Manchmal sind es kleine Meldungen über Ereignisse, die gewaltige Folgen haben werden. Apple und Co. bieten nun Simultanübersetzungen an. Mit dem Apple-Programm und den dazugehörenden Kopfhörern ist es möglich, dass zwei Menschen, die jeweils unterschiedliche Sprachen sprechen, sich in Echtzeit unterhalten können. Die Konkurrenz von Samsung hat ähnliche Lösungen im Angebot und der Technologiekonzern Meta mit Facebook, Instagram und WhatsApp bietet eine Brille an, die mit integriertem Mikrofon und Kopfhörer arbeitet. „Teams“, das Kommunikationssystem von Microsoft, wird wahrscheinlich bald in der Lage sein, in einem Meeting gleichzeitig in verschiedenen Sprachen zu kommunizieren. Microsoft wird schnell nachziehen.
Der Dolmetscherberuf wird wohl aussterben
Experten gehen davon aus, dass es den Dolmetscherberuf in zehn Jahren wohl nicht mehr geben wird, und auch der Markt für Übersetzungen von Texten wird sich grundlegend ändern. Die meisten Texte lassen sich jetzt schon problemlos in Sekundenschnelle übersetzen, ein Übersetzungsbüro wird dann nicht mehr gebraucht. Wichtige Texte müssen weiterhin von speziell ausgebildeten Übersetzern übersetzt werden. Das liegt daran, dass es gesetzlich vorgeschrieben ist, dass jemand verantwortlich ist, wenn es Fehler bei Übersetzungen gibt, besonders im Geschäftsbereich.
Weniger „strong command of English“ gefragt
Ein eher positiver Aspekt dürfte sein, dass Sachbearbeiter weniger Sprachkenntnisse haben müssen, um ihr Können im internationalen Kontext erfolgreich anzubieten. Bisher ist es in internationalen Firmen unbedingt nötig, zumindest ausreichend Englisch zu sprechen, um an internationalen Projekten mitarbeiten zu können, oder in Teams zu arbeiten, die auf mehrere Länder verteilt sind. Durch Simultanübersetzungen wird dies in Zukunft weniger dringend sein und die Angestellten können sich auf fachliche Belange konzentrieren. Im Tagesgeschäft werden Sprachkenntnisse also eher weniger wichtig werden.
**Was passiert mit dem Bildungs- und Fremdsprachtourismus, den Callcentern? **
Über die weitere Entwicklung kann man nur spekulieren. Wird die neue Technik dazu führen, dass Fremdsprachenkenntnisse weniger wichtig werden, und wenn ja, was bedeutet das für den Sprachunterricht an unseren Schulen? Könnte es sein, dass Sprachen dann in einer Liga mit Sport, Kunst und Musik angesiedelt werden? Fächer, die man zwar machen muss, die aber nicht so recht ernst genommen werden? Ebenfalls können die Auswirkungen auf den Sprach- und Bildungstourismus sowie Au-pair-Programme gravierend sein. Ganze Länder, wie Malta profitieren von Sprachtouristen und werden ihr Geschäftsmodell ändern müssen. Schon jetzt bieten viele Callcenter außerhalb von Deutschland ihre Dienste an. Das wird wohl erheblich zunehmen. In Zukunft könnten auch andere Services per Telefon und Computer wahrscheinlich günstiger von ausländischen Anbietern angeboten werden.
**Fremdsprachenkenntnisse als Merkmal der Schichtzugehörigkeit? **
Auch wenn Fremdsprachen im Job weniger wichtig werden, können Sprachkenntnisse den Unterschied zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten ausmachen. Wer gute Fremdsprachenkenntnisse hat, signalisiert die Zugehörigkeit zu einer „höheren“ Schicht, aus der sich die internationale Elite rekrutiert. Die internationale Elite wird wohl auch in Zukunft mehrsprachig sein und die Führung der großen Konzerne unter sich ausmachen. Es ist wahrscheinlich, dass der Übergang von der Mittelschicht zu höheren Führungspositionen noch schwieriger wird als bisher. Im Erwachsenenalter eine Fremdsprache verhandlungssicher zu erlernen, dürfte für die meisten nicht zu leisten sein. Ob sich Vor- und Nachteile der Entwicklung zu leicht verfügbaren Simultanübersetzungen die Waage halten, wird sich in Zukunft erst zeigen.
Autor: Ulrich Lehmann