Missbrauch ist äußerst schädlich für die Institution – wenn die Sache publik wird. Deshalb ist es für die Institution immer besser, das Verbrechen wird nicht aufgedeckt, schon gar nicht von der Institution selbst. Die Opfer müssen das hinnehmen. Das Muster ist bei der katholischen Kirche freigelegt, die vielen anderen Stätten des Unheils bleiben noch verborgen. Die institutionelle Logik bleibt weiter wirksam:
Die Betroffenheits-Theatralik
Die Katholiken haben inzwischen als Reaktion auf Missstände ein Reaktionsmuster entwickelt, das gute Fernsehbilder und Schlagzeilen liefert, aber das Problem nicht behebt. „Betroffenheit deutlich zeigen – und die Welt ändert sich nicht.“ Denn der Verantwortliche für die Institution muss immer abwägen, ob er das Opfer schützt oder den Täter an die staatlichen Stellen „verrät“. In den Augen vieler Mitglieder verrät er die Institution, wenn er gegen den Täter Strafanzeige stellt. Die Bischöfe, die jahrelang die Täter nicht angezeigt haben, standen wahrscheinlich unter einem hohen Druck ihres direkten Umfeldes und Beraterkreises. Zudem sind die Täter dem Bischof emotional sehr viel näher als die Opfer. Er ist auf die Solidarität der Priester angewiesen. Wenn man dann noch die Ausrede heranzieht, so schlimm sei Missbrauch ja am Ende auch nicht, dann funktioniert die innere Logik der Institutionen ohne Einspruch von außen weiter. Wenn die Bischöfe das Problem umschiffen konnten, warum haben die katholischen Laien nicht gehandelt? Das letzte Konzil hat ja ihrem Status als Volk Gottes die notwendigen Rechte garantiert. Aber das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hatte ein anderes Ziel: Abschaffung des Zölibat. Es sollte sich ernsthaft fragen, was es mit seiner thematischen Logik verhindert hat. Es war von seiner Seite nämlich auch:
Die Funktion des Zölibats
Es wird ja immer wieder gefordert, dass Männer mit einer pädophilen Orientierung heiraten sollten. Das wäre dann auch eine einfache Lösung: die Priester wären verheiratet. Dann hört das mit dem Missbrauch von selbst auf. Aber sagen die Kinderschutz-Verbände nicht, dass der Haupttatort die elterliche Wohnung ist. Und wer kümmert sich um die vielen Mädchen, die doch auch missbraucht werden, von ihren Onkeln, Großvätern und Vätern. Mit der ständigen Forderung nach Abschaffung des Zölibats haben sich die katholischen Laien ein medienwirksames Schlachtfeld gesucht und damit aber indirekt diejenigen, die für die Aufdeckung des Missbrauchs die Verantwortung tragen, die Bischöfe, in Ruhe gelassen. Es muss doch tausende Eltern, ältere Geschwister, Tanten, Onkel, Lehrer und Lehrerinnen gegeben haben, die vom Missbrauch gewusst haben. Wer hat diese Stimmen katholischer Laien dem Verschweigen überantwortet! Die endlose Diskussion über den Zölibat hat den Blick vom zentralen Problem abgelenkt. Denn wenn man die Bischöfe zum Einsatz für den Zölibat zwingt, dann fällt der Missbrauch in der Aufmerksamkeitsskala unter die Wahrnehmungsschwelle. Die Konsequenz
Alle Katholiken haben ein Problem mit dem Missbrauch
Wenn die katholischen Laien ihren Betroffenheits-Eskapaden endlich lassen und sich, wie das Konzil ihnen anbietet, als Mitglieder des einen Volkes Gottes verstehen, dann würden die Therapeuten und die Juristen in ihren Reihen ansetzen, um die institutionellen Logiken zu ändern. Eine Kirche, die sich wie die Katholische Kirche auf ein ausgebautes Rechtssystem stützt, kann diese Ressource nutzen. Erstaunlich, dass seit 2010 nicht die Maßnahmen ergriffen wurden, um die Kinder wirklich zu schützen. Wer, wie der Autor, in die diözesanen Abläufe eingeschleust wird, wird sofort erkennen, dass von Prävention nicht die Rede sein kann. Die Institution sichert sich ab, schafft es aber nicht, für Prävention zu motivieren. Beispiel: Man muss ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Das bezieht sich aber auf die Vergangenheit, ob der Betroffene straffällig geworden ist. Was er in Zukunft tun soll, dafür ist scheinbar die persönliche Moral zuständig. Es wird sich deshalb erst etwas ändern
