Die jungen Erwachsenen zwischen 20 und 40 verlassen vermehrt die christlichen Kirchen. Das zeigen die jüngsten Kirchenaustrittsstatistiken. Ich gehöre zu dieser Altersgruppe, bin aber nicht aus der Kirche ausgetreten. Irgendwie habe ich noch eine Loyalität mit dem Laden – und irgendwo, ganz tief, schlummert bei mir noch die Vorstellung, dass Kirche es noch kapiert. Kapiert, dass kein Reformprozess, kein synodaler Weg Menschen wieder in die Kirche zurückbringt. Es bräuchte Spiritualität: Räume für die Seele. Warum versprechen die Synodalen und andere Reformprozesse den jungen Erwachsenen nicht das, was die Kirchen sich erhoffen:
Bild von leninscape auf Pixabay
Irgendwie bleibe ich noch, weil ich die Hoffnung auf eine Kirche habe, die aufhört, gebetsmühlenartig die vermeintliche Notwendigkeit zu wiederholen, Glaubwürdigkeit wiederherstellen zu müssen. Eine Institution, die spüren lässt, dass sie auf Zahlen und ihre eigene Glaubwürdigkeit schaut, kreist um sich selbst, um ihre eigenen Interessen. Sie wirkt auf die Menschen so, als wolle sie die Leute zu sich locken, um über sie zu bestimmen, sie zu kontrollieren. So verliert sie die Menschen mit ihren eigentlichen religiösen Anliegen. Wenn die Kirche vor allem mehr Menschen anziehen möchte – am besten noch junge -, scheitert sie aus der Sicht meiner Generation.
Diskussionen, Reformen und Synoden
Dieses Scheitern, die Ratlosigkeit, die Resignation lässt sich seit Jahren beobachten. Kirchenintern wissen, ahnen, spüren Viele, dass es allein mittels kleiner Reförmchen nicht weitergehen wird. Reformen bringen die Leute nicht zurück, sagte der Berliner Erzbischof Koch zur Austrittsstatistik. Das stimmt. Denn die Leute, zumindest meine Altersgruppe, treten gar nicht deshalb aus der Kirche aus, weil sie vergeblich auf Reformen warten.
„Maria 2.0“, Lockerung der Zölibat-Pflicht, Anerkennung, dass Homosexuelle und Menschen mit anderer geschlechtlicher Orientierung und Vorliebe auch von Gott geliebt und als Menschen zu akzeptieren sind, Zulassung Wiederverheirateter zur Kommunion, mehr Mitsprache für Laien usw.: Diese in sich wichtigen Forderungen werden sowieso nicht umgesetzt, soviel weiß man von Kirche. Die Gesprächs-, Dialog-, Reform-, Synodalprozesse – und wie sie nicht alle heißen – bleiben alle weit unter den eigentlichen Forderungen. So müssen sie wie Feigenblätter vor den eigentlichen Fragen wirken. Aber was sind die eigentlichen Erwartungen meiner Generation:
Wer suchet der findet - woanders
Es wird viele in der Kirche überraschen: Um diese Forderungen geht es denjenigen, die austreten, meistens überhaupt nicht. Junge Erwachsene, meine Altersgruppe, fordern gar nichts mehr von Kirche. Wir kommen einfach nicht mehr oder wir gehen stillschweigend. Denn auch wenn die Kirche solche Reformen umsetzt, die jungen Erwachsenen brauchen etwas Anderes, nämlich das, was persönlich weiter bringt. Das hat nichts mit den o.g. Reformen zu tun. So politisch denken die meisten gar nicht.
Es ist viel einfacher: Warum sollten junge Erwachsene ein Angebot wahrnehmen, das ihnen nichts für das eigene Leben bringt? Gottesdienste sind in ihrer Form für die meisten deshalb oft frustrierend, weil sie wie ein routiniert abgespultes Programm wirken. Wer nicht eine persönliche Frömmigkeit mitbringt, fühlt sich von vielen Sonntagsgottesdiensten in den Gemeinden nicht gestärkt, erfrischt, erfüllt, erneuert oder inspiriert – sondern gelangweilt, leer, fehl am Platz. Das sind keine Gefühle, die man sonntags aus der Kirche mit nach Hause nehmen will. Anders als vielleicht viele Ältere erwarten die Jüngeren von Kirche kein Seelenheil, keine Spiritualität, keine Ruhe, keine Meditation. Die Frustration mit den Gemeindegottesdiensten kommt gerade aus der Notwendigkeit, etwas zu bekommen, um der herrschenden Kultur standzuhalten. Ruhe, Entspannung, Reflexion usw. werden von vielen meiner Altersgenossen nicht bei den Kirchen gesucht, sondern beim Buddhismus, in Yoga-Kursen, im Sport und in einfachen Achtsamkeitsübungen.
