Viele PolitikerInnen und ÄrztInnen sprechen in der Corona-Krise von Krieg. 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigt die Pandemie jedoch, dass vor allem ein Mittel das Virus „besiegen“, also „Frieden“ bringen kann: internationale Zusammenarbeit.
Martialische Rhetorik steht gegenwärtig hoch im Kurs. Einige Länder befinden sich im Krieg (Frankreich), andere halten sich für unbesiegbar (Russland) oder wittern hinter dem „chinesischen Virus“ gar den Einsatz biologischer Waffen (USA). Auch die Bundeskanzlerin, sonst eher bekannt für ihre Nüchternheit, scheute den Kriegsvergleich angesichts der Pandemie nicht und sprach von der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Angesichts von dessen Ende am 8. Mai vor 75 Jahren sind zwei Fragen besonders interessant: Sind die Kriegsvergleiche angemessen? Und wenn ja: Was sagt uns das über die Lösung der Krise?
Corona-Krieg
Vieles von dem, was moderne Kriege ausmacht, lässt sich gewissermaßen auch in der Corona-Krisefinden, wenn man die entsprechenden Bilder und Analogien bemühen möchte. Versuchen wir, die Logiken hinter solcher Kriegssprache zu verstehen: Der Feind – das Virus – kann jederzeit hinterrücks zuschlagen, KombattantInnen - medizinisches Personal - und ZivilistInnen sind gleichermaßen bedroht. Es gilt der Ausnahmezustand, bürgerliche Freiheiten sind eingeschränkt. Auch ökonomische „Kollateralschäden“ und mancherorts die teilweise Überlastung des Gesundheitssystems durch die Versorgung der Opfer gehören dazu. Zudem sind Todesopfer zu beklagen: mittlerweile sind weltweit über 300.000 an Covid-19 gestorben.
Allerdings gibt es auch wesentliche Unterschiede zum Krieg: Nur sehr selten können ZivilistInnen den Verlauf dessen, was global passiert, derart einfach beeinflussen wie im Moment, und zwar mit relativ geringem Aufwand. Fokussiert man sich auf diesen Unterschied, können die Kriegsvergleiche zynisch wirken: Menschen, die den Krieg in Syrien hautnah miterleben, können über die Versicherung, es werde schon alles irgendwie besser, wenn man nur zu Hause bleibt, wohl nur bitter lachen.
Corona-„Alliierte“
Ein wichtiger Unterschied zwischen Krieg und Corona bietet in der gegenwärtigen Krise aber besonderen Anlass zur Hoffnung: Krieg definiert sich darüber, dass sich Gruppen von Menschen systematisch gegenseitig Gewalt antun. Das ist in der momentanen Krise – Gott sei Dank – nicht der Fall. Das bietet uns einen ganz entscheidenden Vorteil: Theoretisch ist in der Corona-Krise eine Kooperation aller Länder zumindest denkbar.
Kooperation gibt es zwar auch in Kriegen, aber immer nur gegen ein jeweils anderes Bündnis. Die „Alliierten“ der Corona-Krise könnten dagegen alle Länder der Welt sein. Die Realität sieht leider anders aus. Um das zu erkennen, muss man nicht einmal auf das internationale Parkett blicken. Auch die Verantwortlichen in manchen deutschen Bundesländern scheinen Föderalismus nicht mehr als Maßnahme der Gewaltenteilung, sondern als Auftrag zum Wettbewerb zu verstehen. Manche MinisterpräsidentInnen scheinen zeigen zu wollen, dass sie den Kampf gegen Corona am besten, am konsequentesten angehen, wohl um politisches Kapital aus der Krise zu schlagen. Die Ministerpräsidenten der beiden bevölkerungsreichsten Bundesländer, Armin Laschet und Markus Söder, scheinen der Bundespolitik besonders häufig zuvorkommen zu wollen, um sich als mögliche Kanzlerkandidaten zu profilieren.
Kapitalistische Auswüchse
Wenn schon keine Einigkeit innerhalb eines Staates wie Deutschland herrscht, wie könnte es da international besser aussehen? Selbst wenn man vom direkten Konflikt zwischen den beiden Weltmächten China und USA absieht, bleibt nicht viel übrig von einer möglichen Corona-Allianz. Chinesische und russische Hilfen für Norditalien wurde hierzulande medial kritisch beäugt. Die beiden autokratischen Regime wollten nur ihr Ansehen in der Welt aufpolieren, hieß es. Wahrscheinlich stimmt das auch. Diese Feststellung hilft aber nicht, denn kein Weg führt an internationaler Zusammenarbeit vorbei
Auch der Kapitalismus spielt in dieser Krise eine unrühmliche Rolle. So werden etwa Pharmaunternehmen, die bei der medizinischen „Bekämpfung“ der Pandemie zweifellos wichtige Arbeit leisten, wohl zu den „Gewinnern“ der Krise zählen. Allerdings kündigte der französische Pharmakonzern Sanofi jüngst an, einen möglichen Impfstoff zuerst den USA zur Verfügung stellen zu wollen. Die Vereinigten Staaten hätten sich durch Investitionen ein Recht auf Vorbestellung erwirkt. Frankreichs Präsident Macron konterte zwar, Impfstoffe sollten der Logik des Marktes entzogen werden – wie er das durchsetzen will, blieb aber sein Geheimnis. Mit moralischen Appellen an globale Wirtschaftsplayer ist es jedenfalls nicht getan. Wahrscheinlicher ist, dass Sanofiauch aus der EU immense Summen erhalten wird, um das Vorverkaufsrecht der Amerikaner aufzuheben.
Coronas 8. Mai
Wird es je einen 8. Mai, einen Tag der Befreiung von der Corona-Krise geben? Anders als vor 75 Jahren reicht die Kraft von vier Staaten nicht mehr aus, um die Krise zu lösen. Denn nicht mehr die Mittel des Krieges sind in der Pandemie gefragt, im Gegenteil: Eine Zusammenarbeit aller Beteiligten wäre – um doch noch einmal das Bild zu bemühen – die mächtigste „Waffe“ gegen das Virus. ForscherInnen und StaatschefInnen müssten offen miteinander reden, ihre Ergebnisse miteinander teilen, Hilfe dorthin schicken, wo sie benötigt wird. Nur dann können wir später stolz an einen gemeinsam errungenen Sieg erinnern.