Weihnachten unter Pandemie-Bedingungen: Angst bestimmt unsere Entscheidungen, wir fühlen uns orientierungslos. Welchen Weg weist uns der Weihnachtsstern?
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Wer hat nicht schon einmal hoffnungsvoll oder schaudernd in den Nachthimmel geschaut und wurde sich dabei der eigenen Winzigkeit gewahr? Der Blick in die Sterne spiegelt diese tiefe menschliche Erfahrung, das Gefühl: In der Weite des Weltalls liegt etwas Großes, Unbekanntes. „Wir leben alle unter demselben Himmel“ klingt wie ein Aufruf zu Frieden und Verständnis. Die Sterne bergen ein Geheimnis. So allgegenwärtig sie sind, so ungreifbar und unendlich fern erscheinen sie uns doch.
Besonders Städter wie ich lassen sich von einem klaren Sternenhimmel einnehmen. Manchmal sehen wir wochenlang überhaupt kein Funkeln am Himmel. Umso verzauberter sind wir, wenn wir uns einmal aufs Land fahren. Viel deutet darauf hin, dass auch frühe Kulturen den geheimnisvollen Zauber der Sterne spürten. Sternbilder und Sternkarten, die Projektion mächtiger Götter ans Firmament zeugen vom menschlichen Versuch, den Sinn der Gestirne und ihrer Anordnung zu durchschauen.
Sterne, das Reich der Ideen
Platon, der Gründervater unserer modernen Philosophie, stellte sich das Himmelreich als „Reich der Ideen“ vor, in dem selbstgenügsam die fertigen Ideen und Begriffe walten, sodass aller irdischer Reichtum nicht mehr als ein verblassendes Abbild dieser Ideenwelt ist. Auch Platon richtete also den Blick nach oben. Die Sterne dürften auch ihm Zeichen des Rätsels gewesen sein.
Wir Menschen haben zu den Sternen gebetet, haben ihnen Namen gegeben und sind ihnen gefolgt, wenn wir das Meer oder die Wüste durchquerten: Wir haben die Sterne befragt. Bloß haben sie nie geantwortet, so als hüteten sie ein Geheimnis. Vor diesem Hintergrund können wir auch die Weihnachtsgeschichte lesen. Vielleicht standen die Hirten ebenfalls auf dem Feld, froren und blickten sehnsüchtig zu den Sternen hinauf. An Heiligabend antworteten die Sterne. Sie verursachten nicht mehr namenlose wohlige Schauer, inmitten der Ungewissheit, sondern wiesen plötzlich den Weg. Die Sterne warfen keine Frage mehr auf, der Weihnachtsstern selbst war die Antwort. Das christliche Motiv des Lichts inmitten dunkler Nacht. Der Weihnachtsstern ist ein Wegweiser: Hier geht es lang. Und die Hirten folgten ihm zum Kind in der Krippe.
Home-Office, kein Posaunenchor
Ich kann das Bedürfnis der Hirten nach einem Wegweiser verstehen, ein wenig orientierungslos sitze ich im Home-Office und höre täglich, dieses Weihnachten wird kein normales Weihnachten. Dabei hatte das Weihnachtsfest selbst für mich immer die Funktion des Weihnachtssterns. Die Zeit schien auf diese Tage zuzulaufen, mit der Familie, da wo ich aufgewachsen bin. Irgendwie ist das auch in diesem Jahr so, doch es bleibt ein mulmiges Gefühl. Alle Traditionen, die wir seit Jahren gepflegt haben, werden in diesem Jahr ausgesetzt. Aus dem Essen mit den Großeltern wird vielleicht ein Teetrinken im Freien, Gottesdienste mit Maske auf Abstand, ohne gemeinsames Singen, der Posaunenchor, den wir uns jedes Jahr angehört haben, wird wohl nicht spielen. Es ist ein bisschen, als leuchtete der Stern in diesem Jahr etwas weniger hell.
Mit der Weihnachtsgeschichte ist neben dem wegweisenden Stern noch eine andere Botschaft verknüpft: „Fürchtet euch nicht!“ Dieser Satz steht im Imperativ, ist eine Aufforderung. So muss er uns in diesem Jahr besonders erscheinen, widerspricht er doch der allgemeinen Gefühlslage. Fürchten wir uns nicht alle, sogar voreinander? Wie geht Furchtlosigkeit in der Pandemie? Mit allen denkbaren Sicherheitsvorkehrungen, indem wir jede Begegnung vermeiden und alle Gründe zur Furcht von vornherein ausschließen? So wären die Hirten mit ihrer Herde wohl am vertrauten Platz auf der Weide geblieben und hätten die Geburt des Jesuskinds verpasst.
Furchtlosigkeit in der Pandemie
In diesem Jahr haben wir gelernt, in anderen Menschen zunächst eine Ansteckungsgefahr zu sehen. Kürzlich hörte ich, man könne „vielen Menschen schon ansehen“, ob sie sich an die Abstandsgebote halten, ob es ratsam sei, sich ihnen zu nähern. Die Weihnachtsbotschaft ist die Aufforderung, sich trotz der Angst anderen Menschen zuzuwenden.
Dieser Tage stehen Jupiter und Saturn so eng beieinander, dass ihre Lichtreflexionen verschmelzen, sie könnten damals als Stern von Bethlehem geleuchtet haben, als Wegweiser. Weltweit können heute alle dieses Licht sehen. Wie die drei Weisen können auch wir den Weihnachtsstern fragen: Wohin führt unser Weg?