Zuhause vor dem Laptop Ostern feiern? Es fehlt die Sinnlichkeit, die Gemeinschaft. Aber wenn unser Autor ehrlich ist, hat er auch schon früher in der Kirche nicht jedes Jahr dieselben Gefühle so intensiv gespürt, wie er glaubte, sie noch im Jahr davor oder in noch früheren Jahren gespürt zu haben. In der Gottesbeziehung gilt: Erfahrung macht dumm. Vom Karsamstag als Übung, Leere auszuhalten.
„Ach schade, ich kann den Weihrauch gar nicht riechen“, sage ich zu meiner Freundin. Wir stehen zu zweit vor unserem Couchtisch, zuhause in Köln, schauen auf den Laptop, wo die Benediktiner-Mönche feierlich in die Abteikirche von Königsmünster einziehen. Es ist Gründonnerstag. Seit Jahren fahren wir zu Ostern fast jedes Jahr ins Sauerland, nach Meschede, auf den Klosterberg. Zwischendurch war ich auch ein paar Mal in Taizé oder, ganz selten, auch mal in Jesuitenkirchen in Berlin oder Köln.
Live-Stream: Ein schwacher Trost
Das erste Mal war ich mit 16 zu Ostern bei den Mönchen, fast 20 Jahre her, damals haben meine Freunde und ich noch viel Unsinn angestellt und die Nächte durchgemacht. Die Stundengebete und großen Liturgien der Kar- und Ostertage haben mich aber schon immer fasziniert und angezogen. „Ein schwacher Trost“ seien die Online-Übertragungen aus unserem Kloster, schreibt mir ein guter Freund. „Nächstes Jahr dann wieder das Original“.
Es ist nicht das Original, das denke ich auch. Aber was fehlt mir eigentlich, wenn ich nicht in der Abteikirche sitze, sondern zuhause auf dem Sofa? Die Texte, Gebete und Gesänge sind schließlich dieselben. Ich spreche und singe mit, stehe auf, knie mich hin. Am Gründonnerstag teilen meine Freundin und ich auch Brot und Wein, waschen uns sogar die Füße. Was ist also anders?
Ohrenbetäubende Stille
Was sich nicht recht einstellen will, sind die intensiven Gefühle, die ich sonst in der Kirche beim Mitfeiern oft hatte. Ich kann den Weihrauch nicht riechen. Das Sinnliche ist stark reduziert. Und die größere Gemeinschaft fehlt mir: Ich kann meine Freunde in der Bank neben mir nicht spüren oder hören. Auch die Orgel beim Gloria klingt auf dem Laptop einfach nicht so voll – und selbst die Stille will nicht so still wirken wie in der Abteikirche. Erst recht nicht am Karfreitag, wo diese ohrenbetäubende Stille eintritt, wenn es heißt, Jesus „neigte das Haupt und übergab den Geist“ und alle sich hinknien.
Die sinnlichen, haptischen Elemente der Gottesdienste und die Gemeinschaft mit meinen Freunden und den Mönchen, meiner „Osterfamilie“ auf dem Klosterberg, locken bestimmte Gefühle und Stimmungen hervor: Feierlichkeit, Freude, Trauer, Schmerz, Verbundenheit, Geborgenheit. Manche davon haben den wohligen Geschmack von der Nostalgie der vielen Osterfeiern der letzten 20 Jahre, von Sentimentalität, Erinnerungen an Gefühle von früher. Teilweise spüre ich das natürlich auch zuhause, neben meiner Freundin, beim Mitfeiern auf dem Sofa. Aber die „Original“-Gefühle wollen sich nicht einstellen.
„Original“-Gefühle oder aus der Konserve
Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich auch nicht jedes Ostern in der Abteikirche dieselben Gefühle so intensiv gespürt, wie ich glaubte, sie noch im Jahr davor oder in noch früheren Jahren gespürt zu haben. Oh, jetzt wird es feierlich, jetzt muss ich mich andächtig fühlen. Ah, früher fand ich diese Stelle in der Liturgie immer besonders traurig, wo bleiben meine Tränen? Selbst wenn ich meine „Original“-Gefühle quasi aus der Dose abrufen könnte, echt sind sie dann letztlich doch nicht. Ich kann meine Gefühle nicht selbst herstellen, wenn sie nicht da sind – und ich muss es auch nicht.
