Meinungsfreiheit braucht Bildung und Geld

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Großes Gezeter

Man dürfe sich nicht mehr frei äußern, die Meinungsfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit, gar die Grundrechte seien gefährdet. Nachdem es neulich in Frankfurt bei einer Podiumsdiskussion zum islamischen Kopftuch zu einer Auseinandersetzung zwischen linken Gruppen kam, witterten viele ihre Chance: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung durfte auf Schlagzeilen und Klickzahlen hoffen. Sogenannte „Islamkritiker“ durften auf ihr mutiges Lebenswerk aufmerksam machen und die deutsche Rechte konnte unisono ins Gejammer über den links-grünen Mainstream einstimmen.

Hinter dem Ruf nach Meinungsfreiheit verstecken sich die Rechten

Wer Meinungsfreiheit brüllt, meint meist sich selbst. Er werde nicht gehört, seine Karriere werde ihm verbaut, alle seien gegen ihn – und das nur, weil er zum Klimawandel, der Flüchtlingskrise oder zum Islam eine „kritische“ Meinung habe. Schuld ist natürlich die Linke, die schrittweise eine politisch korrekte Diktatur der Angst errichte. Diese Behauptung verfängt ausgerechnet zu einer Zeit, in der der Büchermarkt von protorechtem Schund überflutet wird – Islamexperten schießen aus dem Boden, wo eben noch Lehrerinnen „Alarm“ schlugen, weil kriminelle Klans in Berliner Grundschulen die Scharia einführen wollten. An der Uni kann heute sowieso jeder erzählen, was er will. Die Wissenschaftsfreiheit ist selbstredend nicht bedroht. In keinem Hörsaal sitzt der BND, kein in halbwegs deutscher Sprache abgefasstes Buch findet keinen Verlag, der die Manuskripte durch die Druckerpresse jagt.

Islam, Migration, Klimawandel – die Trinität der Freiheitskämpfer

Natürlich sind die von „Zensur“ bedrohten Themen immer klassisch rechts. Man versucht, sich in der Opferrolle einzurichten, wenn man sachlich nichts beizutragen hat: Von Trumpists über Jordan Peterson bis Alice Weidl ist die Strategie immer die gleiche. Es wird das Bild einer repressiven linken Kultur gezeichnet, die die sachliche Auseinandersetzung mit Themen verhindere. Gerade diese Auseinandersetzung sucht man aber gar nicht. Wer bloß seine Meinung loswerden will und über nichts spricht, außer darüber, dass er das nicht dürfe, hat auch kein Interesse an der Wahrheitsfindung. Erkenntnis gibt es nur auf der Grundlage von Debatte, Auseinandersetzung und wechselseitiger Widerlegung. Wer die Freiheit der Kritik fordert und damit meint, dass er unwidersprochen reden will, hat längst aufgegeben, was echte Kritik wäre.

Ernste Themen

Dabei sind die sozialen und ökonomischen Folgen des Klimawandels und seiner Bekämpfung wichtige Forschungsgegenstände. Das Kapital rüstet sich grün, trotzdem sind in Folge ausfallender Regenfälle zwischen 40 und 50 Millionen Menschen im Süden Afrikas von Hunger bedroht. Diese Zusammenhänge, ebenso wie Migration und deren Folgen, wollen beschrieben, erklärt und politisch eingeordnet werden. Das gilt auch für patriarchale Strukturen in migrantischen Milieus. Und genau das passiert Tag für Tag: Wer sachlich argumentiert und fachlich auf der Höhe ist, kann am wissenschaftlichen Gespräch teilnehmen, Vorträge halten und Artikel veröffentlichen. Dennoch hinkt die Forschung hier tatsächlich immer wieder hinterher. Das hat jedoch andere Gründe, die im Geschrei für die Meinungsfreiheit eher untergehen.

Das echte Problem: Der Bildungsetat

Die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften sind chronisch unterfinanziert. Der akademische Betrieb ist abhängiger von Drittmitteln als jemals zuvor. Absurde Befristungen und massiver Konkurrenzdruck bei zu wenigen Stellen stehen produktiver Forschung im Weg. Welchem Philosophie-Institut wurden in den letzten Jahren nicht die Gelder gekürzt, welche Professur für Soziologie hat die Mittel, die sie bräuchte? Wie soll zwischen zwei 4-monatigen 65%-Stellen die große Studie entstehen, die nötig wäre? In Zeiten, in denen die Zahl der Veröffentlichungen mehr zählt als deren Inhalt, jeder folglich drauflosschreibt und unausgegorene Gedanken im nächsten Antrag als großartige Ergebnisse präsentieren muss, steht es um die Wissenschaft nicht sehr gut. Da kommt die Scheindebatte um die Wissenschaftsfreiheit gerade recht und lenkt davon ab, dass die Forschung statt der Freiheit zur undurchdachten Meinung eher eine bessere Finanzierung bräuchte.