Warum Millennials keine Leitung übernehmen wollen

Die Vorstellungen und Lebensentwürfe unserer Eltern und Großeltern überzeugen uns in der Generation „Millennials“ nicht mehr. Wie die älteren Generationen arbeiten, leben, lieben, konsumieren, wie sie uns vorleben, wie die Welt zu sein hat – so geht es für uns nicht weiter.

Wir Millennials haben uns von Politik, Parteien und Kirchen abgewendet. Wir wollen nur noch selten Verantwortung in Leitungspositionen übernehmen. Wir haben idealistische Vorstellungen davon, wie es mit der Welt weitergehen soll, die uns die Generationen vor uns, unsere Eltern und Großeltern hinterlassen bzw. in der wir uns vorfinden. Aber wir haben nicht die Kraft, die Lust oder die Energie, gegen die Widerstände unserer Vorgänger-Generationen anzurennen.


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Wir wollen nicht wie die Erwachsenen werden

Wir tun uns schwer, in Leitungspositionen zu gehen, weil wir noch das Bild im Kopf haben, dass Leiten mit außergewöhnlich viel Arbeit, Stress und wenig Anerkennung verbunden ist. Der Chef ist immer als erster und als letzter im Büro, hat wahnsinnig viel Stress, muss sich um alles kümmern. Selbstverwirklichung durch den Job. Freizeit, Familie, Entspannung stehen weit hinten an. In vielen Unternehmen und Institutionen wird so noch gearbeitet oder zumindest dieses Bild vermittelt. So wollen und so können wir in unserer Generation nicht mehr leben.

Auch politische Arbeit, zumal in verantwortlichen Positionen, bedeutet 60-80 Stunden Arbeit pro Woche und mehr. Die Aussicht auf Erfolg ist gering und auf Anerkennung noch weniger. Kaum verwunderlich, dass die jungen Leute in der Politik gar nicht jung wirken, so z.B. einer der jüngsten Bundestagsabgeordneten, Philipp Amthor, 26, der sich so gibt und so wirkt, als sei er schon 40 Jahre im Geschäft. Um in der Politik etwas zu bewegen, so unser Eindruck, müssten wir uns an die Gepflogenheiten, die Sprache, die Arbeitsweisen anpassen. An den Reaktionen auf die Klima-Demos der Schüler*innen, auf das Rezo-Video lässt sich das eindrücklich beobachten, nach dem Motto: „Werdet erstmal richtig erwachsen, arbeitet erstmal richtig und verdient Euer eigenes Geld, dann werdet Ihr schon sehen!“

Für das bestehende System können wir uns nicht engagieren

Anstatt unsere kostbare Zeit und Energie aufzubrauchen, um gegen ein eingefahrenes System anzurennen, und es im System zu etwas zu bringen – wie es die 68er und spätere Jahrgänge mit dem „Marsch durch die Institutionen“ versuchten und damit größtenteils scheiterten, anderenfalls stünden wir ja heute nicht vor mehr und größeren Herausforderungen als damals – reagieren wir auf die Probleme, mit denen wir uns konfrontiert sehen, eher mit individuellen Lösungen: Wir werkeln an uns selbst herum. Wir versuchen mit den systemgemachten Problemen klarzukommen. Nach viel zu langen und ineffektiven 40-Stunden-Wochen gehen wir zum Yoga, machen Entspannungsübungen, fahren auf Exerzitien. Wenn wir das nicht schaffen, hängen wir eben ein Wochenende lang vor Netflix und schauen eine ganze Serie „binge-watching“-mäßig durch. Für mehr bleibt häufig keine Energie mehr.

Wir dokumentieren unser Leben digital

Ein Leben ohne Internet und Smartphone ist für uns nicht vorstellbar, das Digitale unsere Lebenswelt: Google, Facebook und Instagram, WhatsApp, Amazon und Netflix. Wir sind die Generation Smartphone: die ganze Welt ständig in der Hosentasche oder auf dem Nachttisch, dauernd online, eine noch immer unterschätzte Herausforderung.

Wir versuchen, jeden kleinen Moment der Freude, der Entspannung, dessen, was wir irgendwie als „Freizeit“ wahrzunehmen in der Lage sind, digital zu dokumentieren, mit Fotos und „Storys“ auf Instagram. Wir folgen Selbstoptimierungs- und Glücksratgeber-Profilen auf Facebook und Instagram, probieren alles, um uns gesünder, „clean“ zu ernähren, vegan oder auch nicht. Versuchen, mehrmals die Woche Sport zu machen, dokumentieren natürlich auch das in verschiedenen Social Media-Kanälen.

