„Küssen verboten“ – sangen „Die Prinzen“ schon 1992 und landeten damit einen ihrer größten Erfolge. Als Gläubige vor ein paar Tagen den Fischerring des Papstes küssen wollten, machte auch Franziskus klar: Küssen verboten (Video). Nun ist die Aufregung riesengroß. Für Simon Schwamborn stellen sich da einige Fragen. Die kath.de-Glosse zum Sonntag.
Brexit-Müdigkeit?
Vielleicht ist der Brexit-Überdruss ja die Ursache: Wer am Donnerstagabend die „Top 10“ der meistgelesen Artikel bei tagesschau.de aufrief, sah einmal nicht Theresa May oder Boris Johnson an der Spitze. Einer hatte sie alle überholt: Papst Franziskus! Auch bei der britischen BBC gehörte die Nachricht zu den Top News, gleich hinter den Widerständlern der DUP. Dabei hat sich das Königreich ja bekanntlich schon vor fast 600 Jahren von Rom losgesagt. Was war bloß passiert? Der Vatikan hatte eine Erklärung abgegeben, warum der Papst seine Hand mehrfach weggezogen hatte, als Gläubige sie küssen wollten: hygienische Gründe und die Sorge vor der der Ausbreitung von Keimen.
Westfälische Fremdeln
Das Video mit dem verweigerten Handkuss ging zuvor bereits viral, millionenfach wurde es geklickt. Doch mit dem Reichweitenerfolg kam auch die Empörungswelle. Von Demütigung der Gläubigen, dem wiederholten Bruch von Traditionen war schnell die Rede. Als Mitteleuropäer reibe ich mir da verdutzt die Augen. Überschwängliche Umarmungen beim Friedensgruß sind mir als Westfalen ähnlich fremd wie ein freundliches Küsschen rechts und links. Damit bin ich wohl nicht alleine. Denn vor Kurzem hat das Erzbistum Paderborn erst vor erhöhter Ansteckungsgefahr durch Weihwasserbecken in der kalten Jahreszeit gewarnt. Also mal wieder viel Aufregung um nichts?
Ein Argentinier ganz westfälisch?
Nun ja, Jorge Bergoglio ist bekanntlich kein Westfale, sondern Argentinier. Und da sind die vielen Bilder in meinem Kopf, wie er Obdachlose umarmt, Kranke und Gefangene küsst. Berührungsängste scheinen ihm genauso fremd wie die Einhaltung von übertriebenen Hygienestandards. Hier scheint doch wieder eine nachträgliche Beruhigungsstrategie am Werk. Möglichweise sind Papst Franziskus solche Ehrerbietungen schlicht und einfach befremdlich. Vielleicht sind sie ja ein Mosaikstein von dem etwas nebulösen Klerikalismus, den er immer wieder kritisiert – und möchte sich in einer Zeit, in der die menschlichen Grenzen des Stellvertreter Gottes so offenkundig zu sein scheinen von derartigen Traditionen distanzieren.
Klare Worte statt tagelangem Schweigen
Vier Tage und Millionen Klicks hat es gebraucht, bis der Vatikan sein Schweigen brach und eine halbherzige Erklärung nachschob. Ein solches Verhalten fördert Spekulationen wie meine eigenen. Ich kann mich jedenfalls des Eindrucks einer gewissen Halbherzigkeit nicht erwehren. Knickt der Papst vor den Erwartungen anderer ein, wäre es verständlich und enttäuschend in gleichen Teilen. Ich wünsche mir einen Papst der ehrlichen Worte und Taten, der keine Angst vor Neuerungen hat. Vielleicht wünsche ich mir den unerschrocken Papst Franziskus der ersten Jahre zurück. Und: Mir ist ein Selfie-Papst lieber als jemand, der sich den Ring küssen lässt. Aber da kommt vielleicht auch nur der Westfale in mir durch.
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