Ich stelle fest, dass die meisten, die das kirchliche Leben bestimmen, ob Seelsorger oder die Leute in den Gremien, das gar nicht bei jungen Erwachsenen vermuten. Die meisten jungen Erwachsenen wissen wiederum nicht, dass Kirche so etwas vielleicht auch anbieten könnte. Viele gehen dann eben woanders hin. Es wäre irgendwie gut, erst einmal die Seelen der Digital Natives zu erkunden.
Angebote für Orientierung, Sinn und Glück
Wenn die Kirchen überhaupt ernsthaft den Wunsch haben, Menschen etwas anzubieten, nicht den Wunsch, die Bänke zu füllen oder Leute zurückzugewinnen, dann müsste sich Kirche verändern. Dann bräuchte es religiöse Angebote, die junge Erwachsene tatsächlich befähigen und dabei unterstützen, ihr Leben zu bewältigen. Gottesdienste, die Raum für Stille, Reflexion, Meditation, gute Musik bieten. Lieder, die jeder gerne singt, wirklich mitsingen möchte. Mit Impulsen, vielleicht auch Predigten, die darauf eingehen, wie junge Menschen und junge Erwachsene das Leben empfinden. Stattdessen werden Texte erklärt. Das ist die Wirkung von Kirche auf diejenigen, die sie eigentlich gewinnen will. Das berührt aber die Seelen der meisten nicht.
Es bräuchte wahrnehmbar Gottesdienste, Exerzitien, Räume, Bildungsangebote, Kurse für Persönlichkeitsbildung von und in Kirche. Unterschätzt wird das Bedürfnis nach Ruhe, Entspannung, spiritueller Tiefe, um Orientierung für das Leben zu gewinnen. Das wäre eine Kirche, die sich traut, jungen Erwachsenen zu helfen, glücklich zu werden, für das Leben einen tiefen Sinn zu finden, eine Art Berufung für das eigene Leben zu entdecken.
Gelebte Beispiele
Einige positive Beispiele gibt es bereits, etwa kontemplative Exerzitien für junge Erwachsene im Haus Gries der Jesuiten. Das „raumschiff ruhr“, eine neue Form von Kirche in der Essener Innenstadt mit Schwerpunkten, wo eine junge Pfarrerin mit ihrem Team Wert legt auf sinnliche und musikalische Elemente, Gemeinschaft und Ästhetik. Die Zukunftswerkstatt der Jesuiten in Frankfurt, ein Ort, wo junge Menschen sich zurückziehen können, um nach ihrer Berufung – weiter und freier als bloß kirchliche/geistliche Berufung – zu suchen. „Zeitfenster“, ein Gottesdienst-Angebot in Aachen am Freitagabend, das viel Wert auf Ästhetik, Musik und gute Predigten legt.
Was macht es den Kirchen so schwer, Angebote zu machen, die den jüngeren Jahrgängen tatsächlich etwas für ihr Leben bringen, ihnen helfen, im Leben glücklicher zu werden, zufriedener, mit dem Leben klarzukommen, das Leben zu bewältigen? Obwohl die Kirchen dafür stehen, erreichen sie meist fast nie die jungen Erwachsenen. Kirche müsste, wenn sie denn Menschen erreichen will, ihnen mit ihrer frohen Botschaft und ihren Kompetenzen etwas Gutes anbieten will, sich im besten Sinne dem Zeitgeist so anpassen, dass sie ihn erst einmal wahrnimmt. Die jungen Menschen bewegt heute etwas, das nach geistlichen Angeboten verlangt. Den Geist wahrnehmen, der die Menschen heute bewegt und ihnen geistreiche Angebote machen.
Was denjenigen fehlt, die austreten, sind nicht neue Strukturen, andere Pfarreinamen, vermeintlich mehr Mitsprache in Gremien, nicht Sitzungen, sondern ein Raum für die Seele.