Wie viele Opfer die Corona-Krise fordern werde, liege vor allem in unseren Händen. Das sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch. Doch das stimmt nicht: Jetzt ist die Regierung gefragt. Halbherzige freiwillige Maßnahmen können die Krise nicht mehr bändigen. Die Bundesregierung muss zu härteren Maßnahmen greifen, Ausgangssperren sind unvermeidbar.
Über Wochen hinweg schaute ein Großteil der deutschen Bevölkerung halbwegs fasziniert dem Corona-Ausbruch in China zu. Welche Maßnahmen zur Gängelung der eigenen Bürger würde sich das autoritäre Regime wohl als nächstes einfallen lassen und diese mit der Epidemie rechtfertigen? Manch einer fühlte sich sogar zu rassistischen, vermeintlichen „Späßen“ aufgelegt oder nahm Abstand, wenn er asiatisch aussehenden Menschen in der Bahn begegnete. Vorsicht geht schließlich vor: Auch wenn im Allgemeinen die falsche Gewissheit herrschte, dass uns in Deutschland so etwas ja sowieso nicht passieren könne.
China schaut besorgt nach Europa
Dann kam das Virus nach Deutschland. Für die allermeisten immer noch kein Grund zur Sorge. Diejenigen, die vorher Witze über Chinesen gemacht hatten, sagten jetzt, Corona sei ja nur wie eine Grippe, treffe vor allem Alte und Kranke. Eine sozialdarwinistische Aussage sondergleichen! Gerade in Deutschland sollten bei solchen Sprüchen alle Alarmglocken klingeln. Mit dieser Einstellung explodierten die Infektionszahlen in Deutschland, übrigens etwa in der selben Geschwindigkeit, wie der DAX sank.
Längst schaut man aus China besorgt und voller Unverständnis nach Europa. In Wuhan, dem ehemaligen Epizentrum der Pandemie, gibt es mittlerweile keine Neuinfektionen mehr. Die chinesische Regierung hat es geschafft, den Ausbruch einzudämmen. Warum lernen wir nicht an ihrem Beispiel? Sicher: Chinas Regierung ist ein undemokratisches, autoritäres Regime, vor dem wir uns hüten sollten. Das heißt aber nicht, dass alles falsch wäre, was die chinesische Regierung tut.
Gut gemeinte Ratschläge ersetzen keine Maßnahmen
Mit den Maßnahmen, die in Deutschland bisher verabschiedet wurden, lässt sich eine weitere Ausbreitung jedenfalls nicht verhindern. Wer in den letzten Tagen auf der Straße war, konnte reges Treiben beobachten, gefüllte Parks und Spielplätze. Wenn sich die Sonne zeigt, dann ignorieren die meisten Menschen in diesem Land die gutgemeinten Ratschläge der Regierung: Zu Hause bleiben, Sozialkontakte so gut wie möglich meiden, Homeoffice. Das ist unsolidarisch gegenüber den Risikogruppen, war aber leider zu erwarten.
Die Maßnahmen kommen außerdem deutlich zu spät. Die einzigen Konsequenzen sind bisher panische Hamsterkäufe und leere Regale, wo vormals Toilettenpapier lag. Das war wohl nicht, was die Regierung erreichen wollte. Deutschland und auch andere Länder in Europa waren ganz offensichtlich nicht auf den Ausbruch vorbereitet, obwohl Wochen vorher bereits sichtbar war, was in Asien geschah. Jetzt kann die Ausbreitung nicht mehr verlangsamt werden, die Strategie muss eine andere sein: Eindämmung.
Dieses Ziel kann jetzt nur noch durch konsequente Ausgangssperren erreicht werden. Die Solidarität mit den Risikogruppen ist es wert, Menschenleben können gerettet werden. Zwei Punkte sprechen allerdings gegen diese Maßnahme: Erstens ist sie autoritär. Eine Regierung wie die chinesische braucht niemanden zu fragen und zuckt nicht mit der Wimper vor der Umsetzung solch einschneidender Schritte. Für uns erscheint sie dagegen als Bedrohung der Demokratie. Eingesperrt werden Menschen normalerweise, wenn sie Verbrechen begangen haben. Wie soll man sich noch gemeinsam z.B. gegen Unrecht organisieren, wenn man voneinander isoliert ist?
Lösungen für besonders Betroffene finden
Zweitens bringen Ausgangssperren ökonomischen Schwierigkeiten. Vor allem Selbstständige sind betroffen, deren Dienste niemand mehr in Anspruch nimmt. Aber auch Arbeitnehmer, deren Jobs wegrationalisiert werden, wenn Chef*innen merken, dass die Ziele in diesem Jahr nicht mehr erreicht werden.
Für beide Probleme müssen dringend Lösungen gefunden werden. Im Zeitalter des – unzensierten – Internets gibt es glücklicherweise eine digitale Öffentlichkeit und die Möglichkeit, sich auch hier zu vernetzen und zu organisieren. Der Staat müsste das fördern und so etwa Gewerkschaftsversammlungen im Netz ermöglichen. Für die ökonomischen Schäden muss die Regierung dringend ein Hilfspaket schnüren. Wir können nicht zulassen, dass tausende Menschen in die Armut abgleiten – wegen einer Situation, die sie nicht zu verschulden haben. Diese Maßnahmen müssen schnell kommen. Denn die Ausgangssperre wird früher oder später umgesetzt.