In der katholischen Kirche ist der Missbrauchsskandal auf der höchsten Ebene angekommen, bei VW steht das kurz bevor. Wie ist das möglich. Empörung reicht nicht, zu viele haben mitgemacht.
Erst Acht Jahre, nachdem in Deutschland, Irland und den USA der sexuelle Missbrauch Minderjähriger von den Medien aufgegriffen wurde, sind in der katholischen Kirche zwei Kardinäle ihrer Ämter enthoben worden. Bei VW, so Mitteilungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig, war der Vorstand bereits 2015 informiert. Es sind Mechanismen, die wie eingeprägt in den Institutionen wirken: Den guten Namen retten, den Vertrauensverlust unterschätzen, Abhängigkeit bei Beförderungen.
Imageverlust vermeiden
Wenn ein Fehlverhalten öffentlich wird, schadet das erst einmal der Institution. Die Verantwortlichen wollen den Schaden abwenden und sehen in der Vertuschung das probate Mittel. Da Mitarbeiter selten ihr Wissen an die Medien weitergeben, erwarten sie von der obersten Verantwortungsebene das Eingeständnis und die Offenlegung des Fehlverhaltens. Die Spitze ist jedoch meist involviert. Zumindest ist sie wegen mangelnder Aufsicht mit verantwortlich. Sie riskiert den Verlust ihrer Position. Man sollte nun nicht der so naiv sein, zu glauben, dass die Skandale die Institutionen zu mehr Offenheit gebracht hätten. Eher das Gegenteil. Es ist sogar noch mehr damit zu rechnen, dass Missbrauch unter der Decke gehalten wird. Denn ob Diesel oder Sexualität, die Öffentlichkeit reagiert schneller und noch empörter als vor den Skandalen. Daher versuchen die Spitzen Fälle, die publik zu werden drohen, zu vertuschen. Denn jede Institution, ob eine gemeinnützige oder eine kommerzielle, wird kritisiert werden, dass sie aus den vorherigen Skandalen nicht gelernt zu haben scheint. Nicht nur wird es neuen Missbrauch geben, diese werden noch mehr vertuscht werden.
Es wird doch schlimmer als gedacht
Wenn die oberste Ebene von einem Fehlverhalten erfährt, und warum sollte sie nicht, ob in der katholischen Kirche oder bei VW, wird sie erst einmal davon ausgehen, dass die Sache bald vergessen sein wird. Die Vertuschung hat doch bisher funktioniert. Naiverweise erwarten die Verantwortlichen von den Autokäufern bzw. Kirchgängern, dass diese über die Fehler hinwegsehen, weil sie doch das Auto des Herstellers gekauft oder sonntags zur Kirche gekommen sind. Aber gerade diejenigen, die bisher vertraut haben, reagierenam schärfsten, da ihr Vertrauen enttäuscht wurde. Wer einer anderen Konfession angehört oder das Auto eines anderen Herstellers fährt, kann sich nur bestätigt fühlen, nicht Mitglied dieser Kirche zu sein bzw. eine andere Automarke gewählt zu haben.
Das Fehlverhalten wird fast immer von außen aufgedeckt
Meist funktioniert die Vertuschung, weil die Wissenden sich nicht an die Medien wenden. Die Missbrauchsfälle wurden nicht von der Institution, sondern von den Betroffenen öffentlich gemacht. Die Manipulation der Abgaswerte wurde eher zufällig von einer kleinen US-Universität entdeckt. Die Mitarbeiter, die von dem Missstand wissen, fürchten, sie könnten wegen Schädigung des Unternehmens bestraft werden. Die Befürchtung einer Entlassung ist zwar unbegründet, denn ein Gericht würde eine Kündigung nicht durchgehen lassen, vielmehr würde ja gerade das Fehlverhalten so bekannt werden. Da müssen schon Schweigegelder gezahlt werden. Wer allerdings noch Karriere machen möchte, wird sich hüten, über Missbrauch, Korruption oder Betrug Informationen weiterzugeben. Das Unternehmen könnte einen so großen Schaden erleiden, dass gar keine Posten mehr zu vergeben wären. Solche berufliche Interessen der Opfer ermöglichten es auch dem amerikanischen Filmproduzenten, so lange Frauen zwingen zu können. Schauspielerinnen sind freiberuflich tätig. Sie müssen für jede einzelne Rolle in einem Film engagiert werden. Da geht bei ihnen nicht zuerst um die Karriere, sondern ums finanzielle Überleben.
Es braucht Ethik
Die Analyse der Motivationen zeigt die Mechanismen, die die Vertuschung befördern. Das auch deshalb, weil nicht jedes Fehlverhalten eine so starke öffentliche Reaktion hervorruft, wie beim sexuellen Missbrauch oder der Manipulation der Abgaswerte. So sind die Vorstände der Deutschen Bank immer noch nicht angeklagt worden, obwohl sie von der Manipulation des Liborwertes und anderen betrügerischen Handlungen sicher Kenntnis hatten oder diese eventuell sogar billigten. Nur die Bank ist mit einem niedrigen Börsenwert und dem Verlust großer Geschäftsfelder bestraft. Noch erstaunlicher ist der Mantel des Schweigens, der über den TÜV-Nord gebreitet worden ist. Das war doch die zuständige, aber offensichtlich nicht unabhängige Prüfstelle, die die Manipulationssoftware hätte entdecken müssen.
Es ist deutlich: die Institutionen und Unternehmen werden weiter zu vertuschen suchen. Das liegt in der Logik von Organisationen. Denn keiner der Verantwortlichen hat von sich aus ein Interesse, dass Fehlverhalten öffentlich wird. Es kommt dann auf den ethischen Kompass an, ob die Mitglieder einer Institution oder eines Unternehmens warten, was die oberste Ebene macht oder ob sie selbst Verantwortung übernehmen. Das hätte auf jeden Fall die positive Konsequenz, dass Missstände nicht so lange unter der Decke gehalten werden und, wie man bei der Katholischen Kirche, bei VW und der Deutschen Bank sehen kann. Dann würde auch die Institution nicht so empfindlich geschädigt werden. Deshalb muss jeder und jede sich darüber klar werden, ob sie bei Fehlverhalten schweigen oder aktiv wird. Schon morgen kann die Antwort auf diese Frage fällig werden.