Weltethos für Millennials – zum Tode Hans Küngs

Seit dem Höhepunkt der 68er-Bewegung war Hans Küng einer jener Theologen, die die Konfrontation nicht scheuten. Jetzt ist der Begründer des „Projekt Weltethos“, Universalgelehrter und Grandseigneur des Dialogs der Religionen, 93-jährig verstorben. Es liegt an den jüngeren Generationen, sein Vermächtnis fortzusetzen und Zeichen der Hoffnung in der Welt zu sein. Unser Autor – Missionstheologe aus der Generation der Millennials – fragt: Sind wir so mutig, streitbar und streitfähig wie Hans Küng?

© Manfred Grohe / Stiftung Weltethos

Nach dem Theologie-Studium an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und der Priesterweihe 1954 promovierte der geborene Schweizer Hans Küng 1957 am Institut Catholique in Paris, indem er die Unterschiede der Theologie Karl Barths und der katholischen Lehre nuanciert herausarbeitete. Nach Lehraufträgen an der Uni Münster wechselte er 1960 an die theologische Fakultät der Uni Tübingen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1996 blieb.

Liberaler Revoluzzer?

Hans Küng gehört zu den jüngsten der einflussreichsten katholischen Theologen zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils und Zeitzeuge des Übergangs der euro-zentrischen Kirche zur polyzentrischen Weltkirche. Als Weggefährte Benedikts XVI. entschied sich Küng während der Revolten der 68er-Bewegung, der „universitären Kathedra“ treu zu bleiben. Papst Paul VI., der mit seiner Enzyklika Humanae Vitae um Keuschheit und natürliche Empfängnisregelung zur Geburtenkontrolle warb, wurde als rigider „Pillen-Paule“ verlacht. Küng suchte das vermittelnde Gespräch zwischen katholischer Kirche und den 68ern. Wegen seiner Haltung zum Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung wurde Küng von Konservativen zum liberalen Revoluzzer stilisiert, auch wenn er – wie Paul VI. – die christliche Tugend der Keuschheit in dem Sinne verteidigte, dass der Mensch nicht Mittel, sondern Zweck an sich bleibe.

Mission: Pluralität von Heilswegen und Welt-Deutungen

Als Missionstheologe frage ich mich, ob mit der 68er-Revolution unter dem fragwürdigen Vorzeichen der Befreiung nicht eine Verzweckung des Menschen und des Körpers einsetzte, die die menschliche Sexualität als Ware degradierte. Wie kann die Kirche Vorbild für jene sein, die an den Folgen der sexuellen Revolution bis heute leiden? Wie kann sie für katholische Prinzipien werben, ohne moralistisch oder anbiedernd zu sein?

Nicht zuletzt mit dem 1870 promulgierten Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes geriet Küng in einen tiefen Konflikt, infolgedessen ihm 1980 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde. Küng gab sich nicht geschlagen. Er begann, über die römisch-katholische Kirche hinauszudenken, sogar über das Christentum, indem er sich 1979 als Direktor des Tübinger Instituts für Ökumenische Forschung dem Dialog der Religionen widmete. 1986 erschien sein Werk: „Christentum und Weltreligionen“. Sein Interesse galt nicht nur den Religionen semitischen Ursprungs mit prophetischem Charakter im Gegenüber von Gott und Mensch, sondern auch den Religionen indischer Herkunft und chinesischer Tradition, die mystische Inneneinkehr und weisheitliche Harmonie betonen. Küng war es ein Anliegen, die Pluralität der Heilswege und Welt-Deutungen aufzuzeigen und auf Gemeinsamkeiten in den Religionen hinzuweisen, wie beispielsweise den Gewaltverzicht Jesu und das indische ahiṃsā als Gewaltlosigkeit. Küng war überzeugt: „Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen“.

Pionier der interreligiösen Begegnung

Als Missionstheologe finde ich den Ansatz Küngs wegweisend, weil er den Dialog und die Notwendigkeit der Forschung stark macht. Küng war Wegbereiter und Pionier der interreligiösen Begegnung, einer, der wie ein Fährmann im Zwischenraum verschiedener Ufer zu vermitteln verstand. Mit seiner „Erklärung zum Weltethos“ gelang Küng der internationale Durchbruch. Zur 100-Jahr-Feier des Parlaments der Weltreligionen 1993 in Chicago unternahm Küng den Versuch, zum ersten Mal in der Geschichte der Weltreligionen einen allgemeinverbindlichen ethischen Grundkonsenses vorzulegen, die die Goldene Regel ins Zentrum einer Verantwortungsethik (Max Weber, Hans Jonas) stellt. Auch wenn Küngs Erklärung die Welt nicht über Nacht veränderte, ermutigte sie jene, die sich für die Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen, für eine Kultur der Gewaltlosigkeit, der Solidarität, der Toleranz, der Wahrhaftigkeit sowie der Gleichberechtigung von Mann und Frau einsetzen.