Wenn die Kirche Hilfe von außen heranzieht
Die Katholische Kirche in Deutschland, Bischofskonferenz wie Zentralkomitee, müssen sich eingestehen, dass sie ohne Hilfe von außen aus der Missbrauchsfalle nicht herauskommen. 2010, als ehemalige Schüler des Berliner Jesuitenkollegs an die Öffentlichkeit gingen, hatte es schon mehrere Wellen gegeben, die das ganze Volk Gottes hätte nicht nur alarmieren, sondern zu einem geordneten Handeln hätten motivieren müssen. Auch 8 Jahre später können Eltern nicht sicher sein, ob ihre Kinder bei der katholischen Kirche, ob in Zeltlagern, beim Kommunionunterricht oder in Internaten einen besseren Schutz genießen als z.B. in Sportvereinen oder anderen Gegebenheiten, die eine große Nähe von Erwachsenen zulassen. Solange die Bischöfe wie die Laien nicht überzeugend zeigen, dass sie zwar nicht jeden Missbrauch verhindern können, aber Maßnahmen entwickelt haben um sowohl die Opfer zu schützen wie auch den Tätern nachhaltig zu helfen, mit ihrer sexuellen Orientierung zurechtzukommen, wird sie sich weiter lähmen. Sie muss zuerst einmal die psychologischen Fakten anerkennen, dass Missbrauch weder durch Homosexualität noch durch den Zölibat bedingt ist und damit auch nicht mit einem Federstrich beseitigt werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine Orientierung, die nicht umprogrammierbar ist. Das können Kardinäle, heißen sie Müller oder Brandmüller, nicht abschließend feststellen, sondern nur diejenigen, die sich mit den Tätern therapeutisch beschäftigen. Man muss auch davon ausgehen, dass die Faktoren, die zur Entstehung der sexuellen Orientierung führen, bisher nicht durchschaut sind. Denn eigentlich müsste die Therapie in dem Alter ansetzen, in dem sich die sexuelle Orientierung ausformt. Wenn sie nicht veränderbar ist, dann kann eine Therapie später nur helfen, mit der Orientierung umzugehen.
Zum Schluss sei noch auf eine weitere Möglichkeit hingewiesen, die Bischöfe wie Laien nutzen können: Jesus fragen:
Nachdem die psychologischen wie die institutionellen Faktoren deutlicher herausgetreten sind, kann die Katholische Kirche mit ihrem vielen Geld endlich die Therapieeinrichtung schaffen, die sie ihren Mitgliedern schuldig ist. Es gibt ja auch von der Kirche betriebene Alkohol-Heilstätten. Sie kann ihre Institutionen auch so umbauen, dass ein Verantwortlicher nicht mehr die Aufdeckung von Missbrauch bremsen oder unterbinden kann. Sie könnte auch den Blick Jesu auf sich ruhen lassen. Er hat seine Jünger, als deren Nachfolger sich die Bischöfe verstehen, öfters zurechtgewiesen. Die erste Generation der Amtsträger war sich dieser Kritikwürdigkeit noch bewusst, denn sie hat die Worte und Anweisungen Jesu aufschreiben lassen. Jesus muss nichts weiter mehr sagen, zum Schutz der Kinder hat er deutlich erklärt, dass der Täter mit einem Stein am Hals ertränkt werden soll. Es genügt, wenn die Mitglieder des Zentralkomitees wie der Bischofskonferenz sich still in eine Kirche setzen und warten, was ihnen in der Gegenwart Jesu deutlich wird. Wem klar geworden ist, was Jesus von der Kirche in Deutschland will, steht auf und setzt sich schweigend in den Sitzungssaal. Wenn alle zusammengekommen sind, soll jeder angehört werden, ohne dass jemand dagegen redet. Es wird sich sowieso herzustellen: Jesus hat zu allen das Gleiche gesagt.