Das Europäische Parlament hat in dieser Woche – am 11. Jahrestag des "Rana-Plaza" – Unglücks - ein europäisches Lieferkettengesetz beschlossen und damit einen wichtigen Schritt für mehr Umweltschutz und Menschenrechte gesetzt. Auch wenn das Gesetz abgeschwächt wurde, ist es in Teilen umfassender als das nationale Lieferkettengesetz in Deutschland, dass nach der Digitalisierung jetzt auch bei der Nachhaltigkeit droht den Anschluss zu verlieren.
Foto: Markus Distelrath / pixabay
Es ist wird als bisher größten Unglücks in der Geschichte der Textilindustrie bezeichnet: Am Morgen des 24. April 2013 stürzte in Bangladesch der neunstöckige Fabrikkomplex Rana Plaza ein und begrub tausende Menschen unter sich. 1.138 Arbeiter:innen verloren dabei ihr Leben, mehr als 2.000 Menschen wurden verletzt. Sie hatten hauptsächlich Kleidung für den Export, unter anderem für europäische Modefirmen, produziert.
Das nun angenommene europäische Lieferkettengesetz für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Die jährliche Umsatzschwelle liegt bei 450 Millionen Euro. Die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung wurde gegenüber dem Grundentwurf abgeschwächt. In Deutschland ist bereits seit 2023 ein nationales Lieferkettengesetz in Kraft, welches 2024 verschärft wurde . Es gilt für Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern. Das europäische Lieferkettengesetz, welches durch den Deutschen Bundestag in den nächsten zwei Jahren ratifiziert werden muss, geht trotz Abschwächung in Teilen über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus.
Wirtschaft gespalten
Während die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) das Lieferkettengesetz auf der einen Seite ablehnen, insbesondere weil sie die Haftung für ihre Zulieferer fürchten, setzen sich auf der anderen Seite Firmen, Tchibo, Ritter Sport, Hapag-Lloyd und die Oetker-Gruppe dafür ein, da sie eine Zuverlässigkeit der Lieferketten und bestimmte Mindeststandards in der Produktion und im Vertrieb gewährleisten wollen. Auch Nestlé Deutschland, der immer wieder in der Kritik von Umweltschützern und Menschenrechtsaktivisten steht, gehört zu den Befürwortern des Gesetzes.
„Imageverlust“ für den Wirtschaftsstandort „made in Deutschland“
Die FDP hatte in der Bundesregierung vehement darauf gedrängt, dass sich Deutschland, das ursprünglich zu den Befürwortern des Gesetzes gehört hatte, in der Abstimmung „enthalten“ hat. Dies hat nach Ansicht von Beobachtern in Brüssel einen deutlichen „Imageverlust“ für den Wirtschaftsstand „made in Deutschland“ zur Folge. Deutschland wird nicht nur als „unzuverlässig“ angesehen, sondern auch als „rückständig,“ da neben dem Thema Digitalisierung das Thema Nachhaltigkeit als wichtigster Faktor für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort angesehen wird. Zumal das Gesetz auch Billigproduktion und Billiglöhne verhindern will, was der deutschen Wirtschaft - mit höheren Produktions- und Lohnkosten - zugutekommt.
„Entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem faireren Wirtschaften weltweit“
„Das EU-Lieferkettengesetz ist bei Weitem nicht perfekt und gilt derzeit nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Unternehmen. Trotzdem ist es ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem faireren Wirtschaften weltweit, denn es erkennt an: Unternehmen sind rechtlich dazu verpflichtet, die im Rahmen ihrer Tätigkeit entstehenden negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt zu verhindern, zu minimieren und zu beenden. Außerdem erkennt es an, dass die Opfer solcher Auswirkungen das Recht haben, vor EU-Gerichten Schadenersatz zu verlangen“, bilanzier die „Initiative Lieferkettengesetz“, ein Zusammenschluss von 130 Organisationen, wie Gewerkschaften, , Umwelt-, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen. Auch kirchliche Organisationen, wie MISEROR und der BDKJ gehören der Initiative an, die sich für die Verantwortung der Firmen für Umweltschutz und Menschenrechte sowie das Recht der Betroffenen auf eine Entschädigung bei Missachtung beinhaltet.
USA: Wirtschaftliches Wachstum trotz Lieferketten-Regulierung
Da die freie Regulierung des Marktes notwendig ist, ohne der Wirtschaft zu schaden, zeigt das Beispiel der USA. Ein Land, das lange nicht für den Schutz der Umwelt- und Menschenrechte bekannt war, hat durch Gesetze und Regelungen der Börsenaufsicht den Unternehmen Vorschriften wie den „Dodd-Frank-Act“ auferlegt. Diese verpflichtet beispielsweise Firmen wie Apple und Microsoft dazu, ihre Lieferketten beispielsweise für das Konfliktmineral Coltan offenzulegen und zu gewährleisten, dass die Produktion für Handys und Laptop ohne „Blutmineralien“ in zertifizierten Minen durchgeführt wird. Trotz dieser Vorgaben haben die US-Tech-Firmen keinen wirtschaftlichen Einbruch erlebt, im Gegenteil. Auch wenn die Motivationen hier vielleicht eher wirtschaftlichen Gründen als ethnischen Gründen entspringt, hilft dies sowohl der Umwelt, die Einhaltung der Menschenrechte als auch der Wirtschaft selbst.
Fazit: Keine Gewinne ohne Gewissen
Kritker:innen des nationalen und europäischen Lieferkettengesetzes betonen, dass der Wirtschaftsfaktor Deutschland dadurch gefährdet würde. Ein gern verwendetes „Totschlagargument“ der Wirtschaftslobby. Aber beim Lieferkettengesetz fallen nicht alle Wirtschaftsvertreter;innen in dieses „Mantra“ ein. Denn diese haben erkannt, dass neben dem Thema Digitalisierung das Thema Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Faktoren für eine zukunftsfähige Wirtschaft ist. Zumal das europäische Lieferkettengesetz die Produktionsstandorte in Deutschland und Europa stärkt, da es die Produktion in Billiglohnländern reglementiert.
Und so kann ausgerechnet der in der Wirtschaft „verhasste“ Umweltschutz dazu beitragen, den Wirtschaftsstandort „made in Deutschland“ zu stärken und Arbeitsplätze in Deutschland und in Europa zu sichern. Und das ganz ohne „gewissenslose Gewinne“.
Christian Schnaubelt (Chefredakteur und Herausgeber von www.kath.de)