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Der Umgang mit Venezuela ist zynisch. Der Westen wirft Maduro und seinem Sozialismus die Armut vor, die er durch Wirtschaftssanktionen planmäßig mitverursacht hat. In Venezuela soll angesichts sinkender globaler Konjunkturprognosen Platz für amerikanische Konzerne geschaffen werden – um buchstäblich jeden Preis. Der Vatikan, von beiden Seiten um Vermittlung gebeten, übt sich in befremdlicher Zurückhaltung, während US-Vize Mike Pence vor dem UN-Sicherheitsrat offen mit Krieg drohen darf.
Sanktionspolitik der Verarmung
Es ist ein Desaster. Wirklich. Die UN rechnet mit fünf Millionen venezolanischen Flüchtlingen. Hyperinflation, Armut und Kriminalität treiben die Menschen in den Exodus. Dabei sah es eigentlich gut aus. In den 80er Jahren boomte das (Öl-)Geschäft und ab 1998 wollte Chavez die Bevölkerung am Reichtum teilhaben lassen. Gegen den Chavismus streikten nicht die Gewerkschaften, sondern die Manager – die Eliten verteidigten ihre Privilegien.
Heute ist Chavez tot, Maduro hat übernommen und der Sozialismus steckt in der Krise. Korruption mag ein Grund sein, fehlende Investitionen sicherlich auch, doch für ausländische Kräfte ist das Scheitern des Sozialismus nicht Tragik, sondern erklärtes Ziel: Was sonst ist die Agenda des Westens, dessen Sanktionspolitik nichts als Armut zur Folge hat?
Die Armen stehen nicht auf der Seite Guaidos
Hierzulande strickt man sich in Zeiten schrumpfender Konjunkturprognosen ein Narrativ zurecht, dessen Zynismus sich kaum überbieten lässt. Der Retter in Hellblau, der wirtschaftsliberale Guaido, sei von der - in deutschen Medien unisono behaupteten - „Mehrheit“ der Venezolaner erwartet worden, es sei ein Skandal, dass die amerikanischen Hilfslieferungen, Ausdruck echter Menschlichkeit, nicht ins Land gelassen würden. Was Maduro an der Macht halte, sei lediglich das loyale Militär, das um seine Privilegien fürchte.
Dabei durfte unlängst selbst in der Tagesschau eine Frau aus den Armenvierteln von Caracas in die Kamera sagen, dass sie auf der Seite Maduros stehe. Weil sie Angst habe, es werde wieder so „wie vor dem Sozialismus“. Offenbar gibt es noch immer etwas zu verlieren, und sei es nur die Hoffnung, die man in den Favelas nicht mit Guaido zu verbinden scheint. Das verwundert nicht, wurde er doch von den USA als Gegenkandidat aufgebaut, die immer wieder offenlegen, dass es ihnen nicht um das Wohl der Venezolaner, sondern um etwas anderes geht. So erklärte Trumps nationaler Sicherheitsberater John Bolton im Februar: "Wir führen Gespräche mit großen US-Unternehmen, die entweder in Venezuela tätig sind oder, wie im Fall von Citgo, in den Vereinigten Staaten. Ich glaube, wir haben alle das gleiche Ziel. Es wäre für die Vereinigten Staaten wirtschaftlich von großer Bedeutung, wenn amerikanische Öl-Gesellschaften investieren und die Fördermöglichkeiten aufbauen können“ - um schnell nachzuschieben: „Das wäre gut für die Bevölkerung in Venezuela und in den USA."
Stellvertreterkrieg
Die unteren Schichten Venezuelas misstrauen Guaido. Maduro mobilisiert, auch wenn man davon hierzulande nicht viel hört, ebenfalls tausende Anhänger. Guaido und die US-Regierung, kürzlich vor dem UN-Sicherheitsrat wieder in Gestalt von Mike Pence, werden nicht müde zu betonen, dass „alle“, also auch militärische Optionen, auf dem Tisch lägen, um den ungeliebten Sozialisten aus dem Amt zu bekommen. Die Ernennung von Elliot Abrams als Sonderbeauftragten für Venezuela ist ebenfalls als Drohung zu lesen: 1983 verteidigte Abrams den Verkauf von Waffen an die Diktatur in Guatemala, die nachweislich Aufständische und Indigene massakrierte.
Die USA und Guaido drohen also mit Krieg und die EU erkennt Guaido – völkerrechtlich gelinde gesagt umstritten – als Interimspräsidenten. Europa macht sich in dieser Frage auch mit Akteuren wie dem rechtsradikalen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro gemein. Dass momentan noch gedroht und nicht geschossen wird, dürfte weniger am diplomatischen Geschick einer Konfliktpartei liegen, als an russischen Soldaten, die mittlerweile in Venezuela gelandet sind. Russland freilich verfolgt ganz eigene wirtschaftspolitische Interessen in der Region. Auch der Konflikt Maduro vs. Guaido ist letztlich ein kalter Stellvertreterkrieg.
Warum keine Vermittlerrolle?
Guaido inszeniert sich gerne als Christ und verspricht den Kirchen eine wichtige Rolle im nachsozialistischen Venezuela. Maduro kann sich auf die Geschichte der südamerikanischen Befreiungstheologie berufen. Beide haben in den letzten Monaten den Heiligen Stuhl um Vermittlung gebeten. Auch Mexiko und Nicaragua regten wiederholt einen runden Tisch mit den Konfliktparteien an. Das Land ist tief gespalten, Gewaltbereitschaft war auf beiden Seiten zu erkennen – und dass die externen Mächte, die EU, Russland, die USA, bereit sind, für ihre Interessen über Leichen zu gehen, ist unumstritten. Wo bleibt also der Einsatz für eine friedliche Lösung? Papst Franziskus ließ kürzlich verlautbaren, man bleibe „positiv neutral“, Kommentatoren hörten aus seinen Äußerungen eine Kritik an Maduro heraus, eine berechtigte wohl. Es besteht jedoch die Gefahr, sich in der Untätigkeit einzurichten. Die positive Neutralität würde dann zynisch.
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