Keine neue Weltordnung ohne ein Weltethos, lautete Küngs Apell. Die Gründung des Völkerbundes (1920), die Gründung der Vereinten Nationen (1945) und die Wiedervereinigung (1989) markierten für Küng bereits drei zeitgeschichtliche „Chancen für eine neue Weltordnung“. Was kommt als nächstes?

Nicht vom „Exotischen“ blenden lassen

Das „Projekt Weltethos“, zu dem Küng ermuntert, spornt auch mich an, andere religiöse Traditionen und Weltanschauungen kennenzulernen und zu verstehen, um Differenzen, Konvergenzen und Chancen aufzuzeigen, wie das Zusammenleben in einer religiös pluralen Gesellschaft gelingen kann – ohne sich vom „Exotischen“ der nicht-christlichen Religionen blenden zu lassen. Küng, der sich als einen „Idealisten ohne Illusionen“ bezeichnete, war ein Christ, der keinen Optimismus der Plattitüden verbreitete, sondern die christliche Hoffnungsbotschaft ernst nahm – auch wenn er von der hierarchisch verfassten Amtskirche als Troublemaker beargwöhnt wurde.

Sein Loyalitätskonflikt zeigt, dass das aufrichtige Ringen besser ist als ein bequemes Aneinander-vorbei-Leben. Ist das nicht auf alle Beziehungen anzuwenden? Natürlich kann ein Christ Zen praktizieren, aber wirklich menschlich wird es erst, wenn man um des anderen willen oder um einer höheren Wahrheit willen zu streiten beginnt. Und sei es auch nur, um das Argument des anderen zu retten – wie es beispielsweise die tibetischen Mönche praktizieren.

Reibung verursacht Hitze, Beziehung gewinnt Qualität

Erst auf die späte Einladung von Papst Benedikt XVI. kam Küng 2005 zur Privataudienz in Castel Gandolfo, wo er mit seinem deutschen Weggefährten von einst über die Frage des Weltethos und des Verhältnisses von Naturwissenschaft und christlichem Glauben ins Gespräch kam. Am 6. April 2021 ist Küng den noch lebenden 68ern in die Ewigkeit vorausgegangen. Küngs Vermächtnis, seine etwa 50 Bücher und die Werte der Weltreligionen, die er mit dem Weltethos-Institut in einen Dialog brachte, mögen ihre inspirierende Kraft auch für die Welt-Gestaltung der Millennial-Generation entfalten. Von Küng lässt sich lernen: Da wo Reibung Hitze verursacht, gewinnt Beziehung Qualität. Küng hatte die Leidenschaft, einem bequemen Angepasst-Sein zu widerstehen und gewissermaßen zum Eckstein zu werden (vgl. Ps 118; Mt 21,42 parr.). Sein Ringen mit der hierarchisch verfassten Amtskirche hat ihm neue Horizonte eröffnet und ihn zum Pionier für eine Ethik des Lebens und einen Dialog der Religionen werden lassen, die im Dienst des Friedens und der Völkerverständigung stehen.

Lesetipp:
Während Benedikt Winkler in Hans Küng unter anderem ein missionstheologisches Vorbild für seine Generation der Millennials sieht, beschreibt Johannes Ludwig ihn auf explizit.net als „Influencer und Prophet“

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

Der Autor dieses Beitrags, Benedikt Winkler, wird von publicatio e.V. – dem gemeinnützigen Trägerverein von kath.de – fortgebildet, um mit dem Internet Aufmerksamkeit für sein geisteswissenschaftliches Thema zu bekommen.

Mit themenpool.net und der Fortbildung zur Themeninfluencer:in unterstützt publicatio junge Menschen dabei, beruflich einzusteigen, standzuhalten und weiterzukommen – und mit ihrer Arbeit Brücken zwischen den Generationen zu schlagen, Austausch zu ermöglichen.

Vielen Dank, dass Sie diese Fortbildung junger Menschen unterstützen. Monatlich reichen dafür insgesamt 600,- €.

Spendenkonto publicatio e.V.:
IBAN: DE 88 4305 0001 0036 4097 87
BIC: WELADED1BOC
Sparkasse Bochum
Verwendungszweck: Fortbildung Themen-Influencer

Ihre Spende können Sie steuerlich geltend machen. Wir sind auch sehr dankbar für größere und regelmäßige Spenden. Ab 300 € senden wir Ihnen gerne eine Spendenbescheinigung zu.

Mit PayPal spenden
Wichtig: Klicken Sie bei (Optional) Verwenden Sie diese Spende für auf Fortbildung Themeninfluencer:innen!


Klicken Sie hier für mehr Info zu themenpool.net, der Plattform für die Fortbildung der Themeninfluencer:innen.