Mit dem viel zu frühen Tod des Jesuitenpaters Bernd Hagenkord verliert die katholische Kirche nicht nur einen blitzgescheiten Beobachter, kritischen Zeitgenossen und zutiefst ignatianisch geprägten Geistlichen. Er wird auch als authentischer, zugewandter Jugendseelsorger in Erinnerung bleiben – sowie als herzlicher, humorvoller Wegbegleiter und Freund.
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Bernd Hagenkord war nicht nur ein scharfsinniger Journalist, ein reflektierter wie sprachgewandter Autor, für mich persönlich war er auch ein langjähriger, freundschaftlich verbundener Wegbegleiter. Auch wenn wir in den letzten Jahren nur sehr sporadisch Kontakt hatten, denke ich mit großer Dankbarkeit an ihn zurück. Sein Tod ist ein schmerzlicher Verlust, nicht nur für die Kirche, sondern auch für mich persönlich.
Geboren 1968 in Hamm und aufgewachsen in Ahlen in Westfalen studierte Bernd Hagenkord Geschichte und Journalismus in Gießen und Hamburg. 1992 trat er mit 24 Jahren in den Jesuitenorden ein, studierte Philosophie in München. Während seiner ordensinternen Ausbildung machte er Station am Berliner Canisius Kolleg, dem Gymnasium der Jesuiten, genauer gesagt in der verbandlichen, schulnahen Jugendarbeit J-GCL (heute ISG).
Jugendseelsorger „Schorsch“: zugewandt, witzig, tiefsinnig
Als ich ihn dort kennenlernte, war ich zwölf, Bernd wohl 29. Zusammen mit unseren jugendlichen Gruppenleitern begleitete er als Erwachsener und Geistlicher unser zweiwöchiges Sommerlager. Bernd war zugewandt und witzig, wir Kinder und Jugendliche mochten ihn. Bernd machte jeden Spaß mit, schlüpfte mit großem Ernst in urkomische Rollen, um uns eine Freude zu bereiten. Er konnte aber auch ruhig und gelassen sein, das war sogar eher sein Naturell, laut oder aufgeregt war er eigentlich nie. Mit ihm konnte man als Jugendlicher über tiefsinnige Fragen sprechen. Aus mir heute unklaren Gründen wurde er damals von allen „Schorsch“ genannt – und auf einer Wanderung bekam auch ich von ihm kurzerhand den Spitznamen „Toastie“, weil ich ein Werbegeschenk dieser Toastbrot-Marke als T-Shirt trug. Ich war damals klein, eher schwächlich, wurde von vielen Gleichaltrigen geärgert und gepiesackt, neue Spitznamen von jedem anderen hätte ich als Kränkung empfunden – von „Schorsch“ nahm ich ihn als Ehre an, Bernd sah mich, nahm mich wahr, sprach mich an.
Dreimal hintereinander fuhr Schorsch mit uns aufs Sommerlager – und das, obwohl er ab 1999 gar nicht mehr in Deutschland lebte, sondern inzwischen sein Theologiestudium am Londoner Heythrop College aufgenommen hatte. Selbst die Fahrt mit uns als Bande schwer erträglicher Pubertierender im Saarland überstand er, meist gutgelaunt.
Treu und authentisch
Bernd war einfach „cool“ – und rückblickend würde ich sagen: authentisch. Das schätzten wir wohl so an ihm, er gehörte einfach dazu.
Seine Treue wollten wir ihm zurückzahlen und so fuhr eine kleine Abordnung Jugendlicher im Jahr 2002 mit dem Kleinbus – am Steuer der damalige Geistliche Leiter der Jugendgruppe, der leider 2016 ebenfalls viel zu früh verstorbene P. Hans-Jürgen Kleist SJ – von Berlin nach Köln, wo Bernd Hagenkord vom damaligen Trierer Weihbischof Felix Genn in der Jesuitenkirche St. Peter zum Priester geweiht wurde. Nach der Weiheliturgie gratulierten wir Bernd, es gab ein Buffet und Getränke in einem Saal neben der Kirche. Meine Freunde und ich, inzwischen 16 und älter, saßen mit einem Kasten Kölsch bis zur Rückfahrt nach Berlin auf der Treppe der Rahner-Akademie, tranken auf Bernds Wohl, mussten uns dann ziemlich bierselig von ihm verabschieden, als er gerade gesittet mit seiner Familie und dem Bischof beim Abendessen saß.
Bernd Hagenkords Talent und vor allem seine Freude daran, mit jungen Leuten umzugehen, führten ihn von 2002 bis 2008 als Jugendseelsorger an die Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg, wo er als geistlicher Leiter des Schülerinnen- und Schülerverbandes Katholische Studierende Jugend (KSJ) wirkte, von 2007 bis 2012 sogar als deren Bundeskaplan. Von 2004 bis 2007 war er zudem Sprecher der Jugendseelsorgekonferenz.
Im Jahr 2009 – nach seinem letzten Ausbildungsabschnitt im Orden, dem sogenannten Tertiat, das er in Chile verbrachte – wird Bernd Hagenkord, als Nachfolger seines Mitbruders P. Eberhard von Gemmingen SJ, der neue Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Zuvor hospitiert er noch eine Weile beim Kölner Domradio und lernt Italienisch.
Chef bei Radio Vatikan – er traute mir viel zu
Anfang 2010 – ich bin mitten im Theologiestudium bei den Jesuiten in Frankfurt und will selbst Journalist werden, belege Kurse im „Medienstudium St. Georgen“ – bekomme ich von einer Mitstudentin den Rat, ein Praktikum bei Radio Vatikan zu machen. Wie naheliegend, denke ich und schreibe Bernd eine Mail. „Sehr schön, wenn es irgendwie geht, dann machen wir das.“ Da sind sie wieder, seine Treue, die Zugewandtheit. Und weil jemand abspringt, bekomme ich noch im selben Jahr den zweimonatigen Praktikumsplatz. Meine Liebe zum Radio und dass ich unter anderem Radio-Journalist geworden bin, verdanke ich Bernd Hagenkord.
Bei Radio Vatikan hieß Praktikum nicht Kaffee kochen oder Protokolle abtippen. Die Kolleg:innen trauen mir viel zu. Bernd lässt mich schon am ersten Tag einen kurzen Beitrag und ein Voice-over aufnehmen, coacht mich bei der richtigen Sprechhaltung, später darf ich sogar eigene Sendungen planen und aufnehmen, und Seite an Seite mit ihm in der Live-Sendung Nachrichten lesen. Die Atmosphäre bei Radio Vatikan unter Bernd Hagenkords Leitung habe ich als familiär, herzlich und konstruktiv erlebt. Bernd war selbstironisch, locker und humorvoll, selten sarkastisch. Zynisch war er nie, obwohl es bei mancher vatikanischer und weltkirchlicher Absurdität genügend Anlass dafür gegeben hätte. Er strahlte eine große Klarheit aus, war selbstreflektiert, ruhig, tiefsinnig und von eher zurückhaltender Art, so wie ich ihn schon als Jugendlicher kennengelernt hatte.
Geistlich durchdrungener Journalist und Autor
Seine Texte und Beiträge waren immer „auf den Punkt“, sowohl bei Radio Vatikan bzw. Vatican News als auch, vielleicht sogar noch mehr in seinem Blog, das er 2011 anlässlich des Besuchs Papsts Benedikts XVI. zu schreiben begann. Seine messerscharfen Analysen und von geistlicher Tiefe durchdrungenen Beiträge erfreuten sich großer Aufmerksamkeit, führten zu großem Erkenntnisgewinn. Weil er noch die komplexesten und nicht selten absurd wirkenden Vorgänge im Vatikan und der Weltkirche klug einzuordnen wusste, war er auch ein gern gesehener Kommentator und Gesprächsgast in verschiedenen Medien sowie bei Tagungen wie „Kirche im Web", aber auch weit über die bloß kirchliche Öffentlichkeit hinaus. Nie wirkte er eitel oder arrogant, sondern immer besonnen, manchmal mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht.
Die ignatianische Spiritualität, das Jesuit-Sein hat ihn tief geprägt, nicht nur als Priester und Mensch, sondern auch als Journalist und Autor. Wie muss man diese und jene Vatikan-Entscheidung verstehen, was wollte der Papst mit dieser Rede wirklich sagen? Auf viele – vermeintliche – Aufreger-Themen vermittelte Bernd Hagenkord mir neue, oft überraschende Perspektiven und Vertiefungen. Unvergessen etwa die Weihnachtsansprache von Papst Franziskus an die Kardinäle im Jahr 2014 mit den geistlichen Krankheiten der Kirche. Während viele Medien schon titelten: „Papst liest Kurie die Leviten“ – oder so ähnlich –, wusste Hagenkord um die geistlichen, nämlich ignatianischen Hintergründe der Worte seines jesuitischen Ordensbruders Bergoglio.
Reformorientiert, und zwar ignatianisch
Papst-PR oder bloßer Vatikan-Verkündigungssender war „die Stimme des Papstes und der Weltkirche“, wie Radio Vatikan auch hieß, unter seiner Führung – wie auch heute – nicht. Und auch in seiner Funktion als Geistlicher Begleiter des kirchlichen Reformprozesses „Synodaler Weg“ in Deutschland seit 2019 konnte man bei ihm, so wird berichtet, eher eine reformorientierte Haltung wahrnehmen – aber stets geistlich fundiert und reflektiert. Kurz vor seinem Abschied aus Rom im Jahr 2019 lud Pater Hagenkord die kath.de-Redaktion und Mitglieder unseres Trägerverein publicatio e.V. in Rom zu einem Gespräch unter Kollegen ein, leider meine letzte Begegnung mit ihm.
Bernd Hagenkord wird fehlen, nicht nur der katholischen und weiteren Öffentlichkeit mit seinem wachen, ignatianisch durchdrungenen journalistischen Geist, den klaren, nie vorschnell kritischen Einordnungen – und er wird auch mir persönlich fehlen. Selbst ohne einen engen persönlichen Kontakt in den letzten Jahren hat er mich weiterhin sehr geprägt und beeinflusst. Ohne ihn wäre ich wohl nicht der Journalist und vielleicht nicht der Mensch geworden, der ich heute bin.
„Wie könnte ich so einen vergessen…“
Als ich Bernd 2009 per E-Mail zur neuen Stelle bei Radio Vatikan gratulierte und vorsichtshalber als Gedächtnisstütze zusätzlich mit „Toastie“ unterschrieb, an unsere gemeinsamen Sommerlager erinnernd – immerhin sieben Jahre nach der letzten Begegnung bei seiner Priesterweihe –, antwortete Bernd: „Schon klar, Matthias, wie könnte ich so einen wie dich vergessen…“
Bernd – Schorsch, ich werde Dich nicht vergessen! Morgen trinke ich auf der Treppe neben Deiner Weihekirche Sankt Peter ein Kölsch und denke an Dich.