Papst Leo XIV. ist sechs Monate im Amt. Der erste US-amerikanische Pontifex, der als Wahlspruch „In Illo Uno unum“ („In diesem Einen sind wir eins“) wählte, hat in dieser Zeit einen eigenen Stil etabliert. Dieser balanciert zwischen Kontinuität und neuen Akzenten. War das erste halbe Amtsjahr eher ein Zugeständnis an die „Traditionalist:innen“ oder an die „Reformer:innen“ der katholischen Kirche? Und was will Papst Leo beim „außerordentlichen Konsistorium“ Anfang Januar 2026 mit allen Kardinälen beraten?
Papst Leo XIV., geboren als Robert Francis Prevost, ist am 8. Mai 2025 zum Papst gewählt worden – seine erste Bilanz nach sechs Monaten fällt differenziert aus: Der neue Pontifex balanciert Reformbereitschaft mit Tradition und versteht sich mehr als Vermittler denn als Entscheider. Papst Leos erste Äußerungen bieten dabei sowohl „Reformer:innen“ als auch „Traditionalist:innen“ Anknüpfungspunkte. Die einen wünschen sich, dass sich der neue Pontifex mehr an Papst Franziskus orientiert, die anderen wiederum mehr an Papst Benedikt XVI. Dass aktuell keine der beiden „Flügel“ glücklich ist, zeigt, dass Papst Leo einen guten Mittelweg gefunden hat. Denn nur wenn jeder Flügel etwas von seiner Position abgibt, kann ein Kompromiss gefunden werden. So werden sowohl Reformen ermöglicht, ohne die die katholische Kirche nicht zukunftsfähig ist, als auch die Grundprinzipien der katholischen Lehre nicht aufgegeben, was Papst Leo am Herzen liegt.
In seinem ersten Lehrschreiben „Dilexi te“ („Ich habe dich geliebt“) griff der neue Pontifex die „Option für die Armen“ und die Kapitalismuskritik seines Vorgängers Papst Franziskus auf. Ebenso unterstützte Leo den Weg seines Vorgängers zu einer synodaleren Kirche (wo er aber auch eigene Akzente einbrachte). Gleichzeitig erlaubte der Papst, dass erstmals wieder der „alte Messritus“ im Petersdom gefeiert werden durfte, und Leo trug bewusst traditionelle Messkleidung (z. B. die „Mozetta“, die Franziskus ablehnte).
Papst Leo lädt alle Kardinäle zum „außerordentlichen Konsistorium“ nach Rom
Wie die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) mit Hinweis auf das „National Catholic Register“ am 08. November meldete, lädt Papst Leo XIV. alle 245 Kardinäle am 07./08. Januar 2026 zum „außerordentlichen Konsistorium“ nach Rom. „Das Thema der Versammlung ist noch nicht bekannt“, zitiert „Kirche + Leben“ die Agentur KNA.
Ganz ungewöhnlich ist dieser Schritt nicht, denn auch Papst Franziskus rief zu zwei „außerordentlichen Konsistorien“: das erste ein Jahr nach seinem Amtsantritt. Bei Papst Leo XIV. werden es acht Monate nach seiner Wahl zum 266. Pontifex sein, wenn das Treffen aller Kardinäle (nicht nur der in Rom lebenden) in zwei Monaten stattfinden wird.
Die Einberufung signalisiert, dass Papst Leo XIV. in seinem noch jungen Pontifikat bereit ist, das gesamte Kardinalskollegium zu Rate zu ziehen und damit ein deutliches Signal für Kollegialität und Synodalität zu setzen – die Leitprinzipien seiner Amtsführung. Gleichzeitig kann der neue Pontifex damit auch der Kritik an „zentralistischen Entscheidungen“ unter Papst Franziskus entgegenwirken und dessen Verletzungen "heilen".
Beim a. o. Konsistorium wird es inhaltlich wahrscheinlich weniger als früher, um Personalentscheidungen zu neuen Kardinälen durch den Pontifex gehen (diese stehen voraussichtlich altersgemäß erst im März 2027 an). Der Autor (und weitere katholische Medien) erwarten eher, dass Leo das Treffen nutzen wird, um die Umsetzung der Beschlüsse der Weltsynode 2024 zu besprechen.
Weitere Themen könnten die Umgestaltung des Finanzsystems der Kurie sein, die von Papst Franziskus begonnen und durch Papst Leo XIV. jetzt fortgesetzt wurde und die – durch finanzielle Engpässe – zuletzt wieder dringender wurde. Auch weitere Strukturveränderungen der Kurie könnten dabei ein Thema sein.
Das a. o. Konsistorium im Januar 2026 wird aller Voraussicht nach kein spektakuläres Ereignis mit weitreichenden Ankündigungen sein – das entspricht nicht Leos Stil. Aber es könnte ein strategischer Moment werden, in dem der neue Papst der Weltkirche seine Ziele erklärt: Fortsetzung der Franziskus-Reformen, aber mit größerer Konsultation und größerem „Brückenbau“ zwischen den Lagern, ohne die katholische Lehre grundlegend zu verändern, um sein oberstes Ziel, die Einheit der Weltkirche, unbedingt zu wahren.
Ob das gelingt, ist offen. Aber die frühe Einberufung des Konsistoriums zeigt, dass Papst Leo – anders als sein Vorgänger – weniger Veränderungen von oben „verordnen“ will, sondern mehr auf Dialog sowie auf Reformen setzt, die gemeinsam erarbeitet werden. Das ist ein neues päpstliches Amtsverständnis, das auf Zeit statt Schnelligkeit setzt.
Marathonläufer folgt auf Sprinter
Fazit: Papst Leo XIV. setzte in den ersten sechs Monaten einige Akzente und Reformansätze seines Vorgängers (z.B. zur Weltsynode 2024) fort, betonte aber stärker die „Einheit der Kirche“ und setzte bei Grundsatzentscheidungen (z. B. zum Frauen-Diakonat) auf einen längeren (Dialog-) Prozess. Nach dem „Sprinter“ Papst Franziskus führt jetzt der „Marathonläufer“ Papst Leo XIV. das Amt mit einem ganz eigenen Stil: einem Weg der Erneuerung und der Versöhnung zugleich. Ganz nach seinem päpstlichen Wahlspruch „In Illo Uno unum“ („In diesem Einen sind wir eins“).
Es wird ein langer Weg mit Geduld und Kompromissen, aber das Pontifikat von Papst Leo XIV. könnte dazu führen, dass die katholische Kirche ein weltoffenes und Gegensätze verbindendes Gesicht bekommen könnte. Dafür dürfte sich das Warten lohnen.
Christian Schnaubelt (Chefredakteur und Herausgeber von kath.de)