Warum sollten Unternehmen in Deutschland ein Interesse daran haben, den Kosovo wirtschaftlich wiederaufzubauen? Ebenso gut können sie doch junge Kosovaren nach Deutschland holen, um sie in ihren hiesigen Betrieben auszubilden und arbeiten zu lassen. Der Jesuitenorden hatte geplant, in Prizren (Kosovo) eine Berufsschule zu gründen, damit junge Kosovaren in ihrer Heimat eine Ausbildung erhalten und später als Fachkräfte im Kosovo arbeiten können. Einigen deutschen Unternehmern ist es aber offenkundig wichtiger, dass möglichst viele junge Kosovaren in ihren Betrieben in Deutschland arbeiten. Sie haben die Pläne für die Berufsschule „beerdigt“.
Jugendarbeitslosigkeit, keine Berufsausbildungen
Im Kosovo gibt es kein qualifiziertes Berufsbildungssystem und unterhalb des Abschlusses nach dem 12-jährigen Gymnasium keinen formalen Schulabschluss. Kosovarische Studienabschlüsse sind in der Regel nicht praktisch genug angelegt und qualifizieren daher nicht ausreichend für eine Berufstätigkeit.
Um die Entwicklung des Kosovo zu unterstützen, müssten junge Leute in ihrem Heimatland beruflich ausgebildet werden, um dann als Fachkräfte einen Arbeitsplatz im Kosovo zu bekommen. Die Wirtschaft würde dadurch belebt, der Jugendarbeitslosigkeit im Kosovo würde entgegengewirkt. Sie beträgt derzeit mindestens 55 Prozent. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 27 Jahren. Jeder siebzehnte Einwohner ist Student.
Anhaltender „Brain Drain“
Der deutsche Jesuitenpater Axel Bödefeld hatte die Pläne für eine Berufsschule auf dem ehemaligen Gelände der deutschen KFOR-Truppen in Prizren vorangetrieben. „Der anhaltende Brain Drain, an dem wir mitwirken, verstärkt die Perspektivlosigkeit und Destabilisierung innerhalb der Gesellschaft“, berichtete Bödefeld im Oktober 2018 bei der Vereinssitzung des „Freunde und Förderer der ALG“ (FFALG) in Dresden gemäß einem öffentlich im Internet auffindbaren Protokoll.
Bödefeld war bis vor zwei Wochen Direktor des „Loyola-Gymnasiums“, einer Privatschule im Kosovo, die sein Ordensbruder Walter Happel 2005 gegründet und bis 2015 geleitet hatte. Institutionell untersteht diese Schule dem Trägerverein „Asociation Loyola-Gymnasium“ (ALG). Vor zwei Wochen entzog eine Mehrheit dieses Trägervereins dem Direktor Bödefeld das Vertrauen und entpflichtete ihn mit sofortiger Wirkung von seinem Amt. Bödefeld habe die Berufsschule quasi im Alleingang und gegen den Rat von Fachleuten geplant, schrieb der neu gewählte Direktor Fadil Hamzaj in einem E-Mail-Newsletter wenige Tage nach Bödefelds Entlassung.
Ausbildung bei Unternehmen in Deutschland
Stimmberechtigt bei Bödefelds Abwahl waren mehrere gemeinnützige Organisationen, deren Vorstände nach öffentlichen Angaben mit dem Maschinenbau und Drahtweberei betreibenden Unternehmen Haver & Boecker in Oelde eng verbunden sind, die oben genannten „Freunde und Förderer der ALG“ (FFALG), die „Loyola Stiftung“ sowie die „Marianne-und-Rudolf-Haver-Stiftung“. Geschäftsführer von Haver & Boecker war bis 2013 Reinhold Festge, Gründungsmitglied der FFALG und im Vorstand der „Loyola-Stiftung“
Laut einem öffentlich zugänglichen Protokoll des FFALG vom Oktober 2017 war Festge der „Initiator“ der sogenannten „Ausbildungsinitiative“ des Loyola-Gymnasiums. Mit der „Ausbildungsinitiative“ unterstützt Haver & Boecker in Kooperation mit anderen Unternehmen der Region Oelde junge Menschen im Kosovo mit einer dualen Ausbildung in Deutschland. Jedes Jahr gebe es dazu eine Informationsveranstaltung am Loyola-Gymnasium in Prizren. Den besten Kandidaten werde dann ein Ausbildungsvertrag in Deutschland angeboten, oftmals mit der Option zu einem ausbildungsbegleitenden Studium. Hans-Joachim Festge vertritt im Trägerverein die „Marianne-und-Rudolf-Haver-Stiftung“. Der Vorsitzende der FFALG ist Alfons Tentrup, verantwortlich für die Ausbildung bei Haver & Boecker.