Um mit der Fülle, dem schier endlosen Überangebot an Möglichkeiten, den unendlich vielen Lebens- und Glücksentwürfen klarzukommen, die uns in der digitalisierten, globalisierten 24 Stunden am Stück präsentiert werden, nutzen wir paradoxerweise wiederum digitale Instrumente, um mit der Müdigkeit, der Erschöpfung und Lähmung, der Lethargie klarzukommen, die sich angesichts der Unmöglichkeit einstellt, nicht alles machen zu können. Bei so vielen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, der Entspannungs- und Freizeitgestaltung landen wir doch oft, stundenlang über das Smartphone gebeugt, auf dem Sofa und wissen nach ein paar Stunden nicht, wo die Zeit geblieben ist. Dann ist auf einmal schon wieder Sonntagabend. Diese Entwicklung kostet Kraft. Die Social Media sind absichtlich so programmiert, dass wir ihnen möglichst viel und lange unsere Aufmerksamkeit schenken. So klauen sie uns unsere Energie.

Wir sind unterbezahlt

Wir haben daher keine Kraft mehr für 40- oder mehr -Stunden-Wochen, in denen wir bei vielen Arbeitgebern auch noch finanziell ausgebeutet werden, weil sie wissen, dass wir idealistischer sind als unsere Elterngeneration. Uns wurde eingetrichtert, dass wir das studieren und machen sollen, was uns Freude macht, dass wir unsere „Berufung“ leben sollen. Dann geben wir in Gehaltsverhandlungen natürlich klein bei, in der Hoffnung, dass unser Arbeitgeber unsere Talente, Fähigkeiten unsere entsprechend hohe Leistungsbereitschaft wenigstens mit einem ansprechenden Arbeitsklima und Mitbestimmung honoriert. Das geschieht aber nur in den seltensten Fällen. In den meisten Unternehmen wird so weiter gemacht wie bisher. Auch in der Politik und in den Kirchen.

Wo sind da die Millennials, die sich trauen, das Ruder zu übernehmen? Was soll uns motivieren, gegen die Widerstände der „Alten“ anzukämpfen und damit unsere ohnehin so weiter unseren überbeanspruchten Energie- und Zeithaushalt zu strapazieren? Um Sicherheit zu bekommen, gehen wir dann doch in die Institutionen. Neue Wege, z.B. sich selbstständig zu machen, sind mit zu großen Unsicherheiten verbunden, die Anstrengungen dabei werden kaum honoriert, aber oft belächelt.

Es verwundert wohl kaum, dass man unsere Altersgruppe so gut wie gar nicht mehr in den Kirchen antrifft. Die Gemeinden sind dominiert von den alten Vorstellungen der bürgerlichen Mitte. Aus Gottesdiensten würden wir nicht gestärkt herausgehen, eher frustriert oder erschöpfter als vorher, weil wir uns innerlich so sehr gegen das sträuben, was dort aufgeführt wird.

Wir stehen weiter außerhalb

Wenn die 25-35-Jährigen in den nächsten Jahren Verantwortung in Gesellschaft, Politik, Kirchen und anderen Institutionen übernehmen sollen, brauchen wir Verständnis und Unterstützung von den „Älteren“. Die alten Modelle von Arbeit, Familie und Freizeit, die Lebensgestaltung und das Glücksmanagement mögen für unsere Eltern noch funktionieren, für die meisten von uns nicht mehr.

Solange die „Älteren“, die „echten Erwachsenen“ unseren „jugendlichen“ Idealismus, unsere Ängste, Ideen für die Zukunft, unsere Vorstellungen von einem guten Leben angesichts der schon geschehenden bzw. unmittelbar vor der Tür stehenden globalen Probleme, Umwälzungen und Katastrophen nur belächeln, sie zurückweisen oder mit hilflosem Achselzucken quittieren, werden wir uns nicht aufraffen. Im jetzigen System vergeuden wir nicht unsere wertvollen Ideen und Energien. Unsere Haltung: „Wir werden nicht wie Ihr, nur um in Eurem Spiel mitzuspielen und Euer System am Laufen zu halten.“


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