In kontemplativen Exerzitien, einfachen Wahrnehmungsübungen im Schweigen im Exerzitienhaus Gries der Jesuiten im Frankenwald, ist mir das kürzlich sehr deutlich geworden. Ich kann mir meine gewünschten Gefühle nicht selbst machen, so sehr ich das auch möchte und mich anstrenge. Wenn ich zum Beispiel innerlich in der Meditation nicht ruhig werde, hilft es nichts, gegen die Unruhe anzukämpfen und mich darauf zu fokussieren, was gerade nicht in mir da ist – im Gegenteil. Ich verkrampfe mich dann und denke, dass ich selbst gerade etwas falsch mache, mich nicht genügend anstrenge. Dann gerate ich ins Grübeln, verlasse den Moment, die Gegenwart.
Erfahrung macht dumm
Dabei geht es doch, in der Meditation wie auch im Gottesdienst darum, dass Gott jetzt an mir handelt. Ich brauche nur da zu sein und mich innerlich auszurichten. Wenn keine Gefühle kommen, oder nicht diejenigen Gefühle, mit denen ich gerechnet habe oder die ich mir gerade erhoffe, dann genügt es, das wahrzunehmen.
In der Gottesbeziehung gilt daher: Erfahrung macht dumm. Ich brauche nicht das zu fühlen, was ich von früher kenne. Und ich brauche nicht das zu verändern, was sich mir in diesem Moment gerade zeigt. Diese Erkenntnis kann unheimlich befreiend wirken. Mein Alltag ist doch sonst schon so voll von ToDo-Liste, von Dingen, die ich selbst erledigen, schaffen muss. In der Arbeit, aber auch in Freizeit und Beziehungen. Da muss ich nicht auch noch vor Gott alles selbst machen, krampfhaft mein inneres Steuer festhalten.
Auf den Beifahrersitz
Ich kann, wie der Jesuit Franz Jalics, der Vater der kontemplativen Exerzitien sagt, „vom Fahrersitz auf den Beifahrersitz wechseln“ und gewissermaßen einfach zuschauen, wie Gott das Lenkrad übernimmt. Selbst mein Vertrauen auf Gott muss ich nicht als Gefühl spüren. Es genügt, die Entscheidung zu treffen, Gott zu vertrauen und mich innerlich immer wieder auf diese Weise auszurichten.
Karfreitag gilt als Tag der Schmerzen und des Leids. Ostern dann als ein Fest der Freude. Aber selbst dann, wenn ich keines dieser Gefühle spüre, kann ich die Feste mitfeiern. In meiner Wahrnehmung der reduzierten Gefühle oder sogar einer gewissen Gefühllosigkeit fühle ich mich dieses Jahr der Stimmung des Karsamstags besonders nahe: Als Tag der Stille, der Sinnlosigkeit – und auch der inneren Leere.
Leere und Sinnlosigkeit aushalten
Ein Gedanke, der mir noch zusätzlich hilft: Für Jesus wie für seine Jüngerinnen und Jünger müssen die Geschehnisse rund um das Paschafest auch völlig anders gewesen sein als jemals zuvor. So hatten sie die Tage auch noch nie gefeiert und durchlitten. Gerade nach dem Tod Jesu, am Karsamstag, müssen sie sich leer, fehl am Platz, geradezu dumm gefühlt haben. Auch an Ostern konnten sie nicht alle sofort unmittelbar Freude über seine Auferstehung spüren.
Vielleicht kann ich dieses Jahr meine Angst vor dem ganz anderen, ungewohnten Ostern besonders wahrnehmen, meine innere Leere innerlich verkosten und aushalten – vertrauend, dass Gott mir in meinen „Gefühlsblockaden“ nahe ist. Ich muss vielleicht gar nicht bestimmte Gefühle haben, um die österlichen Tage „wirklich richtig“ mitfeiern zu können, muss nicht besonders andächtig, innerlich werden, mich selbst zwingen, etwas spüren, um Christus nahe zu sein.