Zum Trägerverein zählen neben den Haver & Boecker nahestehenden Stiftungen auch mehrere Landesverbände des Arbeiter-Samariter-Bunds in Deutschland, die in deutschen Krankenhäusern Loyola-Schüler ausbilden, zum Beispiel in Radeberg.
Berufsschule nicht realisierbar?
Die Mehrheit des Trägervereins vertritt die Ansicht, das Projekt der Berufsschule im Kosovo sei nicht realisierbar. Das teilte der neu gewählte ALG-Direktor Fadil Hamzaj in seinem E-Mail-Newsletter wenige Tage nach der Entpflichtung Bödefelds mit: „Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung (des Projekts einer Berufsschule) sind derzeit nicht gegeben.“ Dazu ist zu sagen:
Laut dem bereits genannten Vereinssitzungs-Protokoll des FFALG aus Dresden vom Oktober 2018 plante der Jesuit Axel Bödefeld eine dreijährige Berufsausbildung zum Mechatroniker/zur Mechatronikerin nach westeuropäischen Standards, in Form einer Berufsschule und eines überbetrieblichen Ausbildungszentrums. Unter anderem sollten Mechatronik-Master-Absolventen von der Universität in Prishtina gewonnen und ausgebildet werden. Mit Blick auf eine Existenzgründung sollten den Auszubildenden außerdem Kenntnisse in Wirtschaft, Marketing, Personal, Fremdsprachen und Ethik vermittelt werden. Das Ausbildungsprogramm sollte von der Auslandshandelskammer in Mazedonien überwacht werden.
Unterstützung vom Premierminister, GIZ, Renovabis
Der Premierminister der Republik Kosovo Ramush Haradinaj hatte – laut dem öffentlichen Sitzungsprotokoll – sogar schon einen Investitionszuschuss von 350.000 Euro sowie einen Teil der Betriebskosten – 50.000 Euro – für die Berufsschule zugesagt bzw. angewiesen. Offenbar war auch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beteiligt. Außerdem war das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis nach eigenen Angaben zu einer Beteiligung bereit. Auch unterstützen die Ergebnisse mehrerer wissenschaftlicher Studien die Erfolgsaussichten der Berufsschule, u.a. von UNDP (The Skills Needs Assesssment Report, 2016), ALLED (Labour Market Needs Assessment, 2015 sowie Sector Profile Mechanical Engineering, 2016) und Weltbank.
Warum haben die kosovarischen Mitglieder des Trägervereins, wie etwa der neu ernannte Direktor, gegen das Berufsschulprojekt gestimmt: Sie wollen ihren Kindern eine Berufstätigkeit in Deutschland ermöglichen. Von den aus dem Trägerverein ausgeschiedenen kirchlichen Vertretern wird zudem vermutet, dass ihre Stimmabgabe von den nichtkirchlichen deutschen Mitgliedern des Trägervereins ausgenutzt wurde.
Geht so Gemeinnützigkeit?
Endet Gemeinnützigkeit für die Mehrheit der gemeinnützigen Organisationen im Trägerverein an den deutschen Grenzen oder sogar schon an den Türen deutscher Unternehmen? Jedes Jahr kommen viele Loyola-Absolventen über die „Ausbildungsinitiative“ nach Deutschland, um die hiesigen Unternehmen mit Fachkräften zu versorgen. Noch ist keiner von ihnen in den Kosovo zurückgekehrt. Laut Angaben des neuen Loyola-Direktors Hamzaj soll die „Ausbildungsinitiative“ sogar noch verstärkt werden. Sollen also restlos alle Loyola-Abiturienten in Deutschland ausgebildet werden – oder warum darf nicht wenigstens der große Rest der kosovarischen Jugend, der nicht nach Deutschland kommt, in ihrem Heimatland ausgebildet werden? Nach allen vorliegenden Informationen spricht kein sachlicher Grund gegen die Errichtung der Berufsschule im Kosovo. Es wäre wohl äußerst zynisch, von „umgekehrtem“, deutschem „Kolonialismus“ zu sprechen.
Und eine letzte Frage: Dürfen Organisationen, die den Status „gemeinnützig“ führen, dafür sorgen, dass ein vom Bürgerkrieg geschädigter Staat weiter kaputt geht? Gemeinnützigkeit geht anders.
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