Angst vor dem Chaos! Warum die Russen Putin vertrauen

Die Wahlen in den 26 Regionen Russlands haben gezeigt, dass die Zustimmung zur Politik der regierenden Partei „Einiges Russland“ (Jedinaja Rossija) schwindet. Davon könnten aber nicht die Liberalen und pro-westlichen Kräfte profitieren, sondern – im Gegenteil – extreme Nationalisten von der sogenannten Liberal-demokratischen Partei (LDPR) und die Kommunisten.

In Moskau dagegen, das – als Zentrum der liberalen Opposition – über ein starkes Protestpotential verfügte, konnte der amtierende Gouverneur Sobjanin mit 74% aller Stimmen problemlos die Wahlen gewinnen. Die Liberalen haben dort viel weniger Stimmen bekommen als früher.

Der einzige oppositionelle Politiker, der von den relativ vielen, besonders von den jungen Leuten unterstützt wird, Navalny, vertritt extrem nationalistische Ideen. Er kämpft gegen die Migration aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, besonders gegen die muslimische Migration aus Zentralasien.

Korruption führt zu nachlassendem Wahlerfolg

Was Wähler aber veranlasst, gegen die regierende Partei zu stimmen, ist hauptsächlich die grassierende Korruption, die in den entlegenen Regionen besonders stark ist. Die Niederlage der seit 2013 in der Region Vladimir regierenden Gouverneurin ist darauf zurückzuführen. Vladmir liegt 400 Kilometer nördlich von Moskau.

In der Bevölkerung liegt die Zustimmung zu Putin jetzt bei 58%, höher als die der Regierung, die nur 41% beträgt. Innenpolitisch besteht Putins Problem darin, dass er sich um die Zustimmung des Volkes sorgen muss, dies aber mit der Loyalität und Unterstützung der geldgierigen Elite.

Wie regiert Putin und warum ist er weiterhin populär?

Putin versteht, dass der nationalistische Diskurs innerhalb des Landes bei vielen, besonders bei den älteren Leuten und in den kleineren Städten sowie auf dem Land gut ankommt. Man kann dies aber nicht als Richtlinie für die reale Politik benutzen: Weder innerhalb des Landes, weil es viele andere religiöse und ethnische Gruppen gibt, noch international; denn Russland kann sich die Konfrontation mit dem Westen nicht leisten, wenn das es sich wirtschaftlich weiter entwickeln will.

Die Stärke und die Notwendigkeit von Putin für das heutige Russland besteht darin, dass er für den Interessenausgleich sorgt – zwischen der Bevölkerung und der Elite, und zwischen den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Elite. Die extremen Nationalisten und Kommunisten lässt er walten, weil sie dafür sorgen, dass einfache Leute ihre Unzufriedenheit mit der Politik derer, die wirklich die Macht besitzen, zum Ausdruck können. Letztendlich aber bewegen sich diese Parteien innerhalb des Systems und stellen für die Macht Putins und seiner Leute keine Gefahr dar.

Die einzige Kraft, die nicht dem System angehört, bei den Leuten bekannt ist, und deswegen für die regierende Elite gefährlich werden kann, ist die Bewegung von Navalny. Aber gerade deswegen wird sie auch verfolgt, auch wenn sie sich ideologisch nicht von den Nationalisten der LDPR unterscheidet.

Vertrauen in Präsident, Kirche und Armee

Wirklich liberale Kräfte existieren auch, aber sie bekommen bei den Wahlen ungefähr zwischen 1% und 2% der Stimmen. Dafür könnte es mehrere Gründe geben: Erstens haben sich Liberale und ihre Ideen völlig diskreditiert, und zwar nicht nur in den 90er-Jahren. Russland hat Angst vor dem Chaos. Man sollte wahrscheinlich nicht die Ereignisse vom Anfang des 17. Jahrhunderts erwähnen, als die Regierungskrise zum Bürgerkrieg und zur polnischen Intervention geführt hat. Die liberale Regierung am Anfang des vorigen Jahrhunderts, nach dem Sturz des Zaren, war gescheitert und hatte für den bolschewistischen Putsch und eine fast jahrhundertlange Herrschaft geführt.

Vor Kurzem hat Putin auch gesagt, dass sich das Land in den 1990er-Jahren wieder im Zustand des Bürgerkrieges befand. Und es war die Zeit, wo die Regierung sich als liberal und pro-westlich darstellte. Deswegen stellen die Liberalen keine echte Alternative dar. Die Institutionen, denen Russen am meisten vertrauen, sind der Präsident (58%), die Kirche (48%) und die Armee (66%), weil sie für Ordnung sorgen, was in Russland bis jetzt das Wichtigste ist.