Digital Detox 2.0

In der Fastenzeit bewusst online gehen

Sean Hayes / pixabay

Am Aschermittwoch startete die Fastenzeit. Viele Menschen nehmen sich in den 40 Tagen vor Ostern vor, bewusst auf etwas zu verzichten, um zu „entgiften“ oder zu „entschleunigen“. In den letzten Jahren ist dabei auch das digitale Fasten immer beliebter geworden. Laut Wikipedia gaben 2022 bei einer reprä-sentativen Umfrage in Deutschland 41 % der Befragten an, schon einmal einen „Digital Detox“ gemacht zu haben. Beim „Digital Detox 2.0“ geht es allerdings nicht mehr um einen digitalen Komplettverzicht, sondern um ein „bewusstes online zu gehen“. Was steckt hinter dem neuen Trend?

„Day of Unplugging“ und Digitaler Minimalismus

Die Ursprünge des Digital Detox reichen bereits ins Jahr 2009 zurück. Laut Wikipedia wurde in diesem Jahr erstmals der „Day of Unplugging“ begangen, der jährlich am ersten Freitag im März stattfindet. Hin-tergrund war, dass sich durch die rasante Verbreitung von Internet und Social Media die Überforderung zunahm. Ähnlich wie beim Krankenbild der „Neurasthenie“, welches besonders zu Beginn der Industriali-sierung und bei der Einführung der Fließbandarbeit viele Arbeiter:innen „ausbrennen“ ließ. Zu den Ursa-chen, die die heute unter „Burnout“ bekannten Krankheit begünstigen, zählen: Der Druck der ständigen Erreichbarkeit und die große Flut der einströmenden Informationen. Auch FOMO („fear of missing out“), also die Angst etwas zu verpassen, erhöhte die Online-Zeit kontinuierlich weiter.

Aber es dauerte ganze zehn Jahre, bis das Thema die breite Öffentlichkeit erreichte, als 2019 das Buch „Digital Minimalism“ von Carl Newport erschien. Es traf damals einen Nerv, als die „Generation iPhone“ und die „Digital Natives“ merkten, dass die schöne neue digitale Welt auch ihre Tücken hat. Die Lösung schien einfach: Komplettverzicht auf Internet & Co. und anschließend radikales Ausmisten der Apps und ändern der Surfgewohnheiten. Auch der Autor dieses Kommentars probierte es auch und merkte wäh-rend des „Digital Detox“ eine deutliche Verbesserung. Allerdings hielt dieser Zustand nicht lange an. Wie beim berühmten „JoJo“-Effekt bei den Diäten zum Abnehmen, trat der Effekt ein, dass man nachher die „Online-Zeit“ wieder nachholen wollte und noch mehr als zuvor „online“ war.

Aber der Samen war gelegt und das Interesse an „digitalen Fasten“ war geweckt. Reisen in die französi-sche Normandie oder die schottischen Highlands, in denen es kein oder nur sehr langsames Internet gab, führten dazu, dass der Autor – wenn mal Netz da war – viel gezielter und fokussierter online ging. Der Verzicht auf den Komplettverzicht fühlte sich richtig an, ohne schlechtes Gewissen nachher.

Digital Detox 2.0

Und diesen Trend greift Dr. Daniela Otto in ihrem im letzten Jahr erschienenen Buch „Digital Detox für die Seele“ auf. „Bewusst online gehen“ lautet ihr Credo als Mittel der Selbsfürsorge: „Wann immer sie ihre digitalen Geräte benutzen, tun sie es achtsam.“ Natürlich kann zu Beginn des Digital Detox 2.0 auch ein - für einen selbstbestimmten Zeitraum selbst gewählter – Verzicht auf digitale Geräte dazugehören, um eine Veränderung anzustoßen: „Sie treten wieder in eine wesentliche Verbindung mit sich selbst, mit anderen, mit dem echten Leben“, schrieb Otto 2023.

Aber eigentlich geht es darum, nicht kompletten Verzicht zu üben, sondern fokussierter und weniger onli-ne zu gehen. Wie zu den Anfängen des Internets, als in „Internet-Cafés“ jede Minute Online-Zeit bares Geld kostete und daher die Zeit im Web fiel gezielter genutzt wurde. „Digitales Fasten“ kann auch be-deuten, sich nicht im Facebook- oder Insta-Stream oder sich im automatischen der Netflix – Folgen zu verlieren, sondern das Internet nur dann zu aktivieren, wenn es wirklich benötigt wird. Das spart auch Strom und reduziert die (energiefressende) Belastung der Rechenzentren / Cloudspeicher.

Spirituelle Reise ohne Google Maps

Neben den positiven Aspekten für Leib und Seele bietet Digital Detox 2.0 noch eine weitere Chance, die Daniela Otto aufzeigt: „Was ist spirituell daran, ein Handy auszuschalten?“ Ihre Antwort: „Alles“, denn „Stille ist seit jeher Urbestandteil jeglicher spirituellen Praxis.“ Und durch das bewusste Herunterfahren des digitalen Lärms kann diese Stille erreicht und eine „spirituelle Reise“ gestartet werden.

„(…) Was auch immer ihr innerstes Herzensziel ist - Sie finden es auch ohne Google Maps“, so Otto. Dabei können „Anker der Achtsamkeit“ helfen, dass die User:innen nicht vom digitalen Strom mitgerissen wer-den und das Gehirn z.B. durch Achtsamkeitsübungen und Meditation darauf trainiert wird, wieder neue neurale Netzwerke zu bilden, die durch die digitale Dauerbeschallung abgestorben sind.

Fazit: Der Verzicht auf den Verzicht wirkt!

Der Verzicht auf den Komplettverzicht verhindert nicht nur den oben beschriebenen „JoJo“-Effekt, son-dern auch das „FOMO“ – Gefühl entfällt. Gleichzeitig bietet die schiere Reduktion der Masse an digitalen Input und das bewusste Online gehen für das Gehirn und die Seele die Möglichkeit, beim Digital Detox 2.0 einen Gang runterzuschalten, den Input zu verarbeiten und fokussierter zu sein, wie der Selbsttest des Autors zeigte. Und wenn man die zwischendurch eintretende Stille zulässt, kann man wieder seine innere Stimme hören… und wenn man ganz genau hinhört zuweilen auch Gott.

Text: Christian Schnaubelt (Chefredakteur und Herausgeber kath.de)