Flüchtlinge Zweiter Klasse: Wer denkt noch an den Nahen Osten?

Flucht ist in Deutschland wieder zu einem brandaktuellen Thema geworden. Als im vergangenen Sommer nach der Machtübernahme der Taliban tausende Menschen aus Afghanistan flüchten wollten, sagt der damalige CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet nocht: “2015 darf sich nicht wiederholen”. Nun werden europäische Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen, direkt und ohne bürokratische Hürden. Die Bereitschaft zur Hilfe und Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine ist beeindruckend. Doch was war mit den Fluchtbewegungen der vergangenen Monate und Jahre? Waren die Geflüchteten aus dem Nahen Osten und Afrika nur Flüchtlinge Zweiter Klasse?

Gerd Altmann auf Pixabay

Der IS war nie weg

Obwohl sie 2019 als militärisch besiegt galt, verübt die Terrormiliz „Islamischer Staat“ seitdem weiterhin regelmäßig Anschläge in Syrien. Der IS ist ein Problem, welches viel zu früh vom Westen abgehakt wurde. Aktuell gibt es wieder vermehrt Angriffe durch den IS im Irak und in Nordsyrien. Nach dem Ausbruch von Terroristen aus einem kurdischen Gefängnis im Januar, gilt die Region um die syrische Stadt Al-Hassaka als besonders gefährdet. Gleichzeitig griffen türkische Kampfflugzeuge kurdische Kämpfer im Irak und in Nordsyrien an. Die USA flogen nach eigenen Angaben im Nordwesten Syriens Einsätze gegen Dschihadisten. Der neuste Luftangriff auf Damaskus wurde durch Israel verübt. Aufgrund der Angriffe und Gefechte durch und gegen den IS sowie durch die Luftangriffen durch die Türkei, USA und Israel sind weder der Irak noch Syrien stabile Gebiete. Die Menschen dort schweben täglich in Lebensgefahr.

Abschiebestopp beendet

Obgleich es in einigen Teilen Syriens seit 2018 keine Kampfhandlungen mehr gibt, ist Syrien kein sicheres Rückkehrerland, belegen Erkenntnisse von Menschenrechtsorganisationen, Journalist:innen und der UN-Untersuchungskommission. Sie alle dokumentierten, dass willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen sowie außergerichtliche Hinrichtungen in Syrien gängige Praxis sind. 2012 verhängte Deutschland einen generellen Abschiebestopp nach Syrien, zum Jahreswechsel 2022 lief dieser jedoch aus. Bislang haben sich die zuständigen Behörden und Ministerien weder weiter dazu geäußert, noch wurde der Abschiebungsstopp verlängert.

Weltgemeinschaft Westen

Olaf Scholz reiste Mitte März zu einem Kurzbesuch in die Türkei. Gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten appellierte er an Putin die Kampfhandlungen in der Ukraine zu beenden. Olaf Scholz gab an, dass sich Russland mit jedem Tag, mit jeder Bombe aus dem Kreis der Weltgemeinschaft entferne. Die Ironie ist groß, dass der deutsche Bundeskanzler derartige Aussagen auf türkischem Boden äußert, hatte die Türkei Kurden in Syrien und im Nordirak doch zuletzte mit Luftangriffen beschossen. Sanktionen gegen die Türkei wegen ihres Syrien-Feldzugs wurden stattdessen bisher immer nur beraten, aber nie beschlossen.

Warten auf die Solidarität des Westens

Ukrainische Flüchtlinge werden aktuell in die EU hinein gewunken und teils mit dem ICE kostenlos mitgenommen. In Deutschland angekommen sucht man für die Menschen Unterkünfte jeglicher Art, von Flüchtlingslager bis hin zu einem leeren Airbnb. Freiwillige aus Deutschland fahren Laster voller Hilfsgüter an die polnisch-ukrainische Grenze. Nur wenige hundert Kilometer entfernt versuchten vor einigen Monaten noch Flüchtlinge aus nicht-europäischen Ländern über die polnisch-belarussische Grenze zu gelangen. Hunderte von Geflüchteten, darunter Syrer, Iraker und viele anderer Nationen, die vor Bomben und Verfolgung flohen, campierten in der Kälte an den Grenze zu Polen und Litauen und warteten auf die Solidarität des Westens. "Ich würde dafür plädieren, dass die Menschen, die dort sind (…) in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden", kommentierte der damalige Außenminister Heiko Maas die Situation. Für den belarussischen Machthaber Lukaschenko war die Not der Menschen ein gelegenes Mittel, um den Druck auf die EU zu erhöhen. Die Geflüchteten jedoch kamen aus ähnlichen Motiven wie die Menschen, die jetzt aus der Ukraine flüchten.

Gleiche Hilfe für gleiche Not

Krieg ist in all seinen Formen und Orten ein Verbrechen gegen die Menschenwürde. Hilfe und Unterstützung für die Menschen, die ihr Zuhause aufgrund von derartiger Gewalt verlassen müssen, ist menschlich richtig und notwendig. Zweifelhaft ist jedoch, dass diese beeindruckende Hilfe und Solidarität nicht in der gleichen Form und dem gleichen Ausmaß auch den anderen Kriegsschauplätzen und Geflüchteten gilt. Zeitgleich zum Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine wurde Somalia von den USA bombardiert, der Yemen von Saudi-Arabien und Syrien von Israel.

Westeuropa zeigt momentan eine großartige Bereitschaft, geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufzunehmen. Die ukrainischen Flüchtlinge sind uns Europäern schließlich auch viel näher, geografisch wie kulturell. Zudem bedroht der Krieg in der Ukraine auch Westeuropa, also uns selbst und unsere demokratischen Werte. Flüchtlinge andere Länder auf anderen Kontinenten werden von Europa kaum verstanden. Zu unterschiedliche Kulturen, Religionen und Denkweisen und oftmals die wirre Politik dieser Länder führen dazu, dass es zu Unverständnis kommt.

Dennoch müssen sich die Regierungen solidarisch allen Flüchtlingen gegenüber zeigen, unabhängig ihrer Herkunft. Die langen bürokratischen Prozeduren, die entwürdigenden Bedingungen und die drohenden Abschiebungen sollten für alle abgeschaffen werden. Auch in Zeiten eines Krieges auf dem europäischen Kontinent dürfen die Flüchtlinge anderer Länder nicht aus dem Blick verschwinden.
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