Katholisch: Darum doch noch!

Eine Religionsgemeinschaft hat einen Auftrag für die Gesellschaft, den sie nicht einfach delegieren kann. Es scheint den meisten Menschen in der Bundesrepublik so, als könnte die Katholische Kirche in Deutschland das nicht mehr. Wer für die Kirche Verantwortung übernommen hat, so die Amtsträger, können für diese Aufgabe sogar auf Texte von Papst Benedikt zurückgreifen, der die Werte im Gespräch gehalten hat. Seine Enzykliken und Schreiben sind weiter lesenswert, so wie die bejubelten aber noch nicht umgesetzten Impulse seines Nachfolgers.

Die Werte zurückgewinnen

Bei der Konzeption von Papst Franziskus fragen sich Viele, ob das nicht eine zu große Zumutung für die Deutsche Kirche wäre, denn sie müsste auf ihr Geld verzichten. Das geht "bei Gott nicht“? Tatsächlich, so scheint es, wird Gott die deutsche Kirche doch nicht überfordern. Wer sich dann auf die Suche macht, was diese Kirche für den Rückhalt an Werten in die deutsche Gesellschaft einbringt, findet fast nichts, was aufhorchen lässt. Ehe über Strukturen, fehlenden Nachwuchs, Kirchenaustritte und damit über Geld gesprochen werden kann, muss man sich mit den Werten beschäftigen, die dieser Kirche aufgegeben sind. Weil sie nicht von Manschen gemacht sind, braucht es eine aufmerksame und zeitnahe Kirche. Der Islam ist sich dieser Voraussetzung sehr bewusst.

Die Werte sind nicht Menschenwerk

Der Islam geht davon aus, dass die Regeln für die Gestaltung dieser Welt von Gott begründet sind. Ähnlich begründet die Soziallehre der Katholischen Kirche die Werte wie Solidarität und Subsidiarität als Ausdruck der Schöpfungsordnung und damit als glücksbringend, dem Wohlergehen der Menschen dienend. Wenn Gerechtigkeit als fundamentale Maßgabe Gott zugeschrieben wird, dann bindet sie auch den Menschen in seinem konkreten Handeln. Das galt für die alte Bundesrepublik, ist dieser aber mit dem Neoliberalismus abhanden gekommen. Gegen den Neoliberalismus, dem letzten Aufbäumen der Moderne, hielt die Religion an dem Grundsatz fest: Die Wirtschaft ist für den Menschen da, sowohl für den, der arbeitet wie für den, der die Produkte und Dienstleistungen nutzt. Da die Moderne im Neoliberalismus mit seiner Fixierung auf die Boni alle anderen Werte relativiert hat, braucht es umso dringender eine Institution, die den Zugang zu den Werten offen hält. Werte sind eben nicht relativ, sie ermöglichen nur dann ein menschenwürdiges Leben, wenn sie überzeugte Vertreter finden.

Nicht zuerst Skepsis gegenüber Rom, sondern gegensich selbst

Auch wenn das im Moment kaum jemand der Katholischen Kirche in Deutschland noch zutraut, es gibt glücklicherweise die Weltkirche. Sie berät gerade in Rom, welche Perspektive sie den jungen Menschen eröffnen kann. Es geht für die Deutsche Kirche jetzt darum, dass sie ihre Sonderrolle verlässt und intensiv auf die Weltkirche hört. Vor allem ist nach dem Verlust an Glaubwürdigkeit die Skepsis gegen Rom nicht mehr angebracht. Die deutschen Katholiken, ob Hauptamtliche oder Laien, sollten zuerst skeptisch gegen sich selbst werden. Dann öffnet sich das Ohr dafür, dass nicht alles, was von Rom kommt, von vorne herein schlecht für Deutschland sein muss. Es geht auch um das Auftreten, die Autos, in den man vorfährt, die Baumaßnahmen, will man das Vertrauen zurückgewinnen. Auch hier wäre ein Blick nach Rom hilfreich.

Religion braucht Armut

Die deutschen Bischöfe und ihre Verwaltungen scheinen nicht begeistert vom Kleinwagen, in dem sich der Papst kutschieren lässt. Die zu strake Trennung zwischen Pfarrei und Caritas steht der vom Papst geforderten Orientierung an denjenigen Menschen entgegen, die an den Rand gedrängt sind. Freude, die das Evangelium verspricht, scheint kaum noch jemand zu erwarten. Es gilt gerade für die Deutsche Kirche die klare Ansage Jesu: Reichtum verführt dazu, mehr den materiellen Mitteln als den Werten zu trauen. Der Reichtum der Deutschen Kirche scheint sie verführt zu haben, nicht so sehr auf Werte, sondern auf renovierte Gebäude, auf die Computerausrüstung, auf Planstellen zu vertrauen. Es geht erst mal nicht um das Geld, von dem die deutschen Katholiken ja viel an die Weltkirche abgeben, sondern um das Vertrauen in das Geld.

