Patentschutz auf Impfsolidarität

Einhundert Staaten fordern seit letztem Jahr eine Aufhebung des Patentschutzes für COVID-19-Impfstoffe, damit in allen Ländern eine Impfstoffproduktion möglich wird. So sollen auch die Ärmsten der Armen schnell Impfstoffe in großen Mengen bekommen. Wenn wir solidarisch handeln wollen, müssen wir einen anderen Weg beschreiten.

Ugochukwu2007, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Foto: Ugochukwu2007, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons


Mit den USA unterstützt der erste große Industriestaat die Forderung nach Aufhebung der Patente auf Impfstoffe. Die EU hat ihre Bereitschaft zur Diskussion der Forderung signalisiert. Doch dieser Plan birgt Gefahren für Forschung und Entwicklung und ist ungeeignet, ein weltweit umfassendes Impfangebot zu ermöglichen. Gerade die wirtschaftlich schwächsten Länder würden dadurch nicht besser versorgt.

Patentschutz: Geld drucken für immer und ewig?

Was bedeutet Patentschutz? Ein Vergleich zur Einordnung: Ein Autor, der einen Text schreibt, etwa einen Kommentar wie diesen, hält auf diesen Text automatisch das Urheberrecht. Er kann also darüber bestimmen, was mit diesem Text gemacht werden darf, zum Beispiel, wo er unter welchen Bedingungen veröffentlicht werden darf. Dieses Recht gilt weltweit lebenslang und nachdem Tod des Urhebers weitere 50 Jahre (in Deutschland sogar weitere 70 Jahre). Neben Texten gilt dies auch für andere geistige Güter wie Musik, Filme und Computerprogramme.

Wer eine technische Erfindung macht, etwa einen Impfstoff entwickelt, kann auf diese Erfindung ein Patent beantragen und erhalten. Damit darf er anderen die Nutzung seiner Erfindung untersagen. Im Unterschied zum Urheberrecht erlischt der Patentschutz jedoch schon nach 20 Jahren.

Einen Text, auf den jemand das Urheberrecht hält, ist relativ einfach in den Umlauf zu bringen. Drucken ist seit Gutenberg relativ kostengünstig und die digitalen Vertriebsmittel sind noch effektiver. Mit einer Webseite kann potenziell die ganze Menschheit erreicht werden. Ein Impfstoff hingegen benötigt eine komplexe Infrastruktur, um in den Umlauf gebracht zu werden – von spezialisierten Fertigungsstätten über Kühllogistik hin zur Information und Schulung der Endanwender. Die Kosten dafür müssen bezahlt werden, bevor die Entwicklungskosten abbezahlt werden können.

Es muss also viel Umsatz erzeugt werden, damit die Kosten wieder eingeholt werden. Das geht jedoch nur, wenn niemand dasselbe Produkt günstiger anbietet, indem er die Ergebnisse einfach kopiert, weil er keine eigene Forschung betreiben muss. Dagegen schützt nur das Patentrecht, besonders wenn es um Medikamente und medizinische Geräte geht, denn für Studien und das Peer-Review, also die Überprüfung der Forschung durch andere Wissenschaftler, müssen alle relevanten Informationen veröffentlicht werden und sind daher prinzipiell einfach zu kopieren. Die Entscheidung, in Forschung zu investieren steht und fällt mit der Frage, ob die Entwicklungskosten innerhalb des Patentschutzes wieder eingeholt werden können.

Mammutaufgabe medizinische Forschung

Arzneimittel- und Impfstoffforschung sind besonders teuer, denn zu den üblichen Entwicklungskosten für die Grundlagenforschung und technische Entwicklung kommt ein langwieriger Zulassungsprozess mit mindestens drei Studienphasen. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Patent vor Studien und Zulassung angemeldet werden muss, da innerhalb dieses Prozesses die Informationen veröffentlicht werden müssen. Mit der Anmeldung beginnt jedoch bereits die Zeitfrist des Schutzes und je nach Länge der Studien und Zulassung wird das Zeitfenster zur Nutzung und Refinanzierung dadurch kürzer.

Der Zulassungsprozess verringert nicht nur die Zeit des nutzbaren Patenschutzes, sondern benötigt auch große Investitionen zur Durchführung. Die Studien umfassen tausende Probanden, Forschungszentren, die die Studien durchführen, Kleinstmengenproduktionen der zu testenden Wirkstoffe, Statistiker, die die Daten analysieren, Wissenschaftler, die das Ganze auswerten und die organisatorische und rechtliche Betreuung des Zulassungsprozesses bei den Arzneimittel-Zulassungsbehörden wie der EMA und der FDA. Die medizinische Forschung betrifft also nicht nur Akademiker in ihrem Elfenbeinturm, sondern verschiedenste Gruppen und Institutionen, etliche Arbeitsplätze und nicht zuletzt Menschen, die dringend auf eine Arznei hoffen.

