasselbe hat Google vorgemacht.

Sie beuten nicht ihre Mitarbeiter aus, aber sie bereichern sich auf Kosten anderer. Google verdient an der Arbeit von Millionen Menschen, die Homepages interessant halten, so dass Surfer danach suchen, zahlt aber nicht für Wikipedia oder für das, was die Redakteure von kath.de täglich leisten. Facebook schickt ständig Benachrichtigungen und E-Mails, die auf Neues hinweisen, damit wir uns dort betätigen. Jeder, der über Facebook postet, arbeitet für die Datenkrake, die noch nicht einmal für die E-Mails zahlen muss, wie etwa diejenigen, die einem Werbung per Post schicken.

Gewerkschaften helfen Wenigen, ausgebeutet werden Viele

Was ist so schlimm daran, denken wir, „ich muss ja nicht dafür zahlen“? Unsere Einstellung wird sich schnell ändern, wenn die Künstliche Intelligenz (KI) Arbeitsplätze in großem Umfang wegrationalisiert. Dann werden wir feststellen, dass in der neuen Industrie, die den Rohstoff „Daten“ verarbeitet, zu wenig bezahlte Arbeitsplätze aufgebaut wurden, um die Kinder der heutigen Facharbeiter zu ernähren, die die SPD nicht mehr in eine Lehre, sondern an die Universitäten schickt. Wenn Google und Facebook nicht für die Inhalte zahlen, die sie brauchen, damit sie Werbung neben die Inhalte stellen können, dann kann man nicht auf die Gewerkschaften setzen, denn diese können mit dem Instrument des Tarifvertrages nur etwas für die vergleichsweise Wenigen tun, die bei Google angestellt sind. Ausgebeutet werden aber die Vielen, die demnächst nicht mehr von den Großkonzernen angestellt werden.

Kapital vermehrt sich ohne Arbeit

Ein anderer Bereich, wo Geld ohne Einsatz von produktiver Arbeitskraft entsteht, ist das Finanzsystem. Banken können beliebig viel Geld „schöpfen“, so dass sie nicht nur die Spareinlagen gegen Zins verleihen, sondern das Geld selbst herstellen. Sie müssen zwar bei der Bundesbank einen gewissen Prozentsatz der von ihnen vergebenen Kredite hinterlegen und genügend Eigenkapital vorhalten, aber im Prinzip wird keiner um seinen gerechten Anteil bzw. Lohn gebracht, wenn die Bank einem Kreditnehmer eine beliebig große Summe auf sein Konto überweist. Aber die Banken können von dem Geld, das sie selbst „schöpfen“ können, einen Betrag für die Boni ihrer Investmentbanker abzweigen, mit den riesigen Geldmengen, die stündlich um die Welt geschleust werden, die Reichen noch reicher machen und die Armut der Vielen weiter vergrößern.

Die digitale wie die Finanzwelt sind virtuelle Welten. Nicht mehr von Engeln und Dämonen wird unser Leben beeinflusst, sondern von den Agenten des Digitalen und des Geldes. Anders als von Dämonen und Engeln wissen wir, wie sie in das reale Leben eingreifen. Eine vorausschauende Politik würde jetzt die Rahmenbedingungen diktieren, wie diese treibenden Kräfte des Wirtschaftssystems zum Nutzen der Menschen und nicht der Milliardäre gestaltet werden. Dafür braucht es jemanden, der so etwas wie Karl Marx entwickelt, eine Vorstellung, wie das Ganze funktioniert und warum auch diese neuen Industrien wieder die Reichen reicher machen und Arbeitskraft ausbeuten. Die Vielen brauchen, um sich als Menschen entwickeln zu können, Arbeit, die ihnen nicht nur Lohn verspricht, sondern auch Erfüllung. Karl Marx hat die Arbeit vom Charakter der Fron befreien wollen.

Entfremdung besteht nicht mehr darin, dass das fertige Produkt dem Kapitalisten gehört, obwohl es die Arbeiter geschaffen haben, sondern dass Facebook die Daten der Nutzer nicht nur verkauft, sondern auch für politische Zwecke zur Verfügung stellt. Die Entfremdung ist noch wesentlich subtiler als im frühen Kapitalismus. Die Datenkraken sind mit jedem Handy und jedem Chip auch in unserer Wohnung, wissen genau, was ich mit meinem Geld mache, mit welchen Themen ich mich beschäftige, welche Internetseiten ich anklicke. Dass diese Ausleuchtung jeder Privatheit auch zur Stabilisierung von politischer Herrschaft genutzt wird, wäre für Karl Marx völlig klar gewesen. Offensichtlich haben die Justizminister der SPD noch nicht begriffen, wie das geht. Esken soll sich ja in der Informatik auskennen. Aber durchschaut sie, was da jede Minute passiert, wenn ich z.B. gleich bei Google nachschaue, wie sie mit Vornamen heißt und meine politische Orientierung dann für das Wahl-Targeting verkauft wird? Wenn ich als früherer SPD-Wähler gespeichert bin, mache ich mich mit diesem Artikel disponibel für die Ansprache durch andere Parteien, denn ich wäre einer der Wechselwähler, um die es ja im Wahlkampf geht. Wäre es nicht Aufgabe des Staates, also im Moment von der Justiz- und Verbraucherschutzministerin Frau Lambrecht, mich vor solchem Ausspähen zu schützen? Damit sind wir bei der unbemerkten Lenkung der Abhängigen:

Ideologie ist ja nach Marx die Stabilisierung der Ausbeutung und der Herrschaft der bürgerlichen Klasse, die von den Ausgebeuteten selbst nicht bemerkt werden. Die Ausbeutung wird aber nicht mehr aus den Büroetagen der Fabrikbesitzer gesteuert, also z.B. nicht von BMW, wie Kevin Kühnert es annimmt, sondern bei Google, Facebook, Apple, die mehr von uns wissen als wir selbst.

