Religion kein Zeichen zur Abgrenzung
Im Iran herrscht Kopftuchpflicht für Frauen. Wer sich widersetzt, muss mit Sanktionen rechnen. Offensichtlich ist das Kopftuch bei vielen Iranerinnen kein Ausdruck tiefer Religiosität. Die iranische Gesellschaft ist gespalten und die Regierung versucht, nach außen ein falsches Bild zu senden: „In der Religion sind wir uns einig.“ Da die Bevölkerung das Vertrauen in die Kleriker verloren hat, müssen diese mit Zwang agieren. Das erzwungene Kopftuch ist das identitäre Feigenblatt einer politisch gespaltenen Gesellschaft.
Zölibat und der andauernde Ausschluss von Frauen aus Entscheidungsfindungsprozessen (bei der Amazonien-Synode ist keine Frau stimmberechtigt!) drohen ebenso zum identitären Feigenblatt einer katholischen Kirche zu werden, in der diejenigen sich durchsetzen, die vergessen, wo das Herz der Kirche tatsächlich schlägt.
Es geht um Wichtigeres als den Zölibat
Eine schöne Art katholischen Denkens bietet uns Bischof Kräutler, der am Donnerstag Fragen zum viri probati, der Weihe verheirateter Männer, beantwortete. Er erklärte, dass viele Gemeinden im Amazonas-Gebiet nur ein- oder zweimal im Jahr die Eucharistie feiern könnten. Es fehle an Priestern. Da die Eucharistie aber "Kern unseres Glaubens" sei, müsse man über neue Wege zum Priesteramt nachdenken. Es gehe also nicht um einen Angriff auf den Zölibat, sondern um das Recht auf die heilige Kommunion.
Regeln können nicht einfach "befolgt" werden. Es gibt viele Normen, Gesetze, Rechte und Pflichten, zwischen denen abgewogen werden muss. Kultiviert die Kirche diese Praxis des Abwägens, ist sie stärker als wenn sie stur auf einer Institution wie dem Zölibat beharrt - und vor allem anderen die Augen verschließt.
Die Augen nicht verschließen
In den Medien kursierte die sogenannte "katholische Trinität": Missbrauch, Zölibat, Männerherrschaft. Die konservativen Kräfte täten gut daran, diese Geschichte weder zu Glauben, noch selbst zu erzählen. Ganz andere Dinge stehen im Zentrum des Glaubens, die man sofort sieht, wenn man die Augen nicht verschließt. Ein Beispiel:
Die Kirche steht an der Seite der Vergessenen und Verlassenen. Gottes Sohn wurde nicht im imperialen Rom, sondern bei Hirten im Stall geboren: bei den Schwachen und Armen, an denen die Geschichte vorbeizog. Rom führte Kriege und baute Städte und Straßen, die Hirten waren einfach da. Folgerichtig sagte Papst Franziskus Anfang des Jahres zu Flüchtlingen in Nordafrika: "Ihr seid in der Herzensmitte der Kirche". Dasselbe gilt für alle Abgehängten, über die der Lauf der Welt zynisch hinweggeht.
Wer die Augen verschließt, konzentriert sich nur auf sich - und wird glauben, sich abgrenzen zu müssen. Der Zölibat und seine Verteidigung sorgen dafür, dass die Kirche sich mit unwichtigen Organen beschäftigt, während das Herz woanders schlägt: bei denen, an deren Seite die Kirche steht.
Solidarität mit Maria 2.0
Wo schlägt das Herz des Priesteramtes? Im Geschlecht des Priesters? Überall hören wir von Priestermangel, der dadurch ausgeglichen wird, dass Priester mehrere Gemeinden übernehmen. Darunter leidet unter Umständen die Vertrautheit zwischen Priester und Gemeinde. Warum also nicht, wie Bischof Kräutler sich ausdrückte, alternative Wege ins Priesteramt ausloten? Warum nur im Amazonas-Gebiet und nicht überall, wo Not am Mann (oder der Frau) ist, über ein Frauendiakonat nachdenken?
Auch bei dieser Frage gilt: Es geht nicht um die Identität des oder der Priester:in. Katholisch sein bedeutet auch, flexibel, menschenfreundlich und zeitgemäß mit Regeln, wie dem Zölibat, umzugehen. Ob sogar eine Priesterweihe für Frauen möglich ist, ist theologisch umstritten. Es wäre gut für die Kirche und nebenbei sehr zeitgemäß, wenn ihre Befürworter Recht hätten.