Werte müssen machtlos vertreten werden

Die Werte, für deren Attraktivität eine Kirche sorgen soll, sind nicht aus den Überlegungen der Kirchenmitglieder entwickelt, sondern ihr vorgegeben worden. Es gibt eben keine kirchliche Instanz, die die Bibel außer Kraft setzen könnte. Bei Verfassungen ist das offenbar anders, denn in einigen Ländern wird gerade die Veränderung des Wertesystems durch eine Verfassungsänderung gerade legitimiert. Eine Religionsgemeinschaft kann ihr Wertefundament nicht einfach anpassen, auch wenn es solche Anpassungsversuche immer gegen hat und auch heute gibt. Wenn die Deutsche Kirche jetzt ihre Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit fast gänzlich verloren hat, ihren Auftrag kann sie deshalb nicht zurückgeben. Je weniger sie auf Machtansprüche setzt, je mehr das Geld aus den Überlegungen verschwindet, je weniger Bischöfe darauf setzen, durch ihren Apparat, also durch Planstellen und damit durch angepasste Funktionsträger den Werten Anerkennung zu verschaffen, desto eher werden sie ihrem Auftrag gerecht. Dazu zwei konkrete Erfahrungen aus letzter Zeit, dass das unter dem Label "katholisch" weiter möglich ist:

  1. Islam: Ein guter Dialog mit dem Islam muss die religiöse Ebene zur Sprache bringen. Das kann eine Islamkonferenz beim Innenminister nicht. Die Muslime brauchen den Dialog auf der religiösen Ebene, denn ihre Vorstellung vom Funktionieren eines Gemeinwesens kommt nicht aus der Philosophie, sondern aus der Religion. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland will in diesem Staat mit einer von Menschen gemachten Verfassung leben, dazu brauchen sie das Gespräch mit Christen, wie das religiös möglich ist.

  2. Wirtschaft: Effektivität und Preiswettbewerb gehen den Beschäftigten an die Substanz. Sie werden "ausgebrannt". Es gibt Viele auf einflussreichen Posten, die den Faktor "Mensch" stärken wollen. Das von der Betriebswirtschaft geprägte System lässt das aus sich heraus nicht zu. Denn im System der Betriebswirtschaft ist der Mensch Kostenfaktor. Wie man eine Maschine effektiv einsetzen muss, so auch den Mitarbeiter. Burnout ist die Ausdrucksform, wie sich das auf die Seele und dann auch auf den Leib auswirkt. Wenn die Kirche Räume dafür zur Verfügung stellt, nehmen die Führungskräfte den Rückhalt des religiösen Wertesystems an.

Die Themenliste wäre durch Gesundheit, Schule, Universität, Stadtentwicklung fortzusetzen. Dabei hat Religion in der Form einer Institution nicht die Kompetenz für Lösungen, aber die Rolle, die Werte nicht nur als vage Orientierung, sondern als verbindliche, unbedingt geltende Steuerungsgrößen für die Gestaltung der Gesellschaft ins öffentliche Bewusstsein zu stellen. Das ist im Grundgesetz vereinbart. Aber wie die Parteien die ihnen aus Steuergeldern gewährten Mittel statt für die politische Bildung für Wahlwerbung gebrauchen, so nutzt die katholische Kirche die Kirchensteuer für die Aufrechterhaltung eines Gebäude- und Personalsystem, das die meisten ihrer Mitglieder nicht mehr aktiv nutzen (mit Ausnahme von Kinder, Kranken- und Pflege-Einrichtungen). Es ist aber nicht die Religion verschwunden, sondern der Kontakt der Kirchen zu dem, was im Menschen religiös angelegt ist.

Auch katholischer Journalismus muss Konsequenzen ziehen

Das ist jetzt alles nach Außen gesprochen. Auch der katholische Journalismus muss die Realität wahrnehmen, um die Werte, die der Kirche aufgetragen sind, in die heutige Lebenswelt einzulesen. Wir haben bei kath.de, verbunden mit explizit.net, hinsehen.net und Orthodoxia News insofern gute Voraussetzungen, uns auf Neues einzulassen, weil wir unabhängig geblieben sind und dadurch dem Armutsideal des Papstes näher sind. Wir schreiben und arbeiten großteils ohne Honorar. Für die Neuorientierung laden wir alle unsere Leserinnen und Leser ein, uns mit Hinweisen und Vorschlägen zu unterstützen, damit wir auf den Vertrauensverlust der Deutschen Kirche, der sich schon lange angebahnt hat, eine mediale Antwort finden. Wir danken für Ihre Unterstützung. Mailen Sie über https://kath.de/kontakt