Die Dämonischen Kräfte, denen Marx den Kampf angesagt und für deren Niederringung er die Konzepte bereitgestellt hat, sind also auszumachen. Was man von der SPD hört, sind nur Beschwörungsformeln, keine harte Arbeit an der Realität. Man kann nicht nur Gerechtigkeit versprechen, man muss auch konkret sagen können, wie man sie wahrscheinlicher macht. Die SPD hatte schon für Martin Schulz kein Wahlkampfkonzept und ist mit ihm kläglich gescheitert. Warum die Mitglieder Borjans und Esken zu ihren neuen Alphatieren gewählt haben, fragen sich Viele. Zwar wird ein Wolfsrudel jeweils von einem Paar geleitet. Sie sind unterwegs, um den Nachwuchs mit Beute zu versorgen. Aber haben Borjans und Esken den Riecher, wo sie Beute, das sind konkret Wählerstimmen, für die SPD finden?

Da helfen die Sozialenzykliken der Päpste weiter. International gut informiert wissen sie nicht nur besser, wie das Böse in der Welt heute seine menschenfeindlichen Strategien anlegt, sie sind auch durch die spirituellen Protagonisten der christlichen Tradition sensibel für die Verführungskraft des Geldes. Die SPD könnte direkt Strategien übernehmen und in Politik umsetzen:

Das Geld des Milliardärs gehört ihm nur zu einem kleinen Teil:
Jeder Milliardär hat auch heute nur so viel Geld, wie andere es ihm durch ihre Arbeitsleistungen, oder indem sie Finanzmanipulationen zugelassen haben, zugeschanzt haben. Es genügt nicht, ihm einen Teil des Geldes durch eine Vermögenssteuer wieder zu nehmen. Damit bliebe nach Marx das System erhalten, mit dem einzelne zu exorbitantem Reichtum kommen. Es muss der enorme Reichtumszuwachs einzelner gebremst werden, ehe diese ihr Einkommen auf den Cayman-Inseln oder in Irland versteuert. Eine Möglichkeit besteht darin, dass ab einer bestimmte Summe Gewinne in eine Stiftung fließen müssen. Man muss nicht verbieten, dass einzelne durch ihr Geschick zu viel Geld kommen. Man kann sie aber verpflichten, den größeren Teil ihres Gewinns, den sie ja nicht durch ihre Arbeit erwirtschaftet haben, der Allgemeinheit wieder zugutekommen lassen. Bill Gates, Dietmar Hopp u.a. haben gezeigt, dass das geht.

Die Umweltproblematik zwingt weiter, die Reichtümer auch in Bezug auf den Verbrauch zu besteuern. Wenn jeder für den Verbrauch von Luft, Wasser und Recycling so viel zahlt, wie er Kosten verursacht, bräuchte man nicht so viele moralische Appelle und jeder könnte selbst berechnen, wieviel Natur er oder sie verbraucht. Die jetzige Umweltpolitik geht doch, worauf Papst Franziskus hinweist, zu Lasten der Armen.

Entwicklung, nicht des Geldvermögens
Es braucht insgesamt eine Ethik, die Benedikt XVI. seiner Sozialenzyklika „Caritas in Veritate“ zugrunde legt: Jeder ist erst einmal verpflichtet, von dem, was er seit seiner Geburt an Förderung erhalten hat, einen Teil zurückzugeben.

Wenn die SPD weiter nur auf höhere Besteuerung setzt, führt das nicht zu einem neuen Verhalten, sondern zur Steuervermeidung. Die Umweltkrise lässt sich zudem nicht mit Geld lösen, sondern verlangt einen Frieden mit der Natur, die Lebensrechte von Bäumen, Sträuchern, von Insekten, den Vögeln anzuerkennen. Hat man von Svenja Schulze je etwas gehört, das einen für Neues begeistert? Oder bleibt nicht Pfand auf Pappbecher im Gedächtnis? Die SPD betreibt ein Willy-Brandt-Haus. Da steht aber nur eine Statue von ihm; dass man mit Ideen Wahlen gewinnt, dass Viele einen neuen Elan der Veränderung wollen, das funkt wohl nicht.

Die digitale und globalisierte Welt wird nicht allein durch Geld gesteuert

Das Nörgeln von Saskia und Kevin genügt nicht. Aufbruch entsteht, wenn neue Gefilde, neue Lebensmöglichkeiten in Sicht sind. Das Neue entsteht aber nicht durch Reden, sondern dass man sich wie Marx in die Bibliothek setzt und gründlich arbeitet.

Nörgeln kann die AfD viel besser, saures Moralin in den gesellschaftlichen Diskurs einflößen, das erledigen die Grünen. Die SPD steht im Gefolge von Marx für Gerechtigkeit. Da hatte Martin Schulz schon den Nerv getroffen, aber kein Konzept, wie das gehen soll. Hat die SPD inzwischen eine Leitvorstellung, wie die digitale und globalisierte Welt nicht allein durch Geld gesteuert, sondern durch eine neu entworfene Gerechtigkeit menschlicher werden kann?