Missbrauch am Leibe Christi

Die Zahlen der Missbrauchsopfer und - Täter im Klerus der Katholischen Kirche, ob in Pennsylvania und jetzt in Deutschland, sorgen für moralische Entrüstung. Aber ist nicht theologisch-spirituell auch Entscheidendes passiert? Versteht sich die Katholische Kirche doch als den "Mystischen Leib" Christi. Warum hat der Leib nicht auf die Verletzung gerade seiner schwächsten Glieder reagiert?

Die katholische Kirche versteht sich nicht als Verein, sondern als in Gott begründete Körperschaft. Diese Körperschaft wird in offiziellen Dokumenten als Leib verstanden. Das Bild des Leibes hat Paulus in das Selbstverständnis der jungen Kirche eingeführt. Dieser Leib hat Glieder mit verschiedenen Begabungen, die zusammenspielen müssen. Richten sie sich gegeneinander oder konkurrieren sie, leidet der ganze Leib. Leib heißt auch, dass alle Glieder für das Ganze ein Gefühl mitbringen. "Wenn ein Glied des Leibes leidet, dann leidet der ganze Leib," schreibt Paulus im 12. Kapitel des 1. Briefs an die Korinther.

Die Opfer hatten sich sehr wohl gemeldet

Was jetzt aus den Akten zusammengestellt wurde, hat ja immer eine Vorgeschichte von Tat, Aufmerksam werden auf die Tat, den Vorfall melden, bis er aktenkundig wird. Die Opfer haben ja mit Symptomen reagiert und, meist ganz leise, Erwachsene gesucht, denen sie erzählen konnten, was mit ihnen vom wem gemacht wurde. Nicht erst die Personalchefs und die Bischöfe haben weggehört, sondern tausende Eltern, Geschwister, Großeltern, Beichtväter, Jugendgruppenleiter. Die schwerwiegenden seelischen Schäden müssten doch in den kirchlichen Beratungsstellen und bei Therapeuten in ihrer Ursache erkannt worden sein. Schweigen und Übergehen war die Reaktion des ganzen Leibes Christi. Leidet wenigstens jetzt der ganze Leib oder zeigt er, wie der Sprecher der katholischen Laien, auf die Bischöfe, die ihre Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen haben?

Der Leib, dessen Haupt Christus ist

Der Missbrauch muss theologisch und spirituell mit dem ganzen Leib etwas gemacht haben. Der Verlust an Glaubenssubstanz, das Darniederliegen der religiösen Praxis ist sicher auch Folge des Missbrauchs, aber auch Folge, dass die anderen Glieder des Leibes nicht sensibel genug waren. Denn was nützen die Milliarden Gebete, wenn der Leib so geschädigt wurde. Und wer hat für die Täter gebetet, die mit diesen Taten doch auch kranke Glieder des Leibes sind. Selbst wenn man sie umbringen würden, sie blieben Glieder des Leibes Christi.

Wendet man die Aussagen des letzten Konzils auf die Problematik an, dann ist der Missbrauch ein moralisches Problem geblieben und hat gerade mal die Konsequenz, die Verjährung aus dem Strafrecht herauszunehmen. Das genügt noch nicht einmal für die Gesellschaft. Denn Missbrauch ist nicht nur in der Katholischen Kirche geschehen. Im Selbstverständnis dieser Kirche müsste allerdings ein theologisches Ringen beginnen. Warum hat die so positiv aufgenommene Lehre über die Kirche des Konzils nicht zu einer größeren Sensibilität des ganzen Leibes für seine schwächsten Glieder geführt? Das Schweigen der Dogmatiker zeigt, dass sie immer noch nicht begriffen haben, was mit dem Leib Christi passiert ist. Und warum müssen die Bischöfe in Sack und Asche Buße tun, der Laienkatholizismus aber nicht. Ist das nicht die Konservierung des Klerikalismus: „Wir haben keine Mitverantwortung, die Kirche bleibt Sache des Klerus.“

Aus der Niederlage aufstehen kostet Kraft

Diese Überlegungen sind erst einmal nur eine Ausweitung der Problemstellung auf die gesamte Theologie und die spirituellen Schulen innerhalb des Katholizismus. Sie sind auch erst einmal nur Forderung. Diese zielt auf eine Kirche, die in ihrer religiösen Praxis ausgehungert ist und intellektuell und als kulturelle Größe kaum noch Anziehungskraft ausstrahlt. Woher soll sie die Kraft nehmen. Sie müsste tiefer hinabsteigen. Aber wie der Islam scheint die Christenheit kaum damit zu rechnen, mit moralischem und spirituellem Versagen umzugehen. Von den Juden könnte die Kirche lernen, ihr Versagen in eine Klage vor Gott münden zu lassen. Diesen schmerzlichen Weg ist das jüdische Volk gegangen. Die Klagen und Anklagen der Propheten sind nicht unterdrückt worden, sondern haben ihren unverrückbaren Platz in den Büchern der Könige und den Predigten ihrer Propheten. Hat sich Gott nicht von seiner Kirche abwenden müssen. „Herr, deine Altäre sind zerstört, Dein Haus ist verwüstet. Deine geschändeten Kinder haben sich anderswo eine Heimat gesucht.“ Sollten nicht an den Sonntagen erst einmal Bußgottesdienste an die Stelle der Eucharistiefeiern treten?