Schweigegelübde brechen, um Zölibat zu halten

Auch wenn er es später nicht so gemeint haben wollte: Der emeritierte Papst Benedikt hat sich wieder einmal in die Geschäfte seines Nachfolgers Franziskus eingemischt. Die Debatte um Benedikts Aussagen zum Zölibat im Buch des guineischen Kardinals Robert Sarah zeigen: Die Kirche braucht eine Regelung, um künftig mit dem Zwei-Päpste-Problem umzugehen. Eine Lösung zu finden, erscheint schwierig.


Mittelalterlicher Papstpalast in Avignon; die Gegenpäpste waren in Rom
(Bild von Hans Braxmeier auf Pixabay)

Benedikts letzter Schritt als Papst war sein mutigster, darüber sind sich viele einig. Einen zurückgetretenen Nachfolger Petri hatte es zuvor mehrere Jahrhunderte lang nicht gegeben. Doch auf den von Benedikt geschaffenen Präzedenzfall dürften künftig einige Kirchenoberhäupter verweisen, wenn sie ihre Amtszeit beenden wollen. Menschen werden heute nun einmal älter als noch vor 200 Jahren und auch Päpste haben ein Recht darauf, ihren Lebensabend in Ruhe und Frieden zu verbringen. Das bedeutet aber auch: Die jetzige Situation, in der die katholische Kirche – wenn auch nur scheinbar – zwei Päpste hat, dürfte künftig zum Normalfall werden.

Aufhänger Amazonas-Synode

Durch Aussagen des emeritierten Papstes zum Zölibat ist ein struktureller Konflikt deutlich nochmals deutlich geworden. Robert Sarah, ein einflussreicher und sehr konservativer Kardinal aus dem westafrikanischen Guinea, wollte ein Buch veröffentlichen, aus dem eine französische Zeitung in der vergangenen Woche einen Auszug vorab druckte. Darin kam auch Benedikt XVI. zu Wort, auch wenn er im Nachhinein darauf bestand, dass sein Name als Mitautor nicht auf dem Umschlag stehen dürfe. Der ehemalige Papst wandte sich in dem Text gegen eine Lockerung des Eheverbots für Priester. Er schrieb, der Dienst an Gott wie auch die Ehe forderten beide die völlige Hingabe des Mannes, daher sei es nicht möglich, die beiden Berufungen zugleich fortzuführen.

Das ist ein altes, immer wieder vertretenes Argument. Dennoch hat es eine kirchenrechtliche Brisanz. Die Amazonas-Synode im vergangenen Jahr hatte Papst Franziskus empfohlen, das Zölibat in der Amazonas-Region in Einzelfällen zu lockern und auch verheiratete Priester zuzulassen. Katholiken im dortigen Regenwald können wegen des Priestermangels teils über Wochen keine heilige Messe feiern. Die Entscheidung des Papstes wird in den nächsten Wochen erwartet.

Eine Kirche der pragmatischen Entscheidungen

So vertretbar Benedikts Argument sein mag, so realitätsfern ist es auch. Gerade in Brasilien, wo Evangelikale starken Aufwind haben, muss die katholische Kirche aufpassen, nicht verdrängt zu werden. Denn: Evangelikale Geistliche müssen nicht den Zölibat versprechen, jeder kann dort Pastor oder Prediger werden. Das kommt den spirituellen Bedürfnissen der Menschen in abgelegenen Regionen entgegen.

Und doch kann die katholische Kirche reagieren, denn auch historisch gesehen hat sie oft nicht auf Dogmen beharrt, sondern pragmatische Lösungen gefunden, die die Gläubigen und nicht die Traditionen in den Mittelpunkt stellten. Jüngstes Beispiel dafür ist vielleicht der provisorische Deal des Vatikans mit der chinesischen Regierung über die Bischofsfrage in der Volksrepublik. Der untergräbt zwar die Autorität des Heiligen Stuhls, andererseits dürfte die Situation der Katholiken im Land sich dadurch deutlich verbessern. Eine solche pragmatische Lösung wäre auch für die Amazonas-Region denkbar.

„Päpste“ nicht gegeneinander ausspielen

In Rom scheinen einige nicht dieser Meinung zu sein. Dazu gehören auch der Benedikt XVI. und Kardinal Robert Sarah. Das ist zwar ihr gutes Recht; Konflikte müssen auch offen ausgetragen werden. Schwierig ist aber, dass der ehemalige Papst, der bei seinem Rücktritt ein Schweigegelübde gegeben hatte, öffentlich dem amtierenden Papst widerspricht. Zwar hat Franziskus seine Entscheidung in der Zölibatsfrage noch nicht bekannt gegeben, für seinen Reformkurs ist er aber schon seit Amtsantritt bekannt. Benedikt hatte Franziskus nach seiner Wahl bedingungslosen Gehorsam versprochen. Warum greift er dann immer wieder in den kirchlichen Diskurs ein? Selbstverständlich liegt die Macht de jure beim amtierenden Papst. Doch Benedikt muss klar sein, dass er in einschlägigen kirchlichen Kreisen noch immer über eine hohe Autorität verfügt und die Amtsmacht seines Nachfolgers damit untergraben kann.

Das wissen natürlich auch Konservative wie Robert Sarah, die deshalb versuchen Benedikt für Publikationen zu gewinnen, damit auch ihre Position mit der Autorität eines – ehemaligen – Papstes vorgetragen wird. Was aber tun, um Vereinnahmung und Autoritätskonflikte in der Kirche zu verhindern? Man kann Benedikt XVI. wohl kaum mit einem Publikationsverbot belegen. Sein Schweigegelübde scheint aber nicht viel wert zu sein. Sehr wohl aber könnten Kardinäle bewusst darauf verzichten, die Autorität des amtierenden Papstes zu untergraben, indem sie seinen Vorgänger gegen ihn ausspielen.

Bringt die Zeit eine Normalisierung?

Doch auch Benedikt selbst müsste sich die Frage stellen, ob sein Verhalten der Kirche wirklich zuträglich ist, oder ob es nicht die Traditionen und Strukturen schädigt, die er gern verteidigen möchte. Ein Handwerksmeister im Ruhestand kommt ja auch nicht regelmäßig in den Betrieb seines Nachfolgers, um ihm öffentlich mitzuteilen, was er anders gemacht hätte. Täte er es doch, könnte sich der junge Meister zurecht über betriebsschädigendes Verhalten beklagen.

Warum sollte das im Gotteshandwerk anders sein? Vielleicht wird dieser Konflikt auch nicht mehr zu Leb- bzw. Amtszeiten von Benedikt und Franziskus geregelt. Vielleicht wird er auch immer wieder neu ausgehandelt werden müssen, von Fall zu Fall, von Papst zu Papst. Doch wenn Rücktritte von Päpsten zunehmend zum Normalfall werden, dann lernen vielleicht auch die Päpste von Generation zu Generation, wie mit der Situation umzugehen ist. Benedikt konnte nirgendwo lernen, was es bedeutet, Papst im Ruhestand zu sein. Seine bewahrende Haltung zum Zölibatsversprechen sollte er auch auf sein Schweigeversprechen anwenden.