Derzeit gibt es eine Debatte, ob sich Kirchen und ihre Verbände zu gesellschaftspolitischen Themen äußern sollten? Das Problem dabei: Die Kirchen äußern sich, aber die Bürger:innen und Politik hört oft nicht (mehr) zu. Dabei haben die Kirchen viel zu sagen…

KI-generiert mit Chat GPT 4.0
Bereits Anfang des Jahres, als sich Kirchenvertreter:innen kritisch zu den Abstimmungen im Bundestag zur Migrationspolitik geäußert hatten, gab es Forderungen aus der CDU (z.B. OB Lewe aus Münster) und der CSU (z.B. MP Söder aus München), dass sich Kirchen nur zu ihren „Kernthemen“ und nicht zu allen gesellschaftspolitischen Themen äußern sollten. Neuen Schwung kam in die Debatte durch ein Interview von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner am 08. April bei Domradio.de "Nicht immer sinnvoll, eine weitere NGO zu sein", in dem Klöckner betonte, dass die Kirchen nicht „eine weitere NGO“ sein sollen.
„Kirchen sind in der Pflicht ihre Stimme zu erheben“
Gegenüber unserem Partnerportal explizit.net „konterte“ der Theologe Prof. Thomas Söding, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) die Aussagen von Julia Klöckner kürzlich wie folgt: „Die Kirchen sind dafür da, den Glauben an Gott zu bekennen, die Liebe zum Nächsten zu üben und die Hoffnung auf Erlösung zu wecken. Das ist nicht nur privat, es ist auch politisch. (…) Es ist ihre Pflicht, die Stimme zu erheben. Sie müssen dann Kritik vertragen – aber die Politik muss sich auch Kritik von den Kirchen gefallen lassen. Hauptsache, dass die echten Probleme präzise benannt und so gut gelöst werden, wie es geht.“ Quelle: Söding: "Kirche sind in der Pflicht ihre Stimme zu erheben".
Was sagen die Deutschen?
Der evangelische Nachrichtendienst „IDEA“ berichtete über eine neue Umfrage des Markt- und Sozialforschungsinstituts INSA-Consulere aus Erfurt, nach dem sich 73 Prozent der Deutschen gegen politische Äußerungen von Kirchen aussprechen. Quelle: Drei von vier wollen keine Politik von den Kirchen.
Dieses Ergebnis belegt einerseits den andauernden Vertrauensverlust von Kirchen zeigt aber andererseits auch: Die politischen Aussagen der Kirchen werden in der Gesellschaft durchaus wahrgenommen. Hier könnten die Kirchen versuchen – durch transparente und dialogbasierende Kommunikation – wieder (neues) Vertrauen zu schaffen.
Glaube und gesellschaftliches Engagement gehören zusammen
Aus christlicher Sicht sind Glaube und Verantwortung für die Welt nicht trennbar. Das Zweite Vatikanische Konzil betonte in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ ausdrücklich, dass die Sorgen und Nöte der Menschen der Kirche nicht gleichgültig sein dürfen. Diese Überzeugung begründet eine ethische Pflicht der Kirchen Stellung zu beziehen, wo ethische oder moralische Werte auf dem Spiel stehen. „Prophetische Rede gehört zum Auftrag des Evangeliums – ob gelegen oder ungelegen“, betont der Kirchenrechtler Thomas Schüller mit Blick auf die öffentliche Rolle der Kirchen gegenüber katholisch.de. Denn eine Kirche, die schweigt wenn grundlegende ethische Fragen verhandelt werden, würde ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht. Quelle: Schüller weist Klöckner-Kritik an politischen Kirchenstatements zurück.
"Wenn du redest, dann muss deine Rede besser sein, als dein Schweigen gewesen wäre.“
In der aktuellen Lage, in der das Verhältnis zwischen der zukünftigen Bundesregierung und den Kirchen durchaus als „angespannt“ bezeichnet werden kann, wäre es wohl kommunikativ besser, wenn sich Politiker:innen wie MP Söder und BTP Klöckner am arabischen Sprichwort "Wenn du redest, dann muss deine Rede besser sein, als dein Schweigen gewesen wäre“ ein Beispiel nehmen und einen Gang runterschalten würden. Kirchen – Positionen nur dann zu begrüßen, wenn diese in die eigene politische Agenda passen, ist aktuell scheinbar „en vogue“ (s. USA), bleibt aber dennoch per se falsch.
„Kriecht aus eurem Schneckenhaus“
Aber auch die Kirchen selbst sind gefordert. „Kriecht aus eurem Schneckenhaus“ lautet eine Zeile im Pfadfinderlied „Flinke Hände, Flinke Füße“. In Zeiten, in denen die Bedeutung der Kirchen in der Gesellschaft zurückgeht (Stichworte: Säkularisierung, Kirchenaustritte und Missbrauchsskandale), sollten die Kirchen wieder stärker aufzeigen, dass sie weiterhin einen wichtigen (sozial-ethischen) Beitrag zu den gesellschaftspolitischen Debatten leisten können. Und das nicht nur in sozialen Fragen und der Migrationspolitik, sondern auch in Zukunftsfragen. Papst Franziskus hat es vorgemacht, als der Pontifex mit mehreren Initiativen und Reden die ethischen Fragen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz forcierte und das Thema bis auf die Agenda des G7-Gipfels 2024 brachte.
Fazit: Die Kirchen müssen weiterhin ihre Stimme unabhängig erheben (können), besonders für die Menschen auf der Flucht und für die Menschen mit Migrationshintergrund (ganz im Sinne von Papst Franziskus). Eins scheint aus Sicht des Autors klar: Die Kirchen haben viel zu sagen und können gesellschaftlich etwas bewegen. Wenn ihnen wieder zugehört wird und sie aus ihren Schneckenhäusern kriechen…
Lesetipp aus unserem Partnerportal explizit.net: Söding: "Kirche sind in der Pflicht ihre Stimme zu erheben".
Christian Schnaubelt (Chefredakteur und Herausgeber von kath.de)