Äthiopien: Kein Frieden ohne Religionsfrieden

Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed hat in Oslo den Friedensnobelpreis erhalten. Die Vergabe an den Reformer aus Ostafrika ist gerechtfertigt. Doch Äthiopien steht weiterhin vor großen sozialen Problemen, das Land bleibt vorerst ethnisch und auch religiös tief gespalten. Der Westen müsste zugleich unterstützen und sich zurückhalten.


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Lob und Reformbemühungen

Das Lob der Vorsitzenden des Nobelkomitees, Berit Reiss-Andersen, war groß. Nicht nur der Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea sei Abiy anzurechnen. Auch seine Bemühungen um Frieden in anderen Ländern der Region, wie dem Sudan, oder die innenpolitische Demokratisierung gehörten zu seinen Errungenschaften. Die westliche Welt feiert Abiy Ahmed, seit er im April 2018 äthiopischer Regierungschef wurde. Reiss-Andersens Laudatio in Oslo demonstrierte das erneut.

Die Realität in dem Vielvölkerstaat am Horn von Afrika hält mit dem Lob noch nicht ganz Schritt. Ja, Abiy hat sich bislang reformwillig und bemüht gezeigt. Sicher hat er bereits einige Erfolge vorzuweisen: Der Friedensschluss mit Eritrea ist an erster Stelle zu nennen. Aber auch innenpolitisch ist durch die Freilassung politischer Gefangener und den Abbau von Repressionen ein neues Klima entstanden. Zudem wird die Hälfte der Ministerien in Abiys Kabinett von Frauen geführt und auch an anderen Stellen hat er Frauen in wichtige Positionen verholfen, etwa der Staatspräsidentin Sahle-Work Zewde. Das mögen symbolische Erfolg sein, aber wie viele EU-Länder können schon mit einer solchen Frauen-Quote in Führungspositionen glänzen?

Friedensprozess stockt

Was in Europa allerdings anscheinend noch nicht angekommen ist: Die Umsetzung des Friedensvertrags mit Eritrea kommt nicht recht in Gang. Das liegt vor allem am eritreischen Präsidenten Isaias Afewerki, der das Land seit der Unabhängigkeit Äthiopiens Anfang der 1990er mit eiserner Hand regiert. Er hat die Grenzöffnung, die das Ende von Eritreas Isolation einleiten sollte, mittlerweile wieder rückgängig gemacht. Die Eritreer sind wieder genauso in ihrem Land gefangen und der Willkürherrschaft Aferwerkis ausgesetzt, wie zuvor. Besonders betroffen sind davon die Religionsgemeinschaften. Die drohen nun in Äthiopien zum Unruhefaktor zu werden. Bisher hatten sich die Mitglieder der beiden größten Gemeinschaften des Landes, Anhänger der äthiopischen orthodoxen Kirche und Muslime, eigentlich gut verstanden. Mit dem Sturz des letzten Kaisers 1974 hatten beide Gruppen gleiche Rechte erhalten, auch wenn das unter dem neuen Regime eher bedeutete, dass beide mit den gleichen Einschränkungen leben mussten. Dennoch war der Sturz des Kaisers ein großer Schritt, immerhin hatten die äthiopischen Kaiser ihre Abstammung auf König Salomo zurückgeführt, woraus sich eine hervorgehobene Stellung der orthodoxen Kirche ableitete. Doch wie in vielen Ländern Afrikas und Südamerikas stößt zu den traditionellen Gruppen nun eine neue: evangelikale Protestanten, zu denen auch der Ministerpräsident gehört.

Konkurrenz der Religionen

Durch die neue Konkurrenz sehen sich die beiden älteren Religionsgemeinschaften unter Zugzwang. Besonders der Vorwurf von Muslimen und orthodoxen Christen, die Evangelikalen seien Agenten einer westlichen und gewissermaßen „un-äthiopischen“ Agenda, belastet das teilweise angespannte Verhältnis zwischen bestimmten Gruppen noch mehr. Möchte Abiy seine Glaubwürdigkeit im eigenen Land wahren, darf er sich dem Westen nicht zu sehr anbiedern, sonst riskiert er, dass sich dieser Vorwurf auch gegen ihn richtet.

Hinzu kommen ethnische Spannungen. Erst vor kurzem hat die Volksgruppe der Sidama im Süden des Landes über ihre innere Autonomie abgestimmt. Dieses Referendum könnte in einem Vielvölkerstaat wie Äthiopien, in dem 120 verschiedene Volksgruppen leben, eine problematische Entwicklung anstoßen. Folgen andere Ethnien dem Vorbild der Sidama, dann droht ein Auseinanderdriften des Landes, zumindest aber würde die Arbeit der Zentralregierung deutlich erschwert werden und die Reformen könnten ins Stocken geraten.

Mehr Zurückhaltung aus dem Westen

Würden sich die Religionsgemeinschaften in Äthiopien wieder weniger als Konkurrenten, sondern als gleichberechtigte Partner ansehen , könnten sie dazu beitragen, ethnische Probleme zu überwinden. Orthodoxe Christen und Muslime müssten sich ihrer ehemals staatstragenden Rolle wieder bewusst werden, aber auch den Evangelikalen muss ihre politische Verantwortung bewusst gemacht werden. Doch über Erfolg oder Misserfolg der Reformpolitik wird nicht nur im Inland entschieden.

Die jüngsten Entwicklungen im Konflikt mit Eritrea zeigen, dass auch externe Faktoren Einfluss auf Abiys Kurs haben. Dazu gehört auch das Verhalten des Westens: Abiy ist es wert, unterstützt zu werden, das hat hier mittlerweile beinahe jeder begriffen. Entscheidend ist aber, wie diese Unterstützung aussieht: Äthiopien muss dabei vor allem die Möglichkeit bekommen, seinen eigenen Weg zu gehen, auch damit Abiy sich nicht als westliche Marionette in Verruf bringt. Mehrere Putschversuche haben gezeigt, dass die Eliten des alten Regimes nur auf ein Zeichen der Schwäche des Regierungschefs warten, um die gesamte Reformpolitik zunichte zu machen. Mehr vornehme Zurückhaltung mit Vertrauen auf die Stärke Afrikas stünde der europäischen Politik nicht nur hier, sondern auch andernorts gut zu Gesicht.

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