Da Pharmafirmen Wirtschaftsunternehmen sind, können sie nur Forschung betreiben, wenn sie damit auf lange Sicht Gewinn schöpfen können. Da bei vielen Krankheiten mit geringen Fallzahlen kein nennenswerter Gewinn zu erwarten ist, gibt es für einige wissenschaftlich-technisch mögliche Forschungen keine Finanzierung und sie können daher nicht durchgeführt werden. Dieses Problem ist bekannt, sodass besonders für Medikamente, die wirtschaftlich nur schwierig zu erforschen und zuzulassen sind, eine Verlängerung des Patentschutzes um fünf Jahre möglich ist. Diese wird jedoch nicht notwendigerweise gewährt. Die Forderung, den Patenschutz für COVID-19 Impfstoffe sogar ganz aufzuheben, wäre daher ein großer Unsicherheitsfaktor für die Forschung und Entwicklung.

Patenschutz schwächen ist gefährlich

Wenn der Patentschutz für Impfstoffe aufgehoben oder weiter geschwächt wird, werden weitere Forschungen kaum mehr die nötigen Gelder bekommen, besonders für seltene Krankheiten und komplexe Probleme, denn ihre Kosteneffizienz sinkt wegen der größeren Ungewissheit. Befürworter der Patentschutzaufhebung geben zu bedenken, dass diese Einschränkungen des Patentrechts nur in Notfällen, wie etwa einer Pandemie, zum Tragen kämen. Daher behinderten sie die Entwicklung und Forschung nicht. Das stimmt jedoch aus zwei Gründen nicht: Zum einen bleibt immer die Unsicherheit, dass sich eine unvorhergesehene Krise ergibt, in der ein bestimmtes Patent für alle nutzbar sein soll und der Schutz verloren geht. So wäre es durchaus denkbar, dass Erfindungen im Bereich von Elektromobilität, Akkus oder neuer Energieträger für die Erreichung von Klimazielen allgemein nutzbar gemacht werden sollen.

Die viel schlimmere Konsequenz ist jedoch, dass Investitionen in Forschung in Krisenzeiten behindert werden, also besonders dann, wenn diese Forschung unablässig ist. Firmen wie BioNTech haben zu Beginn der Pandemie alles auf eine Karte gesetzt und ihre gesamte Forschungsabteilung auf einen Impfstoff ausgerichtet. Dieses Engagement wird zukünftig kaum realisierbar sein, wenn davon ausgegangen werden muss, dass sich im Nachhinein die Bedingungen ändern und sich dadurch der Forschungseinsatz dann nicht refinanzieren lässt.

Patenschutz schwächen hilft den Ärmsten nicht

Unabhängig von den Langzeitfolgen wird die Aussetzung des Patenschutzes auch nicht dafür sorgen, dass die Ärmsten der Armen erheblich mehr Impfstoff erhalten. Denn einerseits ist das theoretische Wissen des Patents ohne die technischen Voraussetzungen für die Impfstoffherstellung unnütz. Andererseits gibt es in ärmeren Ländern einen Mangel an Grundmaterialien für die Impfstoffherstellung. Um diese Grundmaterialien zu bekommen, müssten Verträge mit den Lieferanten geschlossen werden. Diese müssen aber zuerst ihre Bestandskunden beliefern. Zugleich würden die Kosten für die Materialien weiter steigen, sodass nur finanzstarke Großkonzerne auf dem Markt agieren könnten.

Von der Aufhebung des Patentschutzes könnten also Firmen in Entwicklungsländern gerade nicht profitieren, da ihnen die technischen und finanziellen Voraussetzungen fehlen. Vorteile hätten nur andere große Pharmaunternehmen. Doch um andere Pharmaunternehmen in die Produktion mit einzubeziehen und damit mehr Kapazitäten zu schaffen, gibt es bereits ein geeignetes und erprobtes Mittel: die Lizenzierung der Patente. Bei der Lizensierung wird die Nutzung von Patenten unter festgelegten Bedingungen erlaubt.

Solidarität: Impfstoffe abgeben

Aber selbst wenn weitere Unternehmen ihre Produktionskapazitäten nutzen, kann die Impfstoffmenge nicht genügend erhöht werden, solange die bisherigen Probleme und Engpässe in den Lieferketten nicht behoben werden. Es reicht nicht, die theoretische Grundlage für Impfstoffe freizugeben, wenn die praktischen Voraussetzungen zur Herstellung nicht gegeben sind und die Grundmaterialien so knapp sind, dass sie alle von den großen westlichen Pharmafirmen aufgekauft werden. Der Angebotsmangel für Impfstoffe wird also weiter bestehen bleiben. Damit werden die verfügbaren Impfdosen erst einmal weiter an die Länder mit dem meisten Kapital gehen. Dem vorgetragenen Anliegen, ein weltweit umfassendes Impfangebot zu ermöglichen, wird damit nicht geholfen.

Doch auch wenn die Aufhebung des Patentschutzes zu mehr Impfdosen führen könnte, sollte das relativ stabile System von Innovation und Patentschutz nicht geschwächt werden. Um mit der Forderung nach Solidarität mit den Ärmsten der Armen ernst zu machen, müssen wir den wirtschaftlich schlechter gestellten Ländern von unseren Impfdosen abgeben und mit den Konsequenzen leben, in unseren reicheren Industrienationen erst einmal weniger